4.

Gesühnte Schuld

[171] Der Winter war schon längst vergangen; der Frühling hatte seine Blüthenflocken bereits verschneit und es war Sommer geworden. Im Niederlande hatte man die Getreideernte bereits eingeheimst, im Gebirge aber wogte das goldene Aehrenmeer noch über die Felder, und nur hier oder da lag auf der Sonnenseite der Sommerroggen auf der Stoppel, um auf einige Tage gehörig nachzutrocknen.

Es war wieder Sonnabend, aber nicht ein so kühler und düsterer, wie der im vorigen November, dessen Andenken noch nach so langer Zeit unter den Bewohnern des Dorfes die Frische seiner Farben nicht verloren hatte. Die Sonne war längst hinter den westlichen Bergen verschwunden, aber es lag noch immer warm und wohlig auf Wald und Feld, auf Flur und Dorf, und die Leute saßen nach vollendetem Abendbrode vor ihren Thüren, um sich den heimlichen Regungen hinzugeben, welche das Scheiden eines freundlichen Tages in jedem empfänglichen Menschenherzen hervorruft.

Aus dem Forste trat ein junger Mann, der die hellen, munteren Augen liebevoll über das vor ihm liegende Thal gleiten ließ.

»Grüß Gott, du altes gutes Nest da unt'n,« rief er fröhlich. »Da bin ich endlich und werd' nun auch net gleich wieder fortgeh'n!«

Es war Wilhelm. Der bekannte Quersack auf seiner Schulter ließ schließen, daß er wie damals aus der Garnison zurückkehre. Gar nicht weit von ihm war trotz der vorgerückten Stunde eine weibliche Gestalt noch im Klee beschäftigt.[171]

»Wer ist denn das? Ich glaub' gar, das ist die Emma! Sie holt Futter für morg'n früh. Das ist doch Arbeit für das Gesind' und net für die Tochter! Und warum hat man denn den Wagen net genommen?«

Er schritt den Rain entlang und schlich sich vorsichtig bis hart an sie heran. Sie bemerkte sein Kommen nicht. Die Hände über ihre Augen legend, frug er mit verstellter Stimme:

»Sag', wer ist's?«

»Wilhelm!«

»Errathen!« Er schlang den Arm um sie und zog sie an sich. »Willkommen, Emma! Wie geht's?«

Ihre Augen waren geröthet und an den Wimpern glänzte es feucht; sie hatte geweint.

»Willkommen, Wilhelm! Du fragst, wie's geht? Hast Du denn noch nix davon gehört?«

»Was ist's, von dem ich gehört haben soll? Ich glaub' gar, Du weinst! Ist bei euch wieder 'was Ungutes passirt?«

»Es ist nix Neues, und Du weißt's noch net, nur weil Du so weit von hier gewesen bist. Der Dukatenhof ist weg!«

»Das ist doch nimmer möglich! Hat Dein Vater verkauft?«

»Nein, noch schlimmer! Das Gericht hat ihn genommen; übermorgen ist die Versteigerung.«

»Schau, das ist bös! Was sagt Dein Vater dazu?«

»Der sagt nix, gar nix. Er sitzt von früh bis Abends droben in seiner Stub', starrt vor sich hin und spricht kein[172] Wort. Und wenn ich auf ihn red', so antwortet er net, sondern nimmt mich nur immer bei der Hand und blickt mich an mit Augen, mit solchen Augen – ach, es ist zum Herzbrechen!«

Sie legte ihren Kopf an seine Brust und schluchzte laut. Auch er war tief bewegt, und seine Stimme zitterte, als er nach einer stummen Pause frug:

»Kannst Du Dir denken, wer schuld ist an dem Unglück, Emma?«

»Wer?«

»Ich!«

»Du?« Sie blickte unter Thränen erstaunt zu ihm empor.

