Sechzehntes Capitel
Rückkunft nach Biesterberg. Hochzeiten und Kindtaufe. Schluß dieser Geschichte.

[121] Der Postillon fuhr mit seiner leeren Kutsche unbekümmert auf dem Wege nach Vechelde und weiter fort. Die Stille, welche in derselben herrschte, schrieb er auf Rechnung des Schlafs, wozu vermuthlich die frühe Tagszeit die Herrn würde eingeladen haben. So kam er nach Peina und hielt vor dem Posthause still; Der Aufwärter, welcher den Wagen kannte, öfnete den Schlag: »Wo ist denn der Herr Amtmann?« fragte er. »Is he nich drinn?« erwiederte der Postillon, »so hät en de Düwel hahlt; denn innestegen is he, self Ander; dat heb eck seyen.« 6Was war zu thun? Fort war er!

Nach Peina hatte der Herr Amtmann seine eignen Pferde bestellt, um ihn da abzuholen; der Kutscher stand eben vor der Thür und nichts glich seiner Bestürzung, als man weder Vater noch Sohn im Wagen fand. Wohl eine Stunde vergieng unter Berathschlagungen was anzufangen seyn mögte, um die Verlohrnen wiederzufinden, und endlich war der Kutscher im Begriff, sich zu Pferde zu setzen und sie auf der braunschweigschen Straße zu suchen, als die beyden Herrn in ihrem offnen Wägelchen angefahren kamen.

Nicht in der angenehmsten Laune nahm nun der Amtmann seine weitre Reise nach Hause vor und ziemlich entschlossen, daß es vorerst die letzte seyn sollte, wozu er sich bereden lassen würde. – Doch welchen Verdruß vergißt man nicht in den Armen einer zärtlichen Gattinn? Eine liebevolle Bewillkommung von der Frau Amtmanninn, mehr bedurfte der gute Herr nicht, um wieder froh zu werden. –

»Nur Einen Druck der Hand; nur sanfte Blicke!«

Aber auch dieser Trost sollte ihm diesmal versagt werden. Es giebt Perioden im menschlichen Leben, wo das ganze Heer der bösen, höllischen Geister mit vollen Backen alle Gewitter-Wolken des Schicksals[121] zusammen zu blasen scheint, um dem Lieblinge des Himmels auf der Reise durch diese Welt den Muth zu benehmen. – Diese Allegorie gefällt mir ungemein; ich wollte, ich hätte sie nicht hierher geschrieben, so könnte ich sie einem unsrer neuen Trauerspiel-Fabricanten verkaufen, denen es oft so schwer zu werden scheint, eine Sprache zu führen, die man nicht redet.

Schon das schien dem Amtmanne sehr verdächtig, daß ihm niemand in der Thür seines Hauses entgegen kam; alle Domestiken waren oben um die Frau Gemahlinn versammelt, deren heulende Stimme, wie ein Nordwind bey Hagelwetter, durch die Luft tobte. Voll banger Ahndung schlich er die Treppe hinauf und ließ seinen Eingebohrnen, den Liebling der Mutter, vorausschreiten. Allein wie erschrak er, als dieser sonst so geliebte Jüngling von der zürnenden Dame mit ungezählten Maulschellen empfangen wurde und dann eine ganze Legion von herben Schimpfreden auf Vater und Sohn losbrach! Seine Ohren hörten Dinge, worüber er den vereitelten Zweck seiner Reise, die Geld-Erpressungen des Herrn Stenge, den Diebstahl des Flötenspielers und den Muthwillen der helmstädtschen Gelehrten vergaß. – Fassen wir uns, um die Sache im Zusammenhange vorzutragen!

