I. Befreiung des Prometheus.

Prometheus, Jupiter.


PROMETHEUS. Laß mich los, Jupiter, du hast mich lange und schrecklich genug leiden lassen.

JUPITER. Dich sollt ich loslassen, dich, der immer noch zu gelinde bestraft wäre, wenn ich dich mit dreimal schwereren Fesseln belegt und dir den ganzen Kaukasus auf den Kopf gewälzt hätte? Dich, dem sechzehn Geier für einen nicht nur die Leber, sondern die Augen ausfressen sollten, um dich nach Verdienen dafür zu bestrafen, daß du uns eine so widersinnische Art von Tieren wie die Menschen auf die Welt gesetzt, das Feuer vom Himmel gestohlen und, was noch das ärgste ist, die Weiber erschaffen hast! Denn wie du mich selbst bei der Austeilung des Opferfleisches betrogen, da du mir nichts als Knochen mit Fett bedeckt vorsetztest und das Fleisch für dich behieltest, davon mag ich gar nicht reden.

PROMETHEUS. Bin ich nicht genug dafür gestraft, daß ich schon so viele tausend Jahre, an den Kaukasus angeschmiedet, diesen verdammten Adler mit meiner Leber füttern muß?

JUPITER. Und doch ist es nur der kleinste Teil dessen, was du zu leiden verdient hast.

PROMETHEUS. Ich verlange meine Freiheit nicht umsonst, Jupiter; ich will dir etwas dafür entdecken, das von der größten Wichtigkeit für dich ist.

JUPITER. Du willst mir was weismachen, Prometheus?

PROMETHEUS. Was könnte mir's helfen? Du würdest gewiß nicht vergessen, wo der Kaukasus liegt, und es würde dir nicht an Fesseln fehlen, wenn herauskäme, daß ich dir nur eine Nase gedreht hätte.[271]

JUPITER. Erst will ich wissen, was du mir denn entdecken kannst, das eine solche Gnade wert sei.

PROMETHEUS. Wenn ich dir sage, wohin du jetzt gehest und was du vorhast, wirst du mir dann glauben, was ich dir weissagen will?

JUPITER. Warum nicht?

PROMETHEUS. Du eilest zur Thetis, in der Absicht, sie – wie deine Gemahlin zu behandeln.

JUPITER. Das hat er getroffen! – Aber was nun weiter? Bald sollt ich glauben, daß du mir die Wahrheit sagen werdest.

PROMETHEUS. Nimm dich vor dieser Nereide in acht! Denn wird sie von dir schwanger, so hast du von dem Sohne, den sie gebären wird, das nämliche zu erwarten, was du deinem Vater Kronus getan hast.

JUPITER. Das soll soviel sagen, als er werde mich der Regierung berauben?

PROMETHEUS. Das sei ferne, o Jupiter! Aber daß die Verbindung, die du mit ihr vorhast, dich damit bedrohet, ist gewiß.

JUPITER. Um diesen Preis danke ich für die schöne Thetis! – Dich soll Vulkan für die Warnung wieder in Freiheit setzen.

Quelle:
Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 271-272.
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