»Ja, ich! Wenn ich den Pascherkönig net hätte fangen wollen, so wär' gar nix von alledem passirt. Aber die Prämie hat mir in die Augen gestochen, und nach her – nachher hab' ich sie doch net haben mögen!«

»Das hat doch nix mit dem Vater zu schaffen!«

Er schwieg. Sie ahnte nichts von dem wahren Sachverhalte und fuhr zögernd fort:

»Und die Geschichte von dem Lieutenant und dem Köpfle-Franz hast wohl auch noch net gehört?«

»Daß der ihn erschossen haben soll? Warum soll ich das noch net gehört haben? Das weiß doch jedes Kind!«

»Nein, es ist anders gewesen! Jetzt ist der Richtige heraus, der's gethan hat.«

»Ist's wahr?« klang es rasch und erfreut. »So ist der Pathe endlich gerechtfertigt! Wer ist's gewesen?«

»Ach, Wilhelm,« schluchzte sie mit erneuter Heftigkeit, »nein, das kann ich Dir gar net sagen!«[173]

»Warum?«

»Es ist – so fürchterlich, und ich, ich konnt' es gar net glauben. Ich hab' geweint Tag und Nacht und mich vor den Leuten versteckt, als ob ich's selbst gewesen wär'.«

Er ließ erschrocken seinen Arm von ihr gleiten, denn ihm ahnte, was ihr das Sprechen so schwer machte.

»Sag's net, Emma, sag's net; ich werd's auch so erfahren!«

»Siehst Du,« jammerte sie, als sie sich von ihm losgelassen fühlte, »daß Du nun gleich auch nix mehr von mir wissen magst! Und ich kann doch net dafür!« Sie verbarg ihr Gesicht in die Schürze und wendete sich von ihm ab.

»Emma, bleib da. So hab' ich's net gemeint! Es ist ja nur der Schreck gewesen, nix Anders! Komm' her und sei ruhig; Du weißt doch, daß ich Dich lieb hab' und niemals von Dir lassen werd'!«

Er nahm sie wieder an sich und zog ihr die Hände vom Gesicht. Erst jetzt bemerkte er, wie blaß und leidend dasselbe geworden war, und mit inniger Theilnahme küßte er ihr die Thränen aus den Augen.

»Auch net, wenn – wenn der Vater in – in das Zuchthaus muß?« forschte sie stockend.

»Auch dann net; das darfst Du sicher glauben! Aber vielleicht kommt's net so weit. Wissen's denn die Leut' und auch schon die auf dem Gericht'!«

»Ja, der Vater hat sich doch selbst angezeigt! O, Wilhelm, diese Zeit werd' ich nimmer vergessen! Das kam Alles Schlag auf Schlag: erst das Unglück mit dem Klotz,[174] nachher die Anzeige wegen dem Mordloch, dann nahm uns der Agent die Ernt', und das Vieh mußte deshalb aus dem Stall; nun ist der ganze Hof verloren, und wer weiß, was Alles noch weiter folgen kann!«

»Daß es so schlimm steht, hab' ich mir net gedacht! Ich bin damals gleich wieder fort, und von den Eltern hab' ich keinen Brief erhalten. Aber sei doch ruhig; der liebe Gott wird schon helfen, daß es besser geht, als wir jetzt denken. Komm', nimm den Korb, wir wollen nach Hause gehen!«

Er half ihr die Last aufnehmen, und dann schritten sie langsam dem Dorfe zu.

»Ich bin später eingetroffen, als ich eigentlich wollt',« begann er, um ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben; »aber ich war erst drüben im Bad, weil ich den König gern sehen wollt'.«

»Ist er da?«

»Ja. Die Königin gebraucht die Kur, das hast Du wohl auch schon gehört, und heut' hat er sie besucht, um einige Tage bei ihr zu bleiben. Der Ort war voller Menschen, die von allen Seiten herbeigekommen sind, grad' wie zum Jahrmarkt, und die Herrschaften sind Arm in Arm durch das Volk gegangen und haben im ganzen Gesicht gelacht vor Freud', als die Hüt' und Mütz'n ringsum in die Höhe geflogen sind und Alles ›Vivat hoch!‹ gerufen hat.«

Er erzählte weiter und es gelang ihm, sie in eine weniger traurige Stimmung zu versetzen. Bei dem Dukatenhofe angekommen, hemmten sie ihre Schritte.

