8.

[357] Bey einer großen Anzahl von Menschen ist ein übelgeordneter Freyheits-Sinn die Quelle des Undanks. Man hält sich für gedrückt durch die Last der Verbindlichkeit, glaubt sclavisch abhängig von dem Wohlthäter zu werden, wenn man es sich selber gesteht, wie viel man ihm schuldig ist und fühlt sich doch zu schwach, wird durch den Drang der Umstände abgehalten, auf fremde Hülfe Verzicht zu thun; und so empfängt man dann, vernünftelt aber die Pflicht weg, welche Erkenntlichkeit gebiethet. Ein falscher Stolz, der sich gegen den Gedanken, eine untergeordnete Rolle zu spielen, empört, überschreyet die innere Stimme des Gewissens. Man zürnt mit dem Schicksale, das[357] Andre so hoch gestellt hat, daß sie das Vergnügen, Wohlthaten auszuspenden, sich verschaffen können, indeß man dazu verurtheilt scheint, immer nur zu empfangen, zu suchen, zu bitten. Mit neidischen Augen betrachtet man nun den, dessen Beystand man hat annehmen müssen; man sucht Fehler an ihm auf, um seinen Werth und sein Verdienst um uns herabzusetzen, und nicht selten artet dies in bittern Haß und Feindschaft aus. Ich habe einen Mann gekannt, der sehr dienstfertig, allein durch die mannigfaltigen Erfahrungen von dem Undanke der Men schen so mistrauisch geworden war, daß er, so oft er jemanden eine Wohlthat erwiesen hatte, zu sagen pflegte: »heute habe ich mir abermals einen Feind mehr erworben.«

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Adolph Freiherr von Knigge: Ueber Eigennutz und Undank. Leipzig 1796, S. 357-358.
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