Die vierte Szene

[142] Oberes Ende des Marktplatzes. Als Hintergrund, von links nach rechts, links und rechts vom Zuschauer, die Fassaden folgender Häuser: Haus, darin im ersten Stock die Polizeiwache; Gasthaus und Metzgerei des Johann Stemplinger; und, durch eine Mauer eingefriedet, Kirche und Gottesacker. Darüber hinaus gedacht Pfarrhaus und Schule. Jakobs Verkaufsstand im Vordergrund der Bühne – Jakob dreht dem Zuschauer den Rücken zu – als der letzte von links her gedacht. Vis-à-vis an den Häusern lang als letzte von links her Anna.

Die Vesper ist soeben zu Ende. Orgel, die wie ein Harmonium klingt. Bauernvolk.

Sonntag nachmittag.


JAKOB. Kauft, Leutche, kauft. Der Gerichtsvollzieher wartet. Was steht ihr wieder da, die Händ' im Sack, und laßt euch von de Flöh' die Fingernägel abbeiße? Der Gerichtsvollzieher will sein Geld hawe. Hot der Deibel de Gaas, so soll er die Waache aach mitnemme. Da hab ich grade noch eine wollene gestrickte Herrenunterhose, groß genug für de schtärkste Mann, dazu ein Barchenthemd ... der Winter steht vor der Tür ... und einen Toilettenspiegel. Alles zusamme vorgestern fünf Mark. Na? Eine wollene gestrickte Herrenunterhos, groß genug für de schtärkste Mann, ein Barchenthemd und ein Toilettenspiegel ... alles für drei Mark. Noch nicht? Ei, so gewwe ich euch noch dies goldbeschlagene, blausamtene Gebetbuch und dieses hochfeine Taschenmesser mit siewwe Stahlklinge owwedrei. Na? Na also. Du auch Brutus? Und du, mei liewwer Alexander – Lachen.

STIMMEN. Hier. Hier. Mir auch. Mir. Gib her.

JAKOB dazwischen. Wenn ihr bei einem hiesige Kaufmann den[143] Stoff kauft und das Hemd oder die Hos bei euerm Schneider oder eurer Schneiderin mache läßt, kosts euch das doppelte.

STIMMEN wieder vordrängend. Hier. Hier. Jakob, mir. I habs schon lang gsagt.

HEINRICH. Nein Vater, das ist nur ein Zweimarkstück, Vater der schwindelt.

ANNA. Ein seidenes Kopftuch? Einen schönen Schaal? Gehn S' a bissel her, Frau Nachbar.

JAKOB schreiend. Na, Leutche, was is, Leutche? Er klatscht ein paarmal kräftig in die Hände.

ANNA. Eingekauft noch ein wenig!


Zwei Bauern treten zu Jakob.


JAKOB. Na, Vetter, was brauchen wir denn?

1. BAUER. A Montur. Er zeigt auf seinen Anzug. Die da ... is eh aa von Dir. Hast mich aber angschmiert damit.

JAKOB. Und dann kommst doch wieder zu mir, du – Sepp?

1. BAUER lachend. Ja.

JAKOB redet plötzlich ganz ernst. Wie lange trägst du den Anzug schon?

1. BAUER. Vier Jahr warns.

JAKOB. Und immer noch als Sonntagsanzug? Ich denke, da könntst du damit zufrieden sein.

1. BAUER. Bin eh net unzfrieden gwen mit, na.

JAKOB laut, Marktschreierton. Da hätt ich ewwe e ganz neues, apartes Muster. Das war für Dich, o Bräutigam. Ewwe noch e Rest. Hab schon das ganze Stück heut verkauft. Kannsts billig hawwe. Er breitets aus und zeigt, wie lang es ist.

1. BAUER prüfts. War scho schö – Aber auf Schönheit geh i net. Stark muß der Stoff sei.

JAKOB. Stark? Da kannst n paar Ochsen anspannen, so stark ist der Stoff. Und doch so fein als wie Trikot. Na ... nachm Meter kaufst dus doch nicht. Und weils ewwe der Rest ist, gewwe ich ders ganz billig. Sollst mal sehe.[144]

1. BAUER. Ja. Teier derfs schon aber auch gar net sein. Wieviel kost soviel?

JAKOB sehr laut. Der ganz Anzug ...


