Achter Brief

[292] Antwort Herzens an Rothen


Deine Briefe gefallen mir immer mehr und mehr, obschon ich Deine Ratschläge immer mehr und mehr verabscheue, und das bloß, weil der Ton in denselben mit dem meinigen so absticht, daß er das verdrüßliche Einerlei meines Kummers auf eine pikante Art unterbricht. Fahre fort, mir mehr zu schreiben, es ist mir alles lieb, was von Dir kommt, sollte mir's auch noch so viel Galle machen.

Sei glücklich unter Deinen leichten Geschöpfen, und laß mir meine Hirngespinste. Ich erlaub' es Euch sogar, über mich zu lachen, wenn Euch das wohltun kann. Ich lache nicht, aber ich bin glücklicher als Ihr, ich weide mich zuweilen an einer Träne, die mir das süße Gefühl des Mitleids mit mir selbst auf die Wange bringt. Es ist wahr, daß ich alles hier begrabe, aber eben in dieser Aufopferung findt mein Herz eine Größe, die ihm wieder Luft macht, wenn seine Leiden zu schwer werden. Niemanden im Wege – welch eine erhabene Idee! ich will niemanden in Anspruch nehmen, niemand auch nur einen Gedanken kosten, der die Reihe seiner angenehmen Vorstellungen unterbricht. Nur Freiheit will ich haben, zu lieben was ich will und so stark und dauerhaft, als es mir gefällt. Hier ist mein Wahlspruch, den ich in die Rindentüre meiner Hütte eingegraben:


Du nicht glücklich, kümmernd Herz?

Was für Recht hast du zum Schmerz?

Ist's nicht Glück genug für dich,

Daß sie da ist, da für sich?[292]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 1, Stuttgart 1965–1966, S. 292-293.
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