XIX.

[399] Äakus, Protesilaus, Menelaus und Paris.


ÄAKUS. Was ist das, Protesilaus? Warum fällst du so über Helenen her, als ob du sie erdrosseln wolltest?

PROTESILAUS. Weil sie schuld an meinem Tode ist und ich um ihretwillen mein Haus zur Hälfte unausgebaut und meine junge Frau, wenige Tage nach der Hochzeit, als Witwe zurücklassen mußte.

ÄAKUS. So halte dich an den Menelaus, der euch um eines solchen Weibes willen nach Troja schleppte!

PROTESILAUS. Das ist wahr, der soll mir dafür bezahlen!

MENELAUS. Nicht ich, mein guter Mann, sondern von Rechts wegen Paris, der mir, seinem Wirte, gegen alles, was recht in der Welt ist, meine Frau entführte. Er verdient nicht nur von dir, sondern von allen Griechen und Barbaren erdrosselt zu werden, da er dadurch an so vieler braven Männer Tode schuldig worden ist.[399]

PROTESILAUS. Das ist Auch wahr! An dich also will ich mich halten, du unseliger Paris, und nie wieder von dir ablassen, solang ich meine Hände brauchen kann.

PARIS. Daran würdest du sehr unrecht tun, Protesilaus! und um so mehr, da wir beide vom Lieben Profession gemacht haben und also Kunstverwandte sind, die von ebendemselben Gotte getrieben wurden. Denn du mußt doch wissen, daß die Liebe etwas Unfreiwilliges oder vielmehr, daß die eine Gottheit ist, die uns hinführt, wohin sie will, und gegen die kein Widerstand helfen kann.

PROTESILAUS. Du hast recht! Könnt ich doch nur gleich den Liebesgott zu packen kriegen!

ÄAKUS. Ich will dir in seinem Namen sagen, was er mit gutem Grunde zu seiner Rechtfertigung vorbringen kann. Er kann sagen: daß Paris sich in Helenen verliebt habe, daran könnte er allenfalls wohl schuld sein; aber an deinem Tode, Protesilaus, sei kein andrer schuld als du selbst. Wer hieß dich, deine junge Frau sitzen lassen und nach Troja ziehen und so tollkühn allen andern zuvorspringen, daß du gleich bei der Landung das Opfer deiner unmäßigen Ruhmbegierde wurdest?

PROTESILAUS. Nun, Äakus, so will ich mit noch besserem Grunde zu meiner eigenen Rechtfertigung sagen, daß nicht ich daran schuld bin, sondern das Verhängnis und das, was Klotho von Anfang unsers Lebens über uns verordnet hat.

ÄAKUS. Wohl gesprochen! Was klagst du also diese unschuldigen Leute an?

Quelle:
Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 399-400.
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