Frau Kommandant kommt und geht ins Haus.


JAKOB. Der ganze Anzug ... Guten Abend, Frau Kommandant ... Hose, Rock und Weste: weil du es bist, nur, weil du es bist: vierzig Mark.

1. BAUER tut einen Schrei. Ho. Wendet sich fort.

JAKOB nachrufend. Na ... wieviel willst Du denn hergewwe?

1. BAUER von fern. Zwanzig Mark.

JAKOB tut denselben Schrei. Ho. Wirft das Stück hin.

1. BAUER wieder näher kommend. Alsdann ... wannst für zwanzig Mark net willst ...

JAKOB wie wenn er nicht gehört hätte, zu Heinrich. Na, Heinrich, packen wir ein.

1. BAUER gereizt. Fünfazwanzg geb i dir aa no.

JAKOB. Pack ein, Heinrich.

1. BAUER ganz nah. Alsdann ... fünfazwanzg Mark.

JAKOB. Pack ein, Heinrich.

1. BAUER zuredend. Vierzg Mark. Du bist doch net ganz gscheit.

JAKOB. Hast du eingepackt, Heinrich?

1. BAUER eifrig. Na ... so geb i dir dreißgi.

JAKOB. Hot der Deibel de Gaas, so soll er die Waache aach mitnemme ... Pack aus, Heinrich.

1. BAUER. Du gibst mirn alsdann für dreißgi?

JAKOB. Hast du ausgepackt, Heinrich?

HEINRICH hat weder ein- noch ausgepackt.

JAKOB hat den Rest bereits zusammengerollt, wirft ihn dem Käufer hin. Da.

1. BAUER die Hand auf dem Geldbeutel. Es ist ihm weniger um die Kleinigkeit als um die Unterhaltung zu tun. Aber ... a Paar Schuhbandel, die mußt du mir no extra gratis umsonst drauf geben?

JAKOB tut wütend. Zwei Paar Schuhlitze, damit de arme Seel e[145] Ruh hat! Er bindet das Bündel mit zwei Paar Schuhlitzen zusammen.

1. BAUER legt das Geld hin.

HEINRICH nimmts. Danke schön.

JAKOB rückt, vor der untergehenden Sonne, den Hut tiefer ins Gesicht. Hol noch ein Bier, Heinrich.

HEINRICH springt davon. Nach Stemplinger.

2. BAUER die Montur prüfend. Is a schöne Montur. Hätts aber für zwanzg Mark aa no abglassn.

JAKOB der weiß, daß diese Art Entgegnung stets am meisten zieht. Du S-aubauer. Glaubst du, ich stehl meine War? Na wart, dich faß ich mal bei deinen Löffeln ...

1. BAUER. Hast eh wieder a schöns Gschäft gemacht heit, Jakob?

JAKOB trinkend. Wenn ihr nicht alles geschenkt wolltet. Was wetten wir ... der Schneider, den du auf Stöhr ins Haus nimmst, verfrißt bei deinem Anzugmachen mehr Kartoffel, als dich bei mir der ganze Stoff kostet.

1. BAUER. Is eh leicht, Jakob, weils Zuchthausarbeit is, dein Zeug.


Die Bauern drücken sich so herum: Ein bißchen Unterhaltung mit dem Kaufmann muß, über die Schuhlitzen drüber, auch noch dreingehen.


APOTHEKER UND BRAUMEISTER kommen zusammen, von links, den Markt herauf.

GENDARM tritt vom Fenster zurück.

JAKOB. Bische spaziere, Herr Apotheker? Guten Tag, Herr Braumeister.

BRAUMEISTER. Tag ...

APOTHEKER er scheint angetrunken. Der Lehrer wollt gleich nach der Vesper zu uns kommen. Ein klein wenig Kartenspielen und ... Er macht die Gebärde des Trinkens. Nun müssen wir ihn wieder aus seinen vier Wänden herausschälen. Der verkriecht sich. Warum ... warum verkriecht er sich. Rülpst. Warum eigentlich verkriecht er sich wohl, der Herr Lehrer? Warum ...[146]

ANNA. Er wollte wohl zu Ihnen runter ... nachm Weißbräu.