Wir haben gehört, daß Musjö Valentin stets Abscheu gegen seine Verbindung mit der Jungfer Margaretha Dornbusch bezeugt hatte. Dieser Wiederwillen lag weder in einer Kälte des Temperaments, noch in einer gewissen unerklärbaren Antipathie – nein! das zarte Herz des Jünglings war von andern sanften Banden gefesselt. Auf dem Amtshofe diente als Küchenmagd eine kleine, runde Anna Cathrina, zum Unglück für des edlen Jünglings Freyheit, mit einem Stumpf-Näschen, ächt teutschen rothen Haaren und zärtlichen, in's Grünliche spielenden Äuglein von der Natur beschenkt. Sie sehn und sie lieben war bey Valentin, der damals kaum achtzehn Sommer durchschwitzt hatte, als sie in den Dienst trat – sie sehn und sie lieben war eins. Nun! grausam war sie eben nicht und so fern von Ziererey, daß sie den blöden Schäfer sogar aufmunterte, seine dunkeln Gefühle zu berichtigen. Da sie aber einen Bruder hatte, welcher als Dragoner dem Vaterlande diente und über die Ehre seiner Schwester wachte; hatte sie Diesem die Zusage gethan, dem Sohne des Herrn Amtmanns nicht eher den Minnesold zu geben, bis derselbe ihr ein bündig verfaßtes Ehe-Versprechen ausgefertigt haben würde. Dies wurde nun ohne Schwierigkeit erlangt; Von dieser Zeit an lebten sie in paradisischer Vertraulichkeit mit einander[122] und niemand im Hause ahndete etwas von ihrem Umgange. Ja! Anna Catharina hatte sogar bis zu dem letzten Augenblicke die äußerlich sichtbar werdenden Folgen dieses Bündnisses vor den Augen des neugierigen Publicums zu verbergen gewußt, um nachher mit desto größerm Aufsehn hervorzutreten. Hierzu hatte sie den Zeitpunct der Reise ihres Geliebten nach Braunschweig genützt und Dienstags Abends um fünf Uhr einen gesunden kleinen Waumann zur Welt gebracht. Diese an sich sehr natürliche Begebenheit machte großes Aufsehn im Amthause. Madam Waumann rennte, mit funkelnden Furien-Augen, in die Cammer der von ihrer Bürde entledigten Küchenmagd; allein da fand sie, als Wächter beym Wochenbette, den entschlossenen Kriegesmann stehn, welcher seine theure Schwester gegen alle Gewaltthätigkeiten schützte und mit dem Ehe-Versprechen in der Hand, der Amtmanninn die Rechte der neuen Mutter, in die waumannsche Familie aufgenommen zu werden, demonstrirte. Die alte Dame stürzte wüthend hinaus, berief dann ihr ganzes Haus zusammen, überschüttete Jeden einzeln mit Vorwürfen, und in diesem Augenblicke erschienen Vater und Sohn vor ihrem Angesichte.

Nachdem der erste Ungestüm vorüber war, wurde beschlossen, sich mit dem Dragoner in Tractaten einzulassen; Man both ihm eine ansehnliche Summe Geldes; aber priesterliche Trauung war der einzige Schluß-Reim, der ihm zu entlocken war; und da der gewissenhafte junge Herr, mit Thränen in den Augen, erklärte, er werde nie ablassen von seiner Anna Catharina, sah der Herr Amtmann wohl ein, daß man der eisernen Nothwendigkeit nachgeben müßte.

Im Grunde ließ sich hier nicht viel von Mißheyrath reden; Einer ähnlichen Begebenheit hatte Valentin sein Daseyn zu danken; Madam Waumann diente einst als Garderoben-Mädchen auf dem adlichen Gute, wo der Herr Amtmann Verwalter war. – Also kurz! denn wir eilen nun zum Schlusse: Sobald Ehren Schottenius nach Biesterberg zurückkam, wurden Hochzeit und Kindtaufe gefeyert. Der junge Herr Waumann nahm die ihm von seinem Vater abgetretene Pachtung an und lebt jetzt mit seiner Frau, welche die Haushaltung recht gut versteht, vergnügt und glücklich; die Frau Amtmanninn ist versöhnt und hat noch im vorigen Jahre bey ihren Kindern Gevatterinn Stelle vertreten.

Der alte Dornbusch ist Besitzer eines hübschen Guts, das er gekauft hat und findet Geschmack an Garten-Anlagen, wozu ihm sein Bruder allerley Holz-Arten liefert. Von Zeit zu Zeit kömmt der Hauptmann Previllier mit seiner schönen Gattinn, die ihm frohe Tage macht, von[123] Goßlar nach Biesterberg. Der Pastor Schottenius hat einige Hofnung, daß mein Herr Verleger in der nächsten Messe die Herausgabe seiner sechs und funfzig Predigten besorgen wird. Von den Schicksalen der übrigen Neben-Personen haben wir nichts weiter in Erfahrung bringen können. Die Haupt-Lehre aber, die man aus diesem Werklein ziehn mag, sey die: daß wenn ein Autor nur Leute findet, die ein solches Buch verlegen und lesen wollen, er leicht mit der Beschreibung einer dreytägigen Reise sechzehn gedruckte Bogen anfüllen kann.

6

»Ist er nicht darinnen; so hat ihn der Teufel geholt denn eingestiegen ist er, mit noch Einem, das habe ich gesehn.«

Quelle:
Adolph Freiherr von Knigge: Die Reise nach Braunschweig. Kassel 1972, S. 121-124.
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