IV.

[366] Merkur und Charon.


MERKUR. Rechnen wir einmal zusammen, Fährmann, wenn du so gut sein willst, wieviel du mir schuldig bist, damit wir nicht wieder Streit darüber bekommen!

CHARON. Gut, wir wollen rechnen; es ist immer besser, wenn wir auseinander sind; wir haben gleich eine Sorge weniger.

MERKUR. Für einen Anker, den du bei mir bestellt hast, zwanzig Groschen.

CHARON. Das ist viel Geld![366]

MERKUR. Beim Pluto, ich habe zwanzig bare Groschen für ihn ausgelegt; und für einen neuen Ruderriemen sechzehn Pfenninge.

CHARON. Schreibe einundzwanzig Groschen vier Pfenninge.

MERKUR. Für eine Nadel, das Segel zu flicken, drei Groschen vier Pfenninge.

CHARON. Schreibe sie dazu.

MERKUR. Für Wachs, die Ritzen im Kahn zu stopfen, item für Nägel und für einen Strick, den du gebraucht hast, die Segelstange am Maste zu befestigen, Summa zwei Groschen vier Pfenninge.

CHARON. Schön! Da hast du einmal wohlfeil eingekauft.

MERKUR. Das wäre es also, wenn wir nichts vergessen haben; und wann versprichst du denn zu bezahlen?

CHARON. Jetzt, lieber Merkur, ist es unmöglich: sobald uns aber eine Pest oder ein Krieg die Toten haufenweise zuschicken wird, dann läßt sich schon eher durch einen kleinen Rechnungsfehler am Fahrgeld etwas auf die Seite bringen.

MERKUR. Also bleibt mir nun nichts übrig, als mich hinzusetzen und den armen Sterblichen das Ärgste an den Hals zu wünschen.

CHARON. Es ist einmal nicht anders, Merkur; in Friedenszeiten kommen, wie du siehest, so wenige miteinander an, daß nicht viel dabei zu gewinnen ist.

MERKUR. Es ist doch so besser, wenn ich dir gleich desto länger borgen muß. Indessen muß man gestehen, Charon, daß sich die Zeiten sehr verändert haben, wenn man die dermaligen Ankömmlinge aus der Oberwelt mit den ehmaligen vergleicht. Ehmals waren es lauter stattliche und größtenteils mit Blut und Wunden bedeckte Männer: jetzt sind es beinahe lauter blasse, hagere oder aufgedunsene Siechlinge, die entweder von ihren eigenen Kindern oder Ehweibern vergiftet oder durch ihre Ausschweifungen und üppige Lebensart vor der Zeit hierher befördert wurden; und den meisten, die zu uns kommen, merkt man's an, daß sie einander ihres Geldes halber auf den Dienst gelauert haben.[367]

CHARON. Es ist eben auch eine gar zu gute Sache darum!

MERKUR. Es wäre mir also wohl nicht zu verdenken, wenn ich meine Schuldfoderung an dich ein wenig schärfer eintriebe?

Quelle:
Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 366-368.
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