»Wie lange bleibst Du jetzt da?« erkundigte sich Emma.[175]

»Für stets.«

»Ist's wahr?« rief sie erfreut. »Gehst net wieder fort?«

»Wenn Du mich net fortschickst, nein! Meine Zeit ist um und ich mag net weiter dienen. Zwar hat es mir ganz gut gefallen und ich bin auch vorgerückt; darum haben sie mir viel zugesprochen, daß ich bleiben soll, aber die Emma ist mir lieber als die Muskete, und die Eltern brauchen mich auch notwendiger als der König. Ich könnt' wohl' 'mal 'ne gute Versorgung haben, doch das liegt noch weit im Feld', und hier wird sich wohl auch 'was für mich finden. Wenn Du in Noth und Sorgen bist, so mag ich net fort sein, sondern will bei Dir bleiben!«

»Dir kann's ja nimmer fehlen! Du bist ein tüchtiger Bauer, das ist besser als Soldat, und dann hast Du ja auch den Antheil von den Packeten, die Du damals den Paschern abgenommen hast. Das ist ein schönes Stückchen Geld, denn der Köpfle-Franz hat seinen Part net annehmen wollen und Dir überlassen, net wahr?«

»So ist's. Aber es geht mir auch wie ihm: ich mag's net haben. Zwar ist's kein Sündengeld, aber es brennt mir in die Hand und wird nie Segen bringen. Der, dem's gehört, soll's wieder haben!«

»Kennst Du ihn denn?«

»Ich werd' ihn schon erfahren. Und nachher ist – –«

»Geh' fort!« unterbrach sie ihn. »Der Vater! Mach schnell,« fügte sie ängstlich hinzu, »sonst sieht er Dich!«

Er drehte sich ruhig und ohne ein Zeichen des Schreckens nach dem Eingange um. Dort erschien ein Mann, dem,[176] ganz wie dem Köpfle-Franz, die Beine fehlten, und welcher auch wie dieser den Oberkörper in einen Rollkasten geschnallt hatte. Der schwarze, dichte Bart war lange Zeit nicht verschnitten worden, hing ihm fast bis auf die Brust herab und bildete einen höchst auffallenden Kontrast zu dem schneeweißen Kopfhaare, welches sich lang und glatt über den bleichen, hohläugigen Schädel legte. Es war der Dukatengraf; eine einzige Nacht hatte sein Haar erbleicht, eine einzige Nacht hatte ihn aus der Höhe, in der er sich wähnte, in die Tiefe gerissen. Sein Auge hatte die Gruppe erfaßt.

»Bleib' steh'n, Wilhelm, brauchst Dich net zu fürcht'n, denn ich kann Dir nix mehr anhaben!«

Er schob sich mit den beiden Hölzern, welche er, gerade wie der Köpfle-Franz, in den Händen hielt, herbei und wandte sich an Emma:

»Ich werd jetzt meine erste Ausfuhr machen, net mit der Staatskaross' und net mit dem Braunen, den mir der Baron abgenommen hat, sondern hier auf dem Bußwagen, den ich mir wohl erworben hab'. Laß die Thür offen; ich werd' erst spät wieder zu Haus sein!«

Dann legte er das Holz auf die Erde und hielt dem jungen Manne die Rechte entgegen:

»Wilhelm, Du hast 'mal zu mir gesagt, daß die Ohrfeig', die ich Dir gegeben hab', mit auf die Rechnung kommen soll. Sie hat net d'rauf gestanden, sie konnt' net d'rauf steh'n, und darum hast hier meine Backe oder meine Hand. Schlag zu, oder, wenn Du mir verzeihen willst, so reich' mir Deine Hand.«[177]

Der Angeredete war so erschüttert von dem Anblicke des einst so stolzen und der Demuth des einst so selbstgerechten Mannes, daß er kaum zu reden vermochte. Er gab ihm beide Hände.

