Erster Auftritt

[1537] Eine Galerie im fürstlichen Palast.

Julius und Aspermonte spazieren herein.


ASPERMONTE. Unbegreiflich! – Sie waren ja schon von Ihrer Liebe bis zur Melancholie genesen; diesen ganzen Monat durch so ruhig!

JULIUS. Ach, mein Freund, die Liebe hat sich für diesen Monat gerächet, alles das Bittere, das auf seine einzelne Tage verteilt sein sollte, goß sie über diese einzige Nacht aus. Eben deswegen bricht die Wolke, weil es nicht zu rechter Zeit regnete.

ASPERMONTE. Ich verstehe noch nichts; – noch gestern abend waren Sie so ruhig, was machte diese plötzliche Veränderung?

JULIUS. Ein wachender Traum, also noch weniger als ein Traum. Wie ich abends auf mein Zimmer trete, schießt der Mond nun[1537] eben ein paar Strahlen hinein, und die fallen just auf Blankas Bildnis. Ich seh es an, mich deucht, das Gesicht verzieht sich zum Weinen, und nach einem Augenblick sah ich helle Perlen über seine Wangen rollen. Es war Phantasei; aber Phantasei, die mir alle Wirklichkeit verdächtig machen könnte.

Diese Tränen schwemmten meine ganze Standhaftigkeit weg. Ich hatte eine Nacht – eine Nacht – Glauben Sie es, Freund, unsere Seele ist ein einfaches Wesen – hätte die Last, die diese Nacht auf der meinigen lag, ein zusammengesetztes gedrückt, die Fugen der Teile hätten nachgelassen, und der Staub hätte sich zum Staube versammelt.

ASPERMONTE. Ach ich kenne diesen Zustand zu gut.

JULIUS. Was wollten Sie kennen! – Nennen Sie mir eine Empfindung, ich habe sie gehabt. Immer ward ich von einem Ende der menschlichen Natur zum andern gewirbelt, oft durch einen Sprung von entgegengesetzter Empfindung zu entgegengesetzter, oft durch alle, die zwischen ihnen liegen, geschleift.

Alle Möglichkeiten gingen vor mir vorüber, und notwendig muß ich in einer von ihnen mein Schicksal gesehn haben! – Einmal hatte ich schon das Kloster erbrochen, und führte sie in meine Kammer – wie ich schon an das Brautbette trat, sah mein Vater mit der Miene der väterlichen Wehmut herein – sogleich ließ ich ihre Hand fahren.

ASPERMONTE. Nutzten Sie das nicht, kamen Sie da Ihrer Vernunft nicht zu Hilfe?

JULIUS. In der Tat diese Ideen schien die Vernunft zu erwecken; ich rief »Julius, Julius, sei ein Mann!« – Ja ich sprach das »Julius! Julius!« als wenn es die Standhaftigkeit spräche; aber das »sei ein Mann!« zerschmolz wieder in einen Seufzer der Liebe.

ASPERMONTE. Gießen Sie aus, gießen Sie aus, edler Jüngling, mein Herz ist Ihres Schmerzes würdig.

JULIUS. Und ihr göttliches Bild! – ich seh es immer in tausend Auftritten, in tausend Gestalten, wie sie jedem Alter seine Reize abborgte, freimütige Unschuld von der Kindheit, Interesse von der Jugend, und wie ihr die Liebe durch meinen ersten Kuß Schüchternheit gab. Und die heilige Miene ihres itzigen Standes! – sonst kann er ihr nichts geben. Die Flamme der Religion hat schon ihr ganzes Wesen geläutert. Und wir kommen hier nur bis auf einen gewissen Strich – jenseits desselben werden Menschen Schwärmer, aber nicht Engel.[1538]

Aspermonte, denken Sie sich einmal die betende Blanka. – Was, Sie stehen stille! – die Idee haben Sie gewiß zum erstenmal; und Sie springen nicht auf wie ein Rasender?

ASPERMONTE. Sie sind mir überlegen, Prinz! – So stark war nie eine Liebe. Sie haben recht, ich kenne nichts.

