Dritter Auftritt.


[55] Andres. Vorige.


ANDRES hereintretend. Ist das heiß hier! Er nimmt sein Tuch ab. Guten Abend. Wickelt das Tuch um das Flintenschloß und lehnt die Flinte neben sich an. Daß sich niemand da vergreift; die Flinte ist geladen. [55] Zum Wirt. Ich weiß nicht, was das ist. Wird mir auf einmal so elend da herum. Ich wollte auf meinen Bruder warten an der Grenze.

WIRT. Machen Sie sich's bequem, Herr Forstgehilfe.

ANDRES. Noch kommt der Wilhelm wohl nicht. Er wirft sich auf eine Bank, legt bald die Arme auf den Tisch und den Kopf darauf.

FREI schlägt sein Glas auf den Tisch auf. Noch eins, Wirt. Und das ist Gnade, daß ich jetzt bei Ihm trinke, wo's noch was kostet. In acht Tagen muß Er schaffen, und kein ehrlicher Mensch braucht Ihm mehr einen Pfennig zu bezahlen dafür, sag' ich Ihm.

LINDENSCHMIED von nun an unverwandt bald nach Andres, bald nach der Flinte schielend. Wenn er einschlief einmal – der da! Über den Tisch gelehnt zu Frei heimlich. Da im Heimlichen Grund, sagt Ihr? – Und meint Ihr auch gewiß, Frei, daß nichts mehr gestraft wird?

FREI. Vorurteil, sag' ich Euch. Wenn Ihr was anstellt und sie hängen Euch, sollt Ihr mich einen Schuft nennen Euer Leben lang. Seht Ihr. Was man sonst einmal Treu' und Ehrlichkeit genannt hat, das haben uns die alten Weiber weisgemacht. Und ein Kerl, der sein Wort hält, das ist ein Schuft, und so einem trau ich nicht über die Thürschwelle. Das Volk ist ehrlich an und für sich, weil's das Volk ist. Ihr sollt nur die Herren da reden hören; war ein Professor dabei, der muß es wissen.

LINDENSCHMIED führt ihn vor. Aber mit dem Gewissen? Und von wegen mit dem da drüben?

FREI. Vorurteil. Nichts weiter, sag' ich Euch.

LINDENSCHMIED. Hab's immer gedacht das; aber sonst durfte man so was nicht sagen.

FREI. Dem Volk haben sie von Himmel und Hölle weisgemacht, damit der gnädige Herr seine Hasen allein behalten sollte. Den armen Leuten haben sie von Kind an ein Gewissen eingetrichtert, damit sie sich's gefallen lassen sollten, wenn die Reichen herrlich und in Freuden lebten.

LINDENSCHMIED. Und er ist im Heimlichen Grund? Der Wirt wird aufmerksam.[56]

FREI. Wer?

LINDENSCHMIED. Der – Knöpft sich ein.

FREI. Wo wollt Ihr hin?

LINDENSCHMIED. Schulden bezahlen, eh' die Welt neu wird. Während er Andres verstohlen beobachtet, mit der Linken in der Westentasche, um den Wirt zu bezahlen. Kann's nur nicht herauskriegen da mit der –

FREI. Eure Finger an der Linken sind steif –

LINDENSCHMIED mit Gebärde. Die an der Rechten werden noch krumm.

FREI. Habt Ihr einen Fluß gehabt?

LINDENSCHMIED heiser lachend. Ja, einen bleiernen. Zwei Lot Pulver und drei Schrot. Er spricht immer gedämpft, um den Andres nicht zu wecken. Ein Denkzettel von dem da im Heimlichen Grund –

FREI. Vom Buchjäger?

LINDENSCHMIED. Weil ich Taler schlug aus dem Strahlauer Herrn seinen Rehen. Lief ungemünztes Geld genug im Wald herum.

FREI. Noch eins, Wirt! Gibt dem sein Glas.

LINDENSCHMIED in sich verloren, allein im Vordergrund. Sechsmal lief ich hinaus, wo er vorbeikommen sollte; aber er kam mir nicht. Damals war das Gewissen noch Mode. Da dacht' ich: jetzt soll's nicht sein, und verschob's, wenn er mir einmal von selber käme, so daß ich sehn müßte, es sollte sein. Nächte lang hat's mich gewürgt wie der Alp und von meinem Blut gezehrt, daß ich nicht an ihn sollte, und jetzt – hahaha! Lacht krampfhaft kurz, weckt sich damit aus seinen Gedanken und sieht sich betreten um.

FREI. Habt Ihr gelacht, Lindenschmied?

LINDENSCHMIED. Weiß nicht, ob ich's war.

FREI. Ihr habt eine kuriose Lache. Geht Ihr mit, Lindenschmied? Ins Herzogliche?

LINDENSCHMIED schlägt ihn auf die Schulter. Mann, jetzt ist Freiheit! Hab meinen eignen Weg.

FREI. Meinetwegen! Tritt in den Hintergrund zum Wirt. Was hab' ich zu zahlen zu guter Letzt? Hier; gebt heraus.[57]

WIRT. Da sind drei, vier –


Lindenschmied hat den Augenblick benutzt, wo niemand ihn beobachtet, Andres' Flinte verstohlen hinwegzunehmen, und eilt mit derselben ab.


FREI. Welche Zeit, Wirt?

WIRT. Achte durch.

FREI im Abgehn. Adies!


Quelle:
Otto Ludwig: Werke. Leipzig und Wien [1898], S. 55-58.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Erbförster
Der Erbförster: Ein Trauerspiel in Fünf Aufzügen (German Edition)