»Herr Graf, ich hab' Ihnen ja längst verzieh'n; Gott gebe, daß ich es Ihnen beweis'n kann!«

»Das kannst Du, Wilhelm. Sei gut gegen die Emma und verlaß sie net, wenn ich fort sein werd'! Sie ist besser als ihr Vater, tausendmal besser, und Ihr werdet glücklich mit 'nander sein. Jetzt aber muß ich fort. Geht nur immer hinein in die Stub', und Du, Wilhelm, grüß' mir auch Deine Mutter, die Marie; ich bin net werth, daß solch' Gesind' in meinem Haus gewesen ist!«

Vier Augen blickten ihm nach, als er sich jetzt mühsam und unbeholfen entfernte, aber die Thränen, welche sie füllten, ließen seine Gestalt in's Undeutliche fließen. Emma schluchzte laut und krampfhaft, und Wilhelm hatte sich an den Zaun gelegt, als müsse er gegen die auf ihn einstürmenden Gefühle eine feste Stütze suchen.

Graf schob sich das Dorf hinauf. Auf beiden Seiten der Straße eilte der Ruf von Haus zu Haus: »Der Dukatenbauer kommt; paßt auf! Wo wird er hinfahren?!« Er nickte, still grüßend, nach rechts und links und verfolgte unbekümmert um die ihm in einiger Entfernung nachkommenden Neugierigen seinen Weg bis an das Haus des Köpfle-Franz.

Thüre und Läden waren geschlossen. Er klopfte an.

»Wer ist drauß'n?« frug der Besitzer des Häuschens von innen.[178]

»Mach' auf, Franz; ich bin's, der Heinrich!«

»Welcher Heinrich?«

»Nun, der – der – der vom Dukat'nhof.«

»Bleib' draußen! Bei mir darf Niemand ein, und Du erst gleich gar net!«

»Mach' nur immer auf. Ich hab' Dir 'was zu sagen!«

»Sag's Andern! Von Dir mag ich gar nix hören!«

»Du wirst's schon hören woll'n; es ist 'was von der Anna.«

»Von der Anna? Was denn?«

»Laß mich nur erst ein, dann werd' ich Dir es sagen.«

»Geh' fort! Von Dir mag ich nix wissen, auch über die Anna net.«

»Es sind zwei Brief' von ihr, die ich Dir bring'!«

»Zwei Brief'? Wer hat sie geschrieben?«

»Sie selber. Bitt' schön, laß mich ein!«

»So komm'!«

Die Thüre wurde geöffnet. Im Flur war es dunkel, aber in der Stube brannten die beiden Kerzen zu Seiten des Tisches und ihr Schein fiel verklärend über das aufgeschlagene Bild der Verstorbenen.

Es war ein wichtiger, ein großer, ein entscheidender Augenblick für die beiden Männer, welche sich jetzt in dem ärmlichen Raume gegenüber standen oder vielmehr gegenüber kauerten. Die Augen des Köpfle-Franz funkelten glühend und voll unsagbaren Hasses auf den Zerstörer seines Lebensglückes, und es zuckte über seine Gestalt, als müsse er sich beherrschen, um nicht über ihn herzufallen. Aber je[179] länger er ihn betrachtete, desto mehr verschwand der drohende Ausdruck seines Gesichtes, die Hände entballten sich und in ruhigerem Tone erklang es:

»Komm' näher; hast nix zu fürcht'n!«

Graf's Auge fiel auf das Bild.

»Darf ich hin?«

»Ja; aber net angreifen!«

Er schob sich an den Tisch; aber nicht lange hatte sein Blick auf den bekannten schönen Zügen geruht, so wandte er das Angesicht zur Seite und ließ den Kopf zur Erde sinken. Franz näherte sich ihm.

»Hast Du sie denn auch lieb gehabt?«

»Lieb gehabt?« frug Graf erstaunt. »Nein, net lieb gehabt hab' ich sie, sondern wahnsinnig in sie bin ich gewesen, sonst wäre ich doch net das, was aus mir geworden ist! Aber sie hat mich net leiden mögen all' ihr Lebelang, und da bin ich immer mehr auf die schlechte Seit' gefallen, das Herz ist mir versteint und ich hab' nur Gefallen gefunden an dem, was and're Leut' verdrossen und geärgert hat.«

»Sie hat Dich net leiden mög'n?« ertönte es hastig und mit zitternder Stimme.