JULIUS. Sie wissen das Ärgste noch nicht; – ich sah noch einmal auf ihr Bildnis, und dachte, was sie in dieser Nacht machte. Wie sie vielleicht über meine Untreue weinte, und der Mond durch ihr kleines Fenster auf ihr Kruzifix und Breviarium schien, ein Strahl fiel etwa auf mein Bildnis, und anstatt daß ich auf dem ihrigen Tränen sah, sähe sie auf dem meinigen spöttisches Lachen. Die Hölle kam ihrer Einbildung zu Hilfe, und das Gewölbe des Kreuzgangs schallte von höllischem Hohngelächter wider.

ASPERMONTE. Die Vorstellung schickte Ihnen die Hölle.

JULIUS. Auch konnte die einfache unsterbliche Seele diese Vorstellung nicht tragen; – ich verlor eine Zeitlang alle Empfindung, wie ich wieder dachte, war der erste Sturm der Leidenschaft vor diesmal vorbei. Die Periode der Entwürfe nahm schon ihren Anfang.

Wie ich im Vorsaale herumschwankte, hört ich, daß meine Wache vor der Tür schnarchte. Ich habe nie einen Menschen so beneidet, als diesen Trabanten. Wenn er auch liebt, so kann er doch schnarchen, dacht ich. Ich habe ein Herz, und bin ein Fürst; – das ist mein Unglück! – wie soll ich meinen Hunger nach Empfindung stillen! – mein Mädchen nimmt man mir! – und kein Fürst hatte jemals einen Freund. Ach! wer an der Brust eines Freundes liegt, vergesse doch im Glück der Elenden nicht, und weihe guten Fürsten zuweilen eine Zähre. Diese Betrachtungen führten mich auf einen Entwurf. Was hält dich ab, fiel mir bei, entführe sie, und verbirg dich mit ihr in einen Winkel der Erde. Wirf deinen Purpur ab, und laß ihn den ersten Narren aufnehmen, der ihn findet. Nur über die Zeit, wenn dieses geschehen sollte, war ich nicht eins; – zuweilen dacht ich, um meinem Vater Gram zu ersparen, bis auf eine gewisse Periode zu warten. – Sie verstehen mich – aber meistens deucht es mich bis morgen schon zu lange. Die Morgenröte brach eben an, als ich so träumte; ich ging in den Garten, und träumte noch so süß, als Sie mich antrafen.

ASPERMONTE. So bedaur ich in der Tat, daß ich Sie störte.

JULIUS. Freund, sosehr ich von der Liebe taumle, so weiß ich[1539] doch noch so viel, daß ich taumle. Sie müssen mich leiten, Aspermonte. Raten Sie mir in Absicht meines Entwurfs! – aber lieben Sie mich auch wirklich?

ASPERMONTE. Die Frage, und was Sie vorhin sagten, beleidigt mich. Haben Sie denn alles vergessen, daß ich mich Ihnen ganz widmete, weil ich Ihr Herz kannte, und wußte, wie selten Fürsten Freunde haben, daß mir selbst der Zweifel aufstieß, ich schätzte vielleicht in Ihnen den Fürsten und nicht den Menschen – wissen Sie es denn nicht mehr, wie wir da ausmachten; ich sollte ganz unabhängig sein – Ihnen sogar insgeheim meinen Unterhalt an Ihrem Hofe bezahlen?

JULIUS umarmt ihn. Verzeihen Sie dem Affekt, auch im Taumel der Liebe fragte mich Blanka: »Julius liebst du mich?«

ASPERMONTE. Doch ich geb Ihnen eine entscheidende Probe. Wenn Sie Ihren Entschluß ausführen, und kein Fürst mehr sind, so folg ich Ihnen.

JULIUS. Also soll ich ihn ausführen?

ASPERMONTE. Prinz, bedenken Sie. Sie sind die Hoffnung eines Landes – die Pflicht für das Ganze! –

JULIUS. Verschonen Sie mich mit Ihrer Philosophie! – Philosophie für die Leidenschaften, Harmonie für den Tauben.

ASPERMONTE. So sei'n Sie doch wenigstens erst versichert, daß Ihr Entschluß ein Entschluß ist. Ein Traum warf Ihr voriges System um, ein neuer Traum kann Ihr itziges umwerfen; warten Sie wenigstens einen Monat.

JULIUS. Ich will warten Umarmt ihn. aber unterstützen Sie mich in dem Monat, unterstützen Sie mich.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1537-1540.
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