Dreizehnte Scene.

[177] Der Fremde schleudert den Faust, dessen Gesicht todtenbleich ist, bei den Haaren auf die Bühne zurück.


FAUST.

Ha, laß mich fliehen! – Fort! –

DER FREMDE mit wildem donnernden Tone.

Es ist vorbei!

FAUST.

Entsetzliches Gesicht! – –


Sich bebend an die Brust des Fremden werfend.


Du bist mein Freund!

Drum schütze mich!!

FREMDER auflachend.

Haha!

FAUST dringender.

Mein letzter Freund!!

FREMDER mit triumphirender Bosheit.

Ei freilich!![177]

FAUST.

Ha, so laß uns fort!

FREMDER.

Wohin?!

FAUST.

Zur Kirche!!

FREMDER.

Ich mit dir?!

FAUST irre.

Wir wollen beten!

Ja beten! beten!! Ach mein Schlafgebet –

Aus meiner Kindheit – das wird mir getreu seyn – –

Der Mutter Segenskreuz!! – Hinaus zur Kirche!! –

Dir thut's auch Noth – – der Himmel wird uns retten! –


Wild wie im Wahnsinn.


Fort! Fort!! –

DER FREMDE schleudert ihn zurück.

Zurück! – Dein Lebensspiel ist aus!!

FAUST wie vorher.

Noch hab' ich Zeit bis zu dem vierten Frevel![178]

O eine Spanne hat zur Buße Raum;

Zur Kirche hin – laß uns um Gnade knieen!

DER FREMDE.

Haha! – Kennst du mich denn?

FAUST.

O rette mich!!

DER FREMDER ergreift ihn mit übermächtiger Gewalt, kehrt ihn so, daß Faust's Gesicht gegen die Zuschauer gewendet wird, indeß das seine von diesen abgekehrt ist; und so blickt er ihn an und ruft mit donnernder Stimme.

Ich bins!! –


Ein Donnerschlag.

Faust taumelt mit dem Ausdrucke des höchsten Entsetzens zu Boden, indem er einen unarticulirten Schrei ausstößt.

Jener fährt nach einer Pause mit schneidender Kälte fort.


Ist das der mächt'ge Höllenzwinger?

Der mir – ha, mir! – getrotzt!! –


Mit empörendem Stolze.


Gewürm des Staubes!

Ich hatte deine Qual – mir!! aufgespart –!

Fahr' jetzt hinab zu andern Sclavengeistern –

Du bist zu klein für mich!!

FAUST richtet sich in die Höhe und scheint seine Kraft wiederzugewinnen.

Ich bin der Faust![179]

DER FREMDE.

Du nicht!

FAUST indem er sich mit seinem ganzen Trotze emporreißt.

Verfluchter! Ha, ich bins! ich bins!

Zu meinen Füßen hin, ich bin dein Meister!

DER FREMDE.

Nicht mehr!!

FAUST wild.

Ha; mein Vertrag?!

DER FREMDE.

Er ist am Ende!!

FAUST wie vorher.

Drei Frevel nur!!

DER FREMDE.

Der vierte ist vollbracht!

FAUST.

Nur Weib und Kind – und meines Vaters Blut –!

DER FREMDE hält ihm ein Pergament entgegen.

Und hier dein eignes! –

FAUST.

Ha, das ist mein Pact!

DER FREMDE.

Die Unterschrift – war deine schwerste Sünde![180]

FAUST wüthend.

Ha, Lügengeist!! – So hast du mich vergarnt!

DER FREMOE.

Dein Blut ist mein! Das Bündniß ist zerrissen!

FAUST mit seiner ganzen Kraft austobend.

Mein Buch!! Mein Buch!!

DER FREMDE mit dem höchsten Ausdrucke.

Ha, jetzt – quäl' ich dich selbst!

FAUST mit steigender Kraft.

Du mich?! – Ha, alle deine Höllenflammen,

Verfluchter, thürme sie um mich zusammen!

Ich trotze ihnen, trotze deinen Mächten,

Der wilde Schmerz, ich will mit ihm nicht rechten,

Ihn jubelnd tragen, deine Wuth verlachen,

Dich und die Hölle selbst zu Schanden machen;

So, wild und kühn, mein wildes Daseyn krönen,

Ich will's – der Faust! – und ewig dich verhöhnen!!

DER FREMDE in höchster Wuth.

Hinab, Verfluchter!!


Er reißt ihn mit den Haaren gegen den Hintergrund, in diesem Augenblicke verwandelt sich unter heftigen Blitzen und Donnerschlägen die Bühne in eine grause Wildniß,[181] in deren Hintergrunde eine klaffende Höhle, in diese schleudert der Teufel den Faust, von allen Seiten sprüht Feuer herunter, so daß die ganze innere Höhle im Brande zu stehen scheint; ein schwarzer Schleier senkt sich über beide, als jener den Faust unter sich liegen hat.


FAUST in einem wilden Trotze aufjubelnd.

Ha, hinab! hinab!


Donner, Blitz und Feuer. Beide versinken.

Der Vorhang fällt.


Fußnoten

1 Es bedarf wohl kaum der Erinnerung, daß diese Reden nicht im gewöhnlichen Theatertone, sondern von einem sehr guten Declamator vorgetragen werden müssen.
[182]

Quelle:
Klingemann, August: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig und Altenburg 1815 [Nachdruck Wildberg 1996], S. 177-183.
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