BRAUMEISTER noch betrunkener. Ganz recht, nach dem Weißbräu ... Fräulein Anna. Ich muß doch auch ... nicht? ... nicht wahr? ... die Konkurrenz ...

ANNA. Ja. Aber da hat ihn der Herr Pfarrer zurückgehalten. Auf ein Wort Herr Lehrer, hat der Herr Pfarrer gesagt.


Stille.

Apotheker und Braumeister sehen sich eine Weile an, gehen dann beide nach rechts ab.


ANNA die seit längerem mit 1. Bauer verhandelte. Aber hörn S'. Sie sind wohl net ganz richtig? Da kriegen S' ja kaum eins aus Papier. Fängt an zu wettern. Stell ich mich ne halbe Stunde für den hin und breit und breit ihm mein ganzes Lager aus ... und dann bietet er mir so einen Preis. Unverschämtheit.

AGNES die alte Haushälterin des Zirngibl kommt weinend, von links, den Markt heraufgelaufen. Wimmernd über die Szene.

ANNA. Um Gottes willen. Was is denn, Fräulein Agnes?

AGNES. O God. O du mei liaber God. Ab nach rechts.


Pause.


GENDARM tritt, durch das Weinen angelockt, wieder ans Fenster.


Aus dem Stemplinger Gasthaus Drehorgel und langgedehnter Gesang.

Apotheker und Braumeister kommen zurück.

Apotheker ist ganz blaß. Sein Schrecken kämpft mit

dem Alkohol.

Da läutet die Sterbeglocke.


APOTHEKER im Vordergrund rechts, muß sich wo halten. Is nix mit dem Herrn Schullehrer. Hat keine Zeit, der Herr Schullehrer. Horts ihn ... den Herrn Lehrer? Der Herr Lehrer tut d'Sterbglocken läuten. Unser aller Freund und allverehrter ...


Alles hat die Hüte abgenommen.


APOTHEKER. Unser aller Freund und allverehrter ... der Kaufmann[147] Zirngibl ... Hauptmann der freiwilligen Feuerwehr ist nicht mehr.

AGNES kommt wimmernd zurück.

ANNA. Fräulein Agnes ...

AGNES. Es is ihm schon net sonders gwesen, gleich heut in aller Früh. Schon wie er aufgstanden is, redt er und redt er mit sich selber, in einem fort grad, wie er sei Feuerwehr-Montur anzieht zum Kirchenzug. »Ist«, sag ich, »ist es Ihnen nicht gut, Herr Zirngibl? Legn S' Ihnen doch gscheiter wieder ins Bett. Lassen S' die enge Montur und den schweren Feuerhelm.« »Ah na«! sagt er »heut noch net! heut noch net und wanns nur noch heut sein soll.« Und so ... Wie er vom Kirchenzug heimkommt, legt er freilich gleich den schweren Feuerhelm ab – und verlangt dafür aber sei neue schöne Feuerwehr-Interimsmützen. »Na Sie wem doch d'Montur ausziehn« sag ich. »Naa!« sagt er. »Und wo willst denn ... wo wollen S' denn jetzt noch hin, Herr Zirngibl?« sag ich. »'s Essen kommt doch gleich auf den Tisch.« Und er rührt mir fast nix an von allem Essen und ... ich schau ihm noch durchs Fenster nach ... und geht in der ganzen Uniform und mit der neuen schönen Interimsmützen ... Überwältigt. Und grad jetzt eben ... kommen Leut zu mir glaufen ... und da bringens ihn auch schon ... oh God, oh God ... vom Kupferhammer draußen ... Ein zweites Mal überwältigt. Denn: grad vorm Kupferhammer – sagt d'Fräulein Innozenz – soll er umgfallen sein und ... und nimmer wieder aufgstanden ... Läuft weinend ab.


Pause.


APOTHEKER hat den Gendarm erblickt, Aug in Aug. Lang. Dann, so eigen. Guten Abend ... Herr Schandarm ...


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Quelle:
Heinrich Lautensack: Das verstörte Fest. Gesammelte Werke. München 1966, S. 142-148.
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