Siebenter Auftritt.


[86] Die Försterin. Später der Förster und Wilhelm.


FÖRSTERIN aus Mariens Kammer. Nun kann sie sein, wo die Weiden anfangen. Am Fenster. Er macht die Laden herum. Ich muß der Marie ihren zum Schein schließen, damit sie hereinsteigen kann, wenn sie zurückkommt. Der Andres noch immer nicht da! Wird mir doch auf einmal, als hätt' ich die Marie nicht fortlassen sollen.


Der Förster mit Wilhelm eintretend. Die Försterin geht wieder in die Kammer.


WILHELM im Eintreten. Vater, Kramers Lore kam ans Staket, der Stein wäre außer sich; man hätte Schüsse im Walde gehört – der Robert fehlte und der Stein hätte den Möller in die Stadt geschickt; der sollte Soldaten holen. Die ganze Mörderbande im Jägerhaus sollten sie gefangen nehmen, hat er gesagt.[86] Der Möller wär' eben im Karriere vor Kramers vorbeigesprengt. Vor Eins könnten sie da sein.

FÖRSTER indem die Försterin aus Mariens Thüre tritt. Was hast du noch draußen? Sieht sich um.

WILHELM. Im Garten, Vater. Mutter, in der Laube war nichts.

FÖRSTERIN bleibt an der Thüre. So muß es doch hereingekommen sein. Zum Förster. Suchst du was?

FÖRSTER. Ich? Nein. Ja, die Büchse mit dem gelben Riemen. Wo die herumstehen muß? Vielleicht in der Marie ihrer –

FÖRSTERIN unwillkürlich die Thüre deckend, rasch. In der Marie ihrer Kammer ist keine Flinte.

WILHELM. Die hat doch der Andres mit, wie er mich begleiten ging.

FÖRSTER. Gut. Zeigt das Tuch. Hab' ich da ein fremdes Tuch in der Tasche; ist's dein, Wilhelm?

FÖRSTERIN. Das rot und gelbe Tuch? Das gehört dem Andres.

FÖRSTER. Er hat's gestern liegen lassen, und ich hab's in Gedanken eingesteckt.

FÖRSTERIN. Gestern? Heut erst, eh' ihr gingt, hab' ich's ihm gegeben.

FÖRSTER. Hast du's ihm – gut.

FÖRSTERIN kommt näher. Ja! Ja! das ist Andres' Tuch. Sie betrachtet's. Hier ist's gezeichnet.

FÖRSTER will's ihr nehmen. Gib her.

FÖRSTERIN. Es ist naß. – Und was ist das für Blut da an dem Tuch?

FÖRSTER. Blut? Bezwingt sich. Von meiner Hand. Ich hab' mich da am Flintenschloß gerissen. Geh' nur!


Försterin beschäftigt sich auf der andern Seite der Bühne.


FÖRSTER. Wilhelm, komm' her. Lies einmal da, da in der Bibel, von da an, wo das Zeichen liegt.[87]

WILHELM. Mitten im Kapitel?

FÖRSTER. Vom Zeichen da. Vorwärts! Holt seinen Hut.

WILHELM liest. »Welcher des Herrn Namen lästert, der soll –«

FÖRSTER. Das ist's nicht. Hängt die Flinte um.

WILHELM. »Wer irgendeinen Menschen erschlägt« – ist's das?

FÖRSTER ergriffen, tritt einen Schritt näher. Nein – aber lies nur. Er steht bei Wilhelm; während des Folgenden nimmt er unwillkürlich den Hut ab und faltet die Hände darüber.

WILHELM. »Wer irgendeinen Menschen erschlägt, der soll des Todes sterben. Wer aber ein Vieh erschlägt, der soll's bezahlen Leib um Leib. Und wer seinen Nächsten verletzet, dem soll man thun, wie er gethan hat. Schade um Schade, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wie er einem Menschen gethan hat, so soll man ihm wieder thun. Also daß wer ein Vieh erschlägt, der soll's bezahlen. Wer aber einen Menschen erschlägt, der soll sterben.«

FÖRSTER. Der soll sterben.

WILHELM. »Es soll ein Recht sein unter euch, den Fremden und den Einheimischen, denn ich bin der Herr, euer Gott.«

FÖRSTER. Amen. Setzt den Hut auf, will gehn; wendet sich. Wann könnten die da sein, Wilhelm?

WILHELM. Die Soldaten?

FÖRSTER. Vor –

WILHELM. Vor Eins.

FÖRSTER. Noch Zeit genug.

WILHELM. Wozu, Vater?

FÖRSTER. Zum – Ausschlafen.

WILHELM. Vater, wie siehst du mich nur an?

FÖRSTER. Zu Bett, Wilhelm! Da die Försterin eintritt. Gib der Mutter die Hand.

FÖRSTERIN überrascht. Willst du noch fort, Christian?

FÖRSTER. Ja.

FÖRSTERIN. Hat der Weiler vielleicht den Hirsch wieder gespürt?[88]

FÖRSTER. Ja. Kann sein.

FÖRSTERIN. Wie du aussiehst! Man könnte sich fürchten vor dir, wenn man nicht wüßte, wie's wird, wenn du Wein getrunken hast.

FÖRSTER. Drum will ich ins Freie.

FÖRSTERIN. Dann siehst du alles anders, wie's ist. Du kannst in die Schlucht stürzen.

FÖRSTER. Dann schneidst du das Blatt dort aus der Bibel und legst mir's mit in den Sarg.

FÖRSTERIN. Was das für Reden sind!

FÖRSTER. Zu Bett, Wilhelm. Wilhelm ab. Bete oder bete nicht –

FÖRSTERIN. Was ist mit dir, Christian? Warum wird mir so angst? Bleib, um Gottes willen bleib'! Dein Geschäft wird ja noch Zeit haben!

FÖRSTER. Nein; es muß heute noch gethan sein. Er geht.

FÖRSTERIN will ihm nach. Ulrich –

FÖRSTER in der Thür sich wendend, leise vor sich hin. Aug' um Auge – Zahn um Zahn. Ab.

FÖRSTERIN vor dem Schein des Wetterleuchtens zurückweichend, der durch die geöffnete Thür dringt. Gott sei uns gnädig! In der Thür. Ulrich! Draußen verklingend. Ulrich!


Vorhang fällt.



Ende des vierten Aufzugs.


Quelle:
Otto Ludwig: Werke. Leipzig und Wien [1898], S. 86-89.
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