11.

[67] Der Dichter von Narzissus lehrt,

Der überrascht ward und bethört,

Verliebt in's eig'ne Spiegelbild,

Das sich im Wasser ihm enthüllt,

Als er an diesen Springquell kam.

Die Liebe macht' ihm vielen Gram,

So dass er auch noch starb nachher

Am Springquell' unter dieser Föhr'.


Narzissus war ein Jüngling weich,

Den Amor hielt in seinem Reich',

Dann macht' ihn Amor toll zum Spiel',

Und ließ ihn schrei'n und klagen viel,

Daß er ihn an sein Ende treib',

Denn Echo, gar ein hohes Weib,

Liebt ihn, wie Kein' auf Erden mehr.

Sie hatte er betrübet schwer,

Als sie ihm sagte, daß sie werbe

Um seine Liebe, oder sterbe,

Doch in dem Eigendünkel hegt[68]

Er Stolz zu viel, ganz unbewegt;

So gab er nimmer ihr Gehör,

Wie sie auch fleh' und schmeichle sehr.

Wie sie sich so verschmähet sieht,

Sie so von Zorn' und Rache glüht,

Und in Verzweiflung so verdirbt,

Daß sie da ohne Weit'res stirbt.

Doch wie's mit ihr zum Tode geht,

Die Götter sie ersucht und fleht,

Daß man Narzissus Herz bethör',

Den sie von Liebe fand so leer,

Daß er auch fall' an einem Tage,

Erschöpft von einer Liebe Plage,

Die ihn verderbe sicherlich,

Daß er's empfinde auch an sich,

Wie heft'ger Kampf ein Herz zerwühlt,

Von solcher Liebegluth erfüllt.

Vernünftig war ja wohl ihr Fleh'n,

Drum ließ es Gott ihr auch geschehn.

So kommt Narzissus ungefähr

Zum reinen, hellen Springquell' her,

Wo er sich in den Schatten legt,

Nachdem er erst der Jagd gepflegt,

Und große Müh' gehabt zumal

Im Laufe über Berg und Thal.

Auch hatte Durst er zu der Zeit

Von Hitze und von Müdigkeit,[69]

Die ihm den Athem fast benahm.

Und als er zu der Quelle kam,

Die von der Fichte Laub' bedacht,

Da hatte er zu trinken Acht.

Und über'm Quelle tief genung

Beugt' er sich nieder zu dem Trunk'.


Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 67-70.
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