Eilfter Brief

[304] Herz an Rothen


Welch ein schreckliches Ungewitter hat diesen himmlischen Sonnenschein abgelöst! Rothe, ich weiß nicht, ob ich noch lebe, ob ich noch da bin oder ob alles dies nur ein beängstigender Traum ist. Auch Du ein Verräter – nein, es kann nicht sein. Mein Herz weigert sich, die schrecklichen Vorspiegelungen meiner Einbildungskraft zu glauben[304] und doch kann ich mich deren nicht erwehren. Auch Du Rothe – nimmermehr!

Schick mir das Bild zurück, oder ich endige schrecklich. Du mußt es nun haben dieses Bild und mit blutiger Faust werde ich's zurückzufodern wissen, wenn Du mir's nicht in gutem gibst.

Dein Stillschweigen, Dein geheimnisvolles Wesen gegen mich – gegen mich, Rothe – bedenke, was das sagen will – nein doch, ich kann es, kann es nicht glauben. Du kannst Dich eines so schwarzen Komplotts nicht schuldig gemacht haben.

Ich will Dir alles erzählen, aber ich fodere von Dir, daß du mir Aufrichtigkeit mit Aufrichtigkeit belohnst.

Ich flog den Nachmittag, sobald meine Informationen vorbei waren, zur Witwe Hohl hinauf – kannst Du Dir vorstellen, mit welchen Empfindungen? Ich wollte ihre beide Hände unbeweglich an meine Lippen drücken, mich auf die Knie vor ihr werfen, und ihr mit Blicken und Tränen für alle das Vergnügen danken, das sie mir den Vormittag verschafft hatte. Aber Gott! wie ward mir das versalzen. Ich fand sie – zu Bette. Mit der wahren Stimme einer Verzweifelnden redte sie mich an: Unglücklicher, fort von mir! was wollt Ihr bei mir – Was ist Ihnen, beste Witwe Hohl – Seht da Euer Werk, Verräter – Ich schuld an Ihrer Krankheit – Ja schuld an meinem Tode – Wodurch – Fragt Euer Herz, Bösewicht!

Ich war für Wut außer mir, ich fing an zu bitten, ich fing an zu schmeicheln, zu weinen, zu schwören – Welche grausame Verwirrungen hatte unser Mißverstand angerichtet, oder vielmehr meine Nachlässigkeit, sie eher aus ihrem Irrtum zu reißen. Sie war über mein Betragen den Vormittag eifersüchtig geworden – sie eifersüchtig – nie hatte ich mir das träumen lassen. Hätte sie doch nur einmal während der ganzen Zeit unserer Bekanntschaft in den Spiegel gesehen, wie viel Leiden hätte sie sich ersparen[305] können! Indessen, der Mensch sucht seine ganze Glückseligkeit im Selbstbetrug. Vielleicht betrüge ich mich auch. Sei es was es wolle, ich will das Bild wieder haben, oder ich bringe mich um. – Nun kommt das Schlimmste erst. Ich hatte ihr gesagt, ich würde Dir das Bild zuschicken, weil ich wirklich glaubte, die Gräfin hätte viel leicht gewünscht daß Du es auch vorher sehen solltest, eh ich's nach Amerika mitnähme. Jetzt sagte sie mir, daß ich die Gräfin aufs grausamste und unverzeihlichste beleidigen würde, wenn ich ihr nicht mit einem Eide verspräche, Dir das Bild zuzuschicken und es nimmer wiederzufodern – Es nimmer wiederzufodern, sagte ich, wie können Sie das verlangen – Ja das verlange ich, sagte sie, und zwar auf Ordre der Gräfin, denn das erste ist schon geschehen.

Nun stelle Dir vor, sie hatte während meiner Abwesenheit mein Zimmer vom Hausherrn aufmachen lassen, und das Bild herausgenommen. Ich hatte mir vorgesetzt, davon eine Kopei nehmen zu lassen und sie Dir zuzusenden, das Original aber für mich zu behalten, weil des Malers Hand dabei sichtbarlich von einer unsichtbaren Macht geleitet ward und ich das was die Künstler die göttliche Begeisterung nennen, wirklich da arbeiten gesehen habe – und nun – ich hätte sie mit Zähnen zerreißen mögen – alles fort – – Rothe das Bild wieder, oder den Tod!

Dazu kommt noch, daß ich übermorgen reisen soll. Ich wünschte ich könnte Dich abwarten. Schick nur, wenn Du selbst nicht kommen kannst, das Bild an Fernand, der weiß meine Adresse. O mein Herz ist in einem Aufruhr, der sich nicht beschreiben läßt.

Was für Ursachen konnte die Gräfin haben, das Bild Dir malen zu lassen? – Nein es ist ein Einfall der Witwe Hohl. Antworte mir doch.

Herz.[306]

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 1, Stuttgart 1965–1966, S. 304-307.
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