»Nein, niemals, blos weil sie Dich lieb gehabt hat.«

»Mich lieb gehabt? Aber sie ist doch Deine Frau geword'n!«

»Weil sie gemußt hat. Als ihr Vater todt war, hat ihr die Mutter in den Ohren gelegen, weil der es um die Versorgung zu thun gewes'n ist. Und ich, ich hab' Alles hervorgesucht, um ihren Willen zu brechen. Ich hab' gesagt,[180] daß ich im Mordloch gewesen bin und gesehen hab', daß Du ihren Vater wirklich erschossen hast, und daß ich gegen Dich zeugen und schwören wolle, wenn sie net meine Frau werd'. Das hat geholfen. Um Dich zu retten hat sie endlich ›Ja‹ gesagt.«

»Um mich zu retten!« jauchzte Franz. Seine Liebe hatte im Laufe der Jahre eine vollständig ideale Richtung genommen; er dachte nicht an die bodenlose Schlechtigkeit, welche in dem Verhalten Heinrichs gelegen, dachte nicht daran, daß gerade dieser Beweis von Liebe ihn um ihren Besitz gebracht hatte, sondern er fühlte nur die furchtbare Last von sich genommen, welche der Gedanke, daß ihr Herz dem Dukatengrafen gehöre, auf ihn geworfen hatte. Unter ihrem Drucke hatte er mehr gelitten als unter der äußeren Verstümmelung, sie hatte auch die Kräfte seines Geistes gebrochen und ihn zu dem »Verrückten« gemacht, der von den Unverständigen verspottet und von den Einsichtsvollen bemitleidet wurde.

»Ja, nur um Deinetwillen. Sie hat mir das auch nie verschweigen mögen. Wenn Du unter den Bäumen gelegen bist, so hat sie im Garten gestanden und geweint und nach Dir hingeblickt, und wenn Du auf Reisen gewesen bist, so ist sie an Dein Haus gegangen und hat stundenlang vor Deiner Thür' gesessen. Ich hab's net leiden wollen, aber sie ist mir immer wieder entschlüpft, und da ihr euch dabei doch nie getroffen und gesprochen habt, so bin ich endlich auch darüber still geworden.«

Franz athmete förmlich jedes dieser Worte von den Lippen des Sprechers; seine Züge wurden hell und immer[181] heller und in tiefen Stößen drang der Athem aus seiner sich erleichternden Brust.

»Da ist sie doch immer mein geblieben und gar niemals Deine Frau gewesen!« rief er mit freudestrahlendem Angesichte.

»Ja. Ich hab' sie um ihr Glück betrogen und dabei ist mir Alles zum Unheil ausgefallen. Auf Dich wollt' ich schießen und ihren Vater hab' ich getroffen; nachher sollte Dich der Klotz todt machen, aber Du bist – – –«

»Der Klotz? Der ist net von selber auf mich gerollt?«

»Nein; das muß ich Dir Alles sagen, denn deshalb bin ich ja heut' zu Dir gekommen. Ich hab' ihn fortgerollt, damit er Dich hat treffen soll'n.«

»So ist's doch wahr, was ich mir net hab' denken können, weil's gar zu grausig schlecht gewesen ist! O Du doppelter und dreifacher Mörder, Du bist doch ein wahrer Teufel in Menschengestalt und solltest grad' von unten auf gerädert werden!«

»Franz, das bin ich ja auch schon! Siehst's net? Und in meinem Alter hat das mehr zu bedeuten als damals, wo Du noch jung gewesen bist. Seit ich die Schul' verlassen hab', ist mir der Glaube an Gott abhanden gekommen, jetzt aber weiß ich, daß es wirklich die Gerechtigkeit gibt, die in der Bibel steht: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹. Dir hab' ich die Füß' genommen, nun sind mir die meinen auch zermalmt; und dasselbe Holz hat's gethan, was ich auf Dich gestoßen hab'! Der liebe Gott hätt' vielleicht noch Nachsicht gehabt mit mir, aber weil ich auch den Wilhelm hab' zerschmettern wollen, so – – –«[182]

