Fünfte Szene.


[230] Generalin von links kommend. Die Vorigen.


GENERALIN von links, hinter ihr ein Diener mit Licht. Darf man eintreten, Durchlaucht, ins Kriminal? Mein Auftrag leidet keinen Aufschub.

HERZOG. Ei Potztausend, ihr Weiber überhebt euch – das ist nicht mein Geschmack – wer erlaubt Euch, Generalin Rieger, hierher zu kommen?

GENERALIN. Na, na! Das Allerdringendste! Eben weil's hier gefährlich zugehen soll, mochte die Frau Gräfin keinen Beamten schicken, damit er nicht ungeschickt in ein falsches Haus platze, und deshalb hab ich's übernommen. Undank ist der Welt Lohn.

HERZOG. Kurz!

GENERALIN. Kurz – es kommt Kurier auf Kurier, der Großfürst von Rußland können nächste Minute im Schloßhofe vorfahren!

HERZOG. Blitz, das ist was andres! – Hauptmann Silberkalb! Zu den Anordnungen hinüber – große Tafel anrichten! – Alles beleuchten!

HAUPTMANN. Zu Befehl. Geht.

HERZOG. Noch eins! Er betrachtet einen Augenblick Laura und geht dann zu ihm nach hinten.

GENERALIN halblaut. Na, wie steht's – das scheint ja mißlungen.

LAURA. Mißlungen!

GENERALIN. O weh!

LAURA. Habt ihr denn meinen Zettel nicht gelesen, mein Rufen nicht gehört?

KOCH. Sie haben gerufen – die dünne Stimme –?

SCHILLER. Sie, gnädiges Fräulein –?[230]

KOCH. Waren Sie? Dann haben Sie auch die Bücher auf die Seite gebracht!

LAURA. Ja.

GENERALIN. Wo hast du sie denn?

LAURA erschreckend. Ach du mein Himmel, sie stecken in dem Mantel, den der Hauptmann –

KOCH. Um Gottes willen, es sind die Räuber darin.

GENERALIN. Was, Räuber?

SCHILLER. Verehrungswürdige, ein Buch, das dem Herzoge nicht in die Hände fallen darf!

KOCH. Den Mantel!

LAURA. Den Mantel.

GENERALIN. Also den Mantel müssen wir erobern, der Hauptmann wird jetzt nicht zum Visitieren der Taschen kommen! – Still, der Herzog! Wenn sein Gesicht so aussieht, dann ist nichts Gutes zu erwarten. Hauptmann links ab.


Pause.


HERZOG betrachtet alle. Sergeant!

BLEISTIFT. Sire. Halb auf den Kamin blickend, wo er fortwährend seinen Sohn zu decken getrachtet.

HERZOG. Zähl' Er sich die Leute, Er wird Sie hinüber in den gelben Saal transportieren.

BLEISTIFT. Eins, zwei, drei – sechs, sechs. Seitwärts nach Nette blickend. Sire, wohl nur sechs –?

HERZOG. Na, kann Er nicht zählen?

BLEISTIFT. Ja so – wahrhaftig nur sechs Erwachsene!

HERZOG. Im gelben Saale werdet ihr das Weitere erwarten und euch unterdes ankleiden für eure Rollen in der einprobierten deutschen Komödie, jeden Augenblick gewärtig, daß ihr das Stück vor meinen Gästen aufzuführen habt. Das kann nach der Tafel, vielleicht also erst gegen Morgen geschehen, wenn meine Gäste noch Lust haben. Sergeant!

BLEISTIFT. Sire.

HERZOG. Seine Leute eintreten lassen!

BLEISTIFT schließt rechts auf. Marsch! Die Soldaten treten ein. Halt!

HERZOG Bleistift winkend. Hierher! Bleistift kommt. Regimentsmedikus Schiller – geb' Er Seinen Degen ab.

[231] Allgemeine Bewegung.

SCHILLER. Durchlaucht!

LAURA. Onkel –!

GENERALIN. Durchlaucht –!

ALLE. O Gott!


Kurze Pause.


HERZOG. Hat Er verstanden – geb' Er seinen Degen ab; er gebührt Ihm nicht mehr!

SCHILLER den Degen lösend. Er hat an meiner Seite, Durchlaucht, nichts Unehrenhaftes erfahren –

LAURA. Onkel Durchlaucht, das wird der Tante Franziska einen Stich ins Herz geben!

GENERALIN. Durchlaucht, dieser junge Mann steht unserm Herrgott näher, als irgend ein Betbruder unter uns –

HERZOG. Wir wollen sehen, ob ihn der Herrgott jetzt beschützt!

LAURA. Onkel Durchlaucht, du kannst nicht so böse handeln!

GENERALIN. O, Durchlaucht macht keinen Unterschied der Person, er straft auch die Guten, wenn sie ihm nicht gefallen.

HERZOG. Frauenzimmer!

GENERALIN. Er beschimpft sie, wenn es seine Laune gebietet. Soll dieser von Gott begabte junge Mann beschimpft werden, dann lege ich mein Amt als Erzieherin in Dero Fräuleinschule nieder; denn ich weiß dann nicht mehr, was Tugend und Gerechtigkeit ist.

HERZOG. Reize meinen Zorn nicht, Weib.

GENERALIN. Ich fürchte keines Menschen Zorn, und ich kann allein auf den Asperg hinaufgehen, wohin Ihr mich schicken möchtet!

LAURA. Nein, ich gehe mit dir, Mama, ins ärgste Gefängnis, wenn man nicht mehr die guten Menschen beschützen darf!

SCHILLER nach einer dankbaren Pantomime gegen Laura. Vergeben Durchlaucht ein Wohlwollen weiblicher Herzen, welches ich vielleicht nicht verdiene. Mitleid zu üben, ist ja das Amt der Frauen. Hier ist mein Degen, das Symbol meiner Freiheit. Wenn ich meine Freiheit gemißbraucht habe, so geschah es wahrlich nicht aus Leichtsinn oder Übermut, sondern weil ich einem innern und, ich weiß es, einem nicht unedlen Drange gefolgt bin, einem Drange, welchem eben nur der Leichtsinn widerstrebt. Ich weiß, daß ich dabei äußerlich gefehlt habe, und ich unterwerfe mich schweigend der gebietenden Macht –[232]

HERZOG. Weil Er muß!

SCHILLER. Ob ich in höherm Sinne gefehlt, wage ich nicht zu bestimmen, aber ich weiß, daß ich dafür nur Gott verantwortlich bin – Klingel. Hier ist mein Degen! Übergibt ihn an Bleistift.

HERZOG. Vorwärts!


Der Vorhang fällt rasch.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 230-233.
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