II. Polyphems Abenteuer mit Ulysses.

[323] Polyphemus und Neptunus.


POLYPHEM. Vater Neptunus, sieh einmal her, wie mir der verfluchte Fremdling mitgespielt hat. Erst machte er mich trunken, und wie ich davon eingeschlafen war, überfiel er mich und stieß mir das Auge aus.

NEPTUN. Wer ist der Verwegene, Polyphem, der sich dessen unterstanden hat?

POLYPHEM. Anfangs nannte er sich Niemand; wie er sich aber wieder aus dem Staube machte und weit genug weg war, daß ihn die Felsenstücke, die ich ihm nachwarf, nicht treffen konnten, rief er mir zu, sein Name sei Ulysses.

NEPTUN. Ich kenne deinen Mann, es ist der berüchtigte Ithakenser; er war auf der Rückreise von Troja, da er zu dir kam. Aber wie konnte er eine solche Tat verüben, da er sonst nichts weniger als verwegen ist?

POLYPHEM. Wie ich von der Weide zurückkam, traf ich einen Rudel unbekannter Bursche in meiner Höhle an, die vermutlich einen Anschlag auf meine Schafe gemacht hatten; denn wie ich den großen Felsen, der mir zum Deckel vor den Eingang der Höhle dient, vorgeschoben und mit einem vom Berge mitgebrachten Holze Feuer angemacht hatte, sahe ich, daß sie sich zu verstecken suchten. Ich nahm also[323] etliche von ihnen beim Kopfe (wie billig, da sie Räuber waren) und speiste sie auf. Inzwischen schenkte mir der abgefeimte Erzspitzbube, der Niemand oder Ulysses, wie er hieß, ich weiß nicht was für ein Getränke ein, das gar süß schmeckte und einen überaus lieblichen Geruch hatte, aber die Folgen zeigten, daß es ein gefährliches Gift war: denn es brachte mir alle meine Sinnen in Unordnung; alles schien sich, nachdem ich getrunken hatte, mit mir herumzudrehen, die ganze Höhle stand umgekehrt, kurz, ich war nicht mehr bei mir selbst und versank in einen tiefen Schlaf. Während ich schlief, spitzte er einen Pfahl, machte ihn glühend und trieb ihn mir ins Auge; und von dem an, Neptun, bin ich dir so blind als du mich siehest.

NEPTUN. Du mußt entsetzlich tief geschlafen haben, mein Sohn, daß du nicht aufsprangst, wie die glühende Stange so nahe ans Auge kam. Aber wie entwischte denn Ulysses? Den Felsen konnte er doch unmöglich vom Ausgang der Höhle wegwälzen?

POLYPHEM. Ich selbst wälzte ihn weg, um den Spitzbuben desto gewisser zu fangen, wenn er herausschleichen wollte; ich setzte mich mit ausgestreckten Händen vor den Eingang und ließ niemand hinaus als meine Schafe, die auf die Weide gehen mußten, und befahl dem Schafbock, was er an meiner Stelle zu tun hätte.

NEPTUN. Aha, nun merke ich, daß er unter dem Schafbock hinausgewischt sein wird. Aber du hättest die übrigen Zyklopen gegen ihn zusammenrufen sollen.

POLYPHEM. Das tat ich, Vater, und sie kamen auch; wie sie mich aber fragten, wie der Räuber hieße, der mir so übel mitgespielt hätte, und ich ihnen sagte Niemand, glaubten sie, ich sei wahnsinnig worden und gingen ihrer Wege. So hinterlistete mich der verfluchte Kerl mit seinem falschen Namen! und was mich noch am meisten ärgert, war, daß er meines Unglücks noch spottete und sagte, mein Vater Neptun würde mich schon heilen.

NEPTUN. Gib dich zufrieden, mein Sohn! Ich will dich an ihm rächen. Er soll bald erfahren, wenn ich gleich blinde Augen nicht wieder sehend machen kann, daß dafür das Schicksal[324] der Seefahrer in meinen Händen steht und es nun auf mich ankommt, ob ich sie erhalten oder verderben will. Er ist noch nicht auf dem Trocknen!

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Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 323-325.
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