Erste Szene.


[71] Zimmer.

Graf Brahe. – Sylva.

Brahe sitzt auf einem Lehnstuhle, Sylva auf einem Taburett vor ihm.


SYLVA. Nun, Vater, willst du mir's nicht erklären?

BRAHE. Ein Kind fragt mehr als hundert Weise beantworten können.

SYLVA. Nicht doch!

BRAHE. Du glaubst das nicht? Sieh, wir haben uns eingerichtet in dieser Welt, so gut als es eben gehn wollte, und diese systematische Einrichtung ist ein allgemeines Übereinkommen geworden, was der Vater dem Sohne, die Mutter der Tochter überliefert. Davon wissen nun aber Kinder noch nichts, sie fragen noch ungeschult in die Kreuz und Quere, und setzen uns Alte in Verlegenheit.

SYLVA. Und so wißt ihr auch nichts Rechtes von den Vampiren?

BRAHE. Nichts Rechtes, mein Kind. Aber wir wissen, daß es unter Männern und Weibern Vampire gibt, ohne daß diese Männer und Weiber Blutsauger wären.

SYLVA. Wie denn?

BRAHE. Sie kommen, ehe wir uns dessen versehn, über unser Herz, und wenn wir dessen inne werden, gehört ihnen unser bestes Herzblut schon. Es sind dies die genial begabten Geschöpfe.

SYLVA. Was ist das, genial?

BRAHE. Das ist eine Kraft, die sich nicht berechnen, die sich nicht nachmachen läßt, eine Kraft, die wir nicht in Bestandteile zerlegen können, und die deshalb von ängstlichen Menschen eine dämonische Kraft genannt wird. So hieß jener Doppelsture, dessen Schicksal dich so interessiert, der schwedische Dämon. Die Männer atmeten auf, und die Weiber weinten, als er Stockholm verließ, um in die weite Welt zu gehn. Ein unsteter Drang ist solchen Menschen eigentümlich, sie sind niemals mit dem begnügt, was sie um sich haben können, es flimmert ihnen das Glück der Welt vor den Augen[71] wie ein endlos flutendes Glanzmeer, umsonst erreichen sie mit Leichtigkeit diesen Vorteil oder jene glückliche Stellung, alles das scheint ihnen gering gegen das Glanzmeer, was sie umflimmert, rastlos treibt sie ihr Sinn hinaus, sie fürchten, es entgehe ihnen das Beste in der Ferne, wenn sie daheim auch noch so vorteilhaft angesiedelt sind: so wird ihnen die glücklichste Ehe, der vorteilhafteste Posten eine Last, ja auf dem Throne selbst verzehrt sie die Unruhe oder Begierde, und stachelt sie, Abenteurer oder Eroberer zu werden.

SYLVA. Aber warum weinten denn die schwedischen Frauen, als der Doppelsture hinwegging, da er sie doch nur beraubt und gequält hatte?

BRAHE. Weil die Weiber, so sehr sie sich fürchten, aller dämonischen Kraft am begierigsten nachgehn.

SYLVA. Das begreif' ich – solche Kraft ist ja viel mehr als alles andere, man sieht da kein Ende, und es reizt auch mich nichts so sehr, als wovon ich kein Ende absehen kann. Weißt du, Vater, daß ich auch schon einem solchen Doppelsture begegnet bin?

BRAHE. Gott behüte dich davor, mein Kind! Was willst du damit sagen?

SYLVA rasch. Und wie ging's ihm denn in Rom, dem schwedischen Dämon?

BRAHE. Keine stolze vornehme Schöne, kein mächtig Amt fesselte ihn, sondern ein einfach römisch Mädchen –

SYLVA. Ach, das ist schön! Siehst du! – Und wie weiter?

BRAHE. Weiter wissen wir nichts Sicheres, er war mit ihr verschwunden, und nur dunkle Gerüchte sprachen von einem schrecklichen Ende – plötzlich war er hier, erregte Aufruhr und Empörung, ward verfolgt und soll von unsern Bergvölkern in einen Abgrund gestürzt worden sein.

SYLVA. Soll! Ei, da kann er ja alle Tage wiederkommen!