»Auch den Wilhelm? Geh fort, Graf, geh, ich kann's net länger hören! Ich hab' vorhin gesagt, daß Du in meiner Stub' alleweil nix zu fürchten hast, d'rum geh, mach schnell zur Thüre hinaus, daß ich mein Wort net brechen thu'!«

»Nein, Franz, laß mich nur da, denn Du mußt Alles wissen! Meinetwegen magst Du auf mich schlagen wie Du willst, ich nehm' es ruhig hin, wenn ich Dir nur beichten darf, was ich an Dir verbrochen hab'! Hast's net gehört, daß ich mich schon beim Gericht selbst angezeigt hab', von wegen dem Lieutenant? Ich braucht's net zu thun, aber Du sollst gerechtfertigt sein. Sie haben mich blos deshalb noch net abgeholt, weil ich bisher krank gewesen bin und net ausreißen kann. Wenn meine Buß' hier zu Ende ist, werd' ich mich gefangen geben. Heut' bin ich bei Dir, morgen geh' ich in die Kirch', übermorgen laß ich mich aus dem Dukat'nhof weisen und Dienstag fahr' ich mit meinem Karren nach dem Zuchthause. Ich will Alles thun und Alles tragen, denn ich hab's verdient, und die Emma wird – –, ach Gott, mein Kind, mein gutes, liebes, unschuldiges Kind – –!«

Es wurde still in dem Raume. Der Eine hatte ausgekämpft und beugte sich unter den Konsequenzen seiner Thaten. In dem Innern des Anderen tobte der Kampf noch fort, ja, er war jetzt erst von Neuem ausgebrochen und versetzte die Fluthen seiner Seele in einen Aufruhr, der unmöglich in wenigen Minuten zu bezwingen war.

»Und noch Eins muß ich Dir gestehen,« fuhr der Dukatenbauer endlich fort. »Damals, als Du aus meinem Hofe geschafft warst und krank zu Haus' lagst, wo die[183] Marie Dich pflegte, da ist die Anna alle Tag gekommen und hat sie gefragt; wie's mit Dir steht. Nachher hat sie ein Schreiben gemacht an Dich, was die Marie Dir geben sollt', ich aber bin darüber gerathen und hab' ihr's konfiszirt. Hier ist's. Ich bin in tausend Nächten darüber gesessen und hab's mit Grimm und Aerger immer wieder lesen müssen.«

Franz griff begierig nach dem Papiere, es war zerknittert und beschmutzt und mußte allerdings viel in Gebrauch gewesen sein. Die Nähe des Lichtes suchend, saugte der ungeübte Leser die Worte langsam von dem Zettel, wiederholte jeden Satz, bis er ihn seiner Seele einverleibt fühlte, und als er zu Ende war, wandte er sich mit zuckenden Lippen zu dem Nebenbuhler:

»Schau, Graf, die Stöß' dort unter'm Ofen, das Alles ist nur ihr Bild, nur immer wieder ihr Kopf. Ich hab' gebettelt und gehungert, um Papier zu haben, hab' Tag und Nacht und Jahre lang gesessen, ehe ich ihn ähnlich brachte, aber ich geb' all die Bilder hin für diesen einen Brief, und den bekommst net wieder, der geht alleweil mit mir in's Grab.«

»Du sollst ihn auch behalten, dafür hab' ich ihn hergebracht. Hier ist noch einer; den hat sie ge schrieb'n gleich vor dem Tod. In ihrer letzt'n Stund' mußt' ich ihr versprechen, daß ich ihn Dir selber bringen wollt'. Es ist geblieben bis heut'; warum, das kannst Du Dir denk'n.«

»Zeig' her!«

Er war nur kurz, aber sein Inhalt brachte einen tiefen Eindruck, eine außerordentliche Wirkung auf Franz hervor.[184] Mit geschlossenen Lidern lehnte er an der Wand; die widerstreitenden Empfindungen seines Innern gingen in bald zornigen, bald milderen Zügen über sein matt erleuchtetes Gesicht, Minute um Minute verrann, die Lichter brannten herab, zischend und flackernd verlöschte eines nach dem anderen, es wurde dunkel in der Stube und noch immer regte er sich nicht. Endlich, endlich klang ein langer, schwerer Seufzer durch die Stille.

