[26] Rudolf. Clara.
CLARA von innen. Wer ist da? Herein!
RUDOLF öffnet die Tür ein wenig und spricht in das Zimmer hinein. Ich bin es, Fräulein Clara, ich wünsche guten Morgen.
CLARA von innen. Guten Morgen, Herr Starke. Wollen Sie nicht näher treten?
RUDOLF etwas verlegen. Ja – das heißt, ich wollte eigentlich fragen, ob Sie heute nicht, wie gewöhnlich hier ein bischen nähen oder stricken? Ich würde mir dann die Freiheit nehmen, Ihnen Gesellschaft zu leisten, daß heißt, wenn –
CLARA auftretend, ein Strickzeug in der Hand. Warum wollen Sie denn nicht in mein Zimmer kommen?
RUDOLF. Das täte ich schon ganz gern, aber – am Ende könnten die Leute glauben – Stockt verlegen.
CLARA. Daß wir Heimlichkeiten miteinander hätten? Lächelnd. Schwerlich, lieber Herr Starke. Wie sollten Sie in solchen Verdacht kommen? Ich bin ja eine alte Jungfer.
RUDOLF abwehrend. O, bitte, bitte, so war das nicht gemeint – im Gegenteil! Sehen Sie, hier bin ich nahe bei der Werkstatt, und wenn was vorfällt –
CLARA. Es scheint demnach, als hätten Sie mir was zu sagen?
RUDOLF. Ja, sehr was wichtiges.[26]
CLARA. Da bin ich begierig. Setzt sich an den Tisch rechts.
RUDOLF. Wenn Sie erlauben, arbeite ich dabei – ich kann dann besser reden. Setzt sich ebenfalls an den Tisch, nimmt den Stiefel zwischen die Knie und arbeitet eifrig. Sie wissen doch, Fräulein Clara, ich habe vorigen Monat meine Schwester verheiratet?
CLARA. Gewiß, ich war ja auf der Hochzeit.
RUDOLF. Sehen Sie, so lang' die ledig war, dachte ich immer, ich müßte auch ledig bleiben; denn Vermögen habe ich doch nich, und wenn man mal verheiratet is, denn fallen doch so allerlei Kleinigkeiten vor – das macht Sorgen, und ich wollte mir nich mehr Sorgen machen, ehe ich nich meine Schwester ordentlich versorgt hatte.
CLARA. Sie sind ein braver Mensch, ein guter Bruder, Herr Starke. Ich wünschte, ich hätte auch solchen Bruder.
RUDOLF erfreut. Wahrhaftig?
CLARA. Ganz gewiß.
RUDOLF. Na, sehen Sie, die Male is nu gut versorgt; ihr Mann ist ein ordentlicher Mensch, hat ein gutes Geschäft – und was will man mehr?! Derethalben könnte ich nu meintswegen auch an mich denken. Pause. Sagten Sie was?
CLARA nicht vom Strickzeug aufsehend. Nein.
RUDOLF. Sehen Sie, für's Kneipen bin ich nich, und wenn man nich in's Wirtshaus geht, dann fühlt man sich allein zu Haus so ungemütlich. Die Male is doch nu auch nich mehr da – und mit abgerissene Knöpfe und Löcher in der Wäsche geht man doch nich gerne –
CLARA. Das heißt, Sie wollen sich auch verheiraten?
RUDOLF. Richtig, das möchte ich.
CLARA. Nun, es wird Ihnen nicht schwer fallen, eine ordentliche und gute Hausfrau zu finden.
RUDOLF. Na, das sagt sich so. Es is wohl wahr, es gibt eine Menge Mädchens, aber ich verstehe das Courschneiden nich, ich könnte nich lange auf die Suche gehen. Am liebsten griffe ich die Erste, Beste 'raus, das heißt die Nächste. Gerade so, wie der Schutzmann, der mich packte, weil ich in der vordersten Reihe stand, am Palais, bei Kaisers Geburtstag. Der Schutzmann schrie immer: Zurück! Und schließlich packte er mich denn am Kragen. Ich bin ja unschuldig, sagte ich, die da hinten drängeln. Das weiß ich wohl, sagte er, aber so weit kann ich nich langen. – Sehen[27] Sie, Fräulein Clara, so geht es mir auch, ich kann auch nich so weit langen; wenn mir nich ein Mädchen vor der Nase steht, so daß ich bloß zuzugreifen brauche, dann würde nie was daraus werden.
CLARA. Haben Sie denn schon eine Wahl getroffen?
RUDOLF. Na ja, ich wüßte schon, welche ich möchte. Aber ob sie mich will!
CLARA. Haben Sie denn noch nicht angefragt?
RUDOLF. Nee. Sehen Sie, ich bin doch sonst gewiß kein feiger Kerl, aber dazu – dazu – fehlt mir die Courage.
CLARA. Ei was! Ein Mann, wie Sie, kann dreist überall anklopfen; jedes brave Mädchen wird sich geehrt füllen.
RUDOLF. Meinen Sie?
CLARA. Ja, das meine ich.
RUDOLF noch eifriger den Pechdraht auseinander ziehend und ohne zu Clara aufzusehen. Na, wenn Sie meinen, dann möchte ich wohl so frei sein und bei Ihnen, Fräulein Clara, anfragen, ob Sie mich heiraten wollen?
CLARA läßt vor Schreck das Strickzeug an die Erde fallen, stößt einen lauten Schrei aus und sinkt in den Stuhl zurück. Ha!
