VI.

[369] Terpsion und Pluto.


TERPSION. Ist das billig, Pluto, daß ich in meinem dreißigsten Jahr sterben mußte und der neunzigjährige Thukritus noch immer fortlebt?

PLUTO. Sehr billig, mein guter Terpsion, daß ein Mann lebe, der keinem seiner Freunde den Tod wünschet, du hingegen starbst, weil du jenem unaufhörlich nach dem Leben stelltest und aus Hunger nach seiner Erbschaft seinen Tod kaum erwarten konntest.

TERPSION. Wie? Gebührt es sich nicht, daß ein alter Mann, der seinen Reichtum nicht mehr genießen kann, abziehe und jüngern Leuten Platz mache?

PLUTO. Das ist ein ganz neues Gesetz, das du da gibst, Terpsion, und wodurch du einen jeden verurteilst, der seinen Reichtum nicht mehr zur Wollust brauchen kann: das Schicksal und die Natur haben es anders verordnet.

TERPSION. So behaupte ich, daß sie was Ungerechtes verordnet haben! Die Einrichtung hätte so getroffen werden sollen, daß man immer nach dem Alter aus der Welt gehen müßte; der älteste zuerst, dann der nächste nach ihm und[369] so weiter: nicht um gekehrt, daß ein steinalter Greis, der kaum noch drei Zähne im Munde hat, beinahe aller Sinnen beraubt ist und sich mit Hülfe von vier Bedienten kaum noch von einem Stuhle zum andern fortschleppen kann, kurz, der ein Spott der Kinder und ein lebendiges Grabmal ist, daß so einer immer noch fortlebe, die schönsten und gesundesten jungen Männer hingegen sterben müssen; welches ebenso widersinnisch ist, als wenn die Ströme rückwärts zu ihrer Quelle liefen. Wenigstens sollte man die Zeit eigentlich wissen können, wann ein solcher Alter sterben wird, damit man sich darnach richten könnte und ihnen nicht vergebens die Cour machte. Hingegen so wie es jetzt ist, muß oft, wie das Sprüchwort sagt, der Wagen den Ochsen ziehen.

PLUTO. Das alles, mein guter Terpsion, hat das Schicksal verständiger eingerichtet als du dir einbildest. Und am Ende, wer heißt euch so gierig nach anderer Vermögen schnappen und euch von kinderlosen Greisen alles gefallen lassen, in Hoffnung ihre Erben zu werden? Billig werdet ihr dann ausgelacht, wenn sie euch begraben, und sooft so etwas begegnet, verursacht es immer eine allgemeine Freude; je ungeduldiger ihr auf jener ihren Tod geharret habt, je angenehmer ist es allen Leuten, wenn ihr vor ihnen sterbet. Ihr habt da wahrlich eine ganz neue Kunst erfunden, euch in alte Weiber und Greise zu verlieben – die keine Kinder haben, versteht sich; denn dieser Umstand gehört dazu, wenn ihr sie liebenswürdig finden sollt. Daher sind auch manche unter ihnen, weil sie das Hinterlistige in eurer Liebe merken, schlau genug, List mit List zu bezahlen, und stellen sich, um auch Liebhaber zu bekommen, als ob sie ihre Kinder nicht leiden könnten. Aber wenn es zum Testamentmachen kommt, werden die eigennützigen Augendiener doch ausgeschlossen, die Natur behält wie billig die Oberhand, und jene beißen die Zähne zusammen und werden zu ihrem Schaden noch ausgelacht.

TERPSION. Was du sagst, ist nur allzu wahr. Wieviel hat nicht der alte Thukritus von mir erbeutet, während er immer seinem Ende nahe schien, und, sobald ich in sein Zimmer trat,[370] zu ächzen und aus dem Innersten heraus, wie ein eben aus dem Ei gekrochenes Küchelchen, zu piepen anfing! In der festen Überzeugung also, daß er den einen Fuß schon im Grabe habe, glaubte ich ihm nie genug schicken zu können, damit ich ja nicht von meinen Nebenbuhlern an Größe der Präsente übertroffen würde. Die Sorge, das alles auszurechnen und anzuordnen, machte mir manche schlaflose Nacht, ja ich bin gewiß, daß beides die Ursache meines Todes gewesen ist: und der alte Sünder, der eine solche Menge Lockspeise auf meine Kosten verschlungen hat, stand dabei, da ich gestern begraben wurde, und lachte in seinen Bart hinein!

PLUTO. Bravo, alter Thukritus, lebe so lange als menschenmöglich, und sei reich, und lache über die wackern Leute, die dich so gerne beerben möchten! Stirb mir ja nicht, ehe du alle deine Anbeter vorangeschickt hast!

TERPSION. Auch mir kann jetzt nichts Angenehmers mehr begegnen, als wenn Chariades auch vor dem Alten sterben müßte.

PLUTO. Verlaß dich darauf, Terpsion! Auch Pheidon und Melantus und alle übrigen sollen ihm zuvorkommen und von ebendenselben Sorgen hieher gebracht werden wie du!

TERPSION. Das freut mich! Es lebe Thukritus!

Quelle:
Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 369-371.
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