»Heinrich!«

»Franz!«

»Ich hab' Dir vergeben!«

»Franz, ist's möglich, ist's wahr?«

»Ja! Die Anna hat's gewollt; in dem Brief', da steht's geschrieb'n, und da will ich's auch thun. Wir sind Freund gewesen von Jugend auf bis an den Tag, wo meine Liebe zu ihr uns getrennt hat, meine Liebe zu ihr soll uns nun in unseren alten Tagen auch wieder zusammenführen. Sie hat Dir vergeben in ihrer Todesstund', ich will auch Alles vergessen und nimmer wieder davon reden so lang ich noch leb'!«

»Gib mir Deine Hand d'rauf, Franz!«

»Die sollst Du haben, aber net hier, wo meine Flüch' über Dich zum Himmel gestiegen sind, hier ist's net heilig genug dazu; komm mit!«

Sie verließen das Haus.

Längst schon war es Nacht geworden und tiefe Ruhe lag über dem Dorfe. Schweigend folgte Heinrich seinem Führer, welcher denselben Weg nahm, den Graf vorhin herauf gekommen war. Die Schänke wurde zugeschlossen,[185] und der letzte Gast, welcher sie verließ, kam ihnen mit langsamen Schritten entgegen. Als er die beiden außergewöhnlichen Gestalten bemerkte, blieb er stehen.

»Das ist ja der Köpfle-Franz mit dem Dukatengrafen! Ich bin schon oft bei Dir gewesen, Franz, hab' aber net hineingekonnt.« Es war der alte Ortsvorsteher.

»Ist auch net nöthig. Zu mir braucht Niemand zu kommen; Du auch net.«

»Ich wollt' Dir nur sagen von wegen damals, als ich Dich bei Deiner todt'n Mutter traf, daß ich Dir Unrecht gethan hab'.«

»Das brauchst Du mir net zu sagen, das hab' ich schon ganz von selber gewußt. Der Franz hat damals ohne Dich fertig werden müssen, er braucht Dich heut' auch net. Mach', daß Du nach Hause kommst!«

Die Begegnung mit dem Manne, der dem Trostbedürftigen einst so hart entgegen getreten war, hatte seine jetzige Stimmung wie eine Entweihung berührt. Er entfernte sich, so schnell es seine Gebrechlichkeit gestattete. An der Kirche angekommen, lenkte er nach dem Gottesacker ein, dessen Thüre niemals verschlossen war. Heinreich folgte ihm. Er wußte nun, wohin der Weg gehen sollte; es war derselbe, welchen er auch unternommen hätte, wenn er allein von seinem bisherigen Feinde zurückgekehrt wäre.

Das Grab war trotz der Dunkelheit leicht gefunden; der feine Duft der Reseda zeugte davon, daß der Hügel in einer liebevollen Pflege stehe.

»Komm her, Heinrich. Ich hab' mich von der Todten gewandt', weil sie die Dukatenbäurin war; das hat sie net[186] verdient, und d'rum werd' ich's wieder gut machen: Bleib' drüben, sie soll mitten zwischen uns sein. So; und nun reich mir Deine Hand herüber und sie mag hören, was ich Dir alleweil' sag: Was Du an uns gethan hast, das ist so gut als hättest Du's niemals gethan. Es wird kein Mensch jemals davon ein Wort aus meinem Munde hören. Wir wollen nun wieder Freunde sein, uns Lieb's und Gut's erzeigen und immerfort so hand'ln, daß sie mit uns zufrieden ist! – Und nun, Heinrich, nun wollen wir beten!«

»Franz, wart' noch!« Man hörte es der Stimme an, in welcher Bewegung sich der Sprecher befand. »Wir dürfen net heimlich beten, sondern laut. Ich hab's heut hier thun wollen auch ohne Dich, und daß Du mit dabei bist, das soll's net anders machen. Als ich krank und zerschlagen im Bett' gelegen bin, da hab' ich das Buch vor mir liegen gehabt