RUDOLF wirft den Stiefel fort und springt auf. Herrjeh, was ist denn? Na ja, da liegt sie – ohnmächtig vor Schreck über meine Frechheit. Gießt sich Wasser aus einer Karaffe in die Hand und bespritzt Clara einige Male das Gesicht, aber ohne sich ihr zu nähern. Ich dachte mir's wohl – aber es schad't nischt. Einmal mußte ich es doch probieren, und nun weiß ich doch, woran ich bin.
CLARA sich mit dem Taschentuch das Gesicht abtrocknend. Bitte, hören Sie auf. Es war sehr unrecht von Ihnen, Herr Starke, solchen Scherz mit mir zu treiben.
RUDOLF erstaunt. Scherz?
CLARA. Ich habe meine jüngeren Jahre der Erziehung meines Bruders gewidmet, wenn auch, wie ich leider selber eingestehen muß, mit wenig Erfolg. Daß ich jetzt nicht mehr in den Jahren bin, einem Manne, einem Manne, wie Ihnen, begehrenswert zu erscheinen, das weiß ich allein; darum aber brauchen Sie mich nicht durch Ihren Spott zu kränken.
RUDOLF. Hören Sie mal, Fräulein Clara, so müssen Sie die Geschichte nich drehen. Wenn Ihnen mein ehrlich gemeinter Antrag nicht paßt, was ich wohl vorausgesehen[28] habe, dann können Sie ja ganz einfach sagen: Nein, Herr Starke, ich danke; Sie sind mir zu grob, zu ungebildet, zu arm – was weiß ich! Aber mir ins Gesicht sagen, daß ich Scherz mit Ihnen treibe, daß ich Sie verspotte – das kann ich mir nicht gefallen lassen.
CLARA ängstlich, zweifelhaft. Herr Starke, Sie – Sie wollten im Ernst –?
RUDOLF. Was denn?
CLARA zögernd. Mich – heiraten?
RUDOLF. Na ja, ist das denn ein so großes Verbrechen? Ich dachte, Sie würden es vielleicht gemerkt haben, daß ich Ihnen gut bin, so recht von Herzen gut. Und weil Sie immer so freundlich zu mir waren, dachte ich – na, es war dumm von mir, reden wir nicht weiter davon. Nimmt den Stiefel unter den Arm und will nach der Werkstatt gehen. Entschuldigen Sie, Fräulein Clara.
CLARA vor Freude weinend. Hahaha! Herr Starke – Rudolf –
RUDOLF sich umwendend. He?
CLARA. So bleiben Sie doch. Streckt ihm zögernd die Hand entgegen.
RUDOLF. Was machen Sie denn für ein Gesicht. Wie sehen Sie mich denn an? Gerade, als ob –
CLARA nickt lächelnd mit dem Kopf.
RUDOLF. Schockschwerebrett! Wirft den Stiefel gegen eine Türe, läuft zu Clara und ergreift heftig ihre Hand. Sie sagen nicht Nein? Sie wollen meine Frau werden?
CLARA verbirgt ihren Kopf an seiner Schulter.
RUDOLF. Hurra! Umfaßt Clara, dreht sie herum, setzt sie dann auf einen Stuhl und fällt vor ihr auf die Knie nieder. Clara, liebste Clara! Mir ist kannibalisch wohl – ich könnte Bäume ausreißen vor Vergnügen. Kleine Pause.
CLARA. Ich begreife nur immer noch nicht, wie Sie dazu gekommen sind, sich in mich zu verlieben, mich heiraten zu wollen?
RUDOLF. O, ich liebe Sie schon lange, ich wußte es bloß nicht. Aber als mir der Gedanke gekommen war, daß ich auch eine Frau, einen eigenen Hausstand haben möchte, da sagte ich gleich zu mir: Keine Andere, wie die Clara. Ich glaubte ja nicht, daß Sie einwilligen würden. Nun haben Sie es aber doch getan – und das werde ich Ihnen nie vergessen.[29]
CLARA. Aber mein Vater –
RUDOLF aufstehend. Dem werden wir natürlich gleich Bescheid sagen – wir wollen nu auch nich mehr lange fackeln.
CLARA. Was wird er nur dazu sagen?
RUDOLF. Na, was soll er sagen? Wenn Sie einwilligen, kann er doch nichts dagegen haben. Ich bin ein anständiger, ehrlicher Kerl, ich verstehe mein Handwerk – wir werden schon unser Auskommen finden. Heute, gleich, noch in dieser Stunde werde ich mit ihm sprechen. Verlegen. Fräulein Clara, vorhin in der Ueberraschung, bei der unverhofften Freude – da habe ich vergessen, Ihnen einen Kuß zu geben. Darf ich jetzt vielleicht –?
CLARA. Lieber Rudolf, ich habe mit freudigem Herzen eingewilligt, die Ihre zu sein und will mich bemühen, Sie so glücklich zu machen, wie Sie es verdienen. Umarmt ihn.
RUDOLF küßt Clara. Meine Cläre! Sie sind jetzt meine verliebte Gelobte – gelobte Verliebte – nein, geliebte Verlobte, und ein schlechter Kerl will ich sein, wenn ich Ihnen je eine trübe Stunde mache. Ich ziehe mir den Rock an und dann halte ich, wie sich's gehört, bei dem Alten an. Auf Wiedersehen, meine liebste, herzallerliebste Braut. Faßt ihren Kopf zwischen beide Hände, drückt einen herzhaften Kuß auf ihre Lippen, wie sie dann noch einmal küssen, sagt aber, zurückweichend: »Nachher!« und geht rasch nach rechts ab.
CLARA Rudolf nachsehend. Mir ist, als ob ich träume. Wie hätte ich auch so viel Glück erhoffen können? Der gute, liebe Mensch! Mir ist es jetzt erst recht klar, wie gut auch ich ihm bin.
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