BRAHE lachend. Das wohl – aber da müßte er hundert Jahre alt geworden sein.

SYLVA. Weißt du, daß er hier ist?

BRAHE. Närrchen!

SYLVA. Du sagst selbst, ihr kennt solche Naturen nicht genau, ihr wißt sie nicht zu berechnen, was wißt ihr also, ob sie altern und wie sie altern?!

BRAHE. Mädchen![72]

SYLVA. Und siehst du ihn nicht immer an wie einen Zauberer, den du fürchtest und liebst, und der dir große Geheimnisse zu sagen hätte?

BRAHE. Wen denn?

SYLVA. Und ist sein Erscheinen, sein Auftreten, sein Fußfassen, ein Aufsteigen neben dem Throne, ist dies nicht alles von jener dämonischen Art, die du eben geschildert?

BRAHE aufstehend. Aber wessen, wessen?

SYLVA. Nun, Monaldeschis.

BRAHE. Ach, meine Sylva!

SYLVA. Klang's nicht wie ein Märchen, daß er in der ersten Nacht seines Hierseins im Geheimzimmer der Königin erschienen sei wie durch die Luft kommend? Du selbst hattest eben das Zimmer verlassen, warst keinem Menschen begegnet, kein Diener hatte jemand passieren sehn, und doch war er, ein unbekannter Fremdling, eine Minute nach dir bei der Königin! Keine Tür hatte sich geöffnet, um ihn herauszulassen, und doch sieht man ihn bei vollem Mondscheine über den Schloßhof hinausschreiten; die Wachen geben Feuer auf ihn, er aber, unbekümmert darum, schreitet wie ein Geist hindurch, das Tor tut sich vor ihm auf, und im Laufe weniger Monde ist er die rechte Hand der Königin, von aller Welt gehaßt oder vergöttert, von niemand mit Gleichgültigkeit angesehn. Wer wäre das anders als der schwedische Dämon?

BRAHE. O, mein Kind – Er drückt ihren Kopf an seine Brust. höre auf! Sieh' nicht hin auf diese Erscheinung, geh' dieser dämonischen Kraft aus dem Wege, sie bringt nur Unheil!

SYLVA. Aber warum das, mein Vater? Du hast mich ja selbst gelehrt, man messe das Glück nicht nach der Elle; wie weit der Strom gehe, sei unwichtiger, als wie tief er gehe; wie lang ein Glück daure, sei gleichgültig, wenn es nur groß sei.

BRAHE. Tändle nicht, Sylva, mit Spruchweisheit, sie täuscht uns alle, wenn Not an Mann kommt; tändle nicht mit dem Glück, das so leicht erworben, so schön neben dir steht, verscherze es nicht darum, weil es dir leicht erworben ist – die Kaprice vergeht, und Reue bringt das Verscherzte nicht wieder.

SYLVA. Aber was ist denn, Vater?

BRAHE. Du bist gleichgültig, Sylva, gegen Ludolf, du mißhandelst eine Neigung, um welche dich alle Welt beneiden möchte,[73] die Neigung des bravsten, tüchtigsten und schönsten Mannes, dem du bis vor wenig Tagen mit kindlicher Traulichkeit zugetan warst.

SYLVA. Schilt nicht, Vater, bitte, bitte, schilt nicht. Du hast mich gelehrt, vor allen Dingen wahr zu sein, und soll ich Freude heucheln, wo ich Angst empfinde? Ludolfs Drängen um Zärtlichkeit und Heirat ängstigt mich in diesem Augenblicke, laß mir Zeit, Vater!

EIN DIENER tritt ein. Der Marquis von Monaldeschi im Auftrage Ihrer Majestät der Königin. Ab.

SYLVA. Ach!

BRAHE. Mein Gott!


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 71-74.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Monaldeschi
Monaldeschi: Tragödie in Fünf Acten Und Einem Vorspiele (German Edition)

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Bozena

Bozena

Die schöne Böhmin Bozena steht als Magd in den Diensten eines wohlhabenden Weinhändlers und kümmert sich um dessen Tochter Rosa. Eine kleine Verfehlung hat tragische Folgen, die Bozena erhobenen Hauptes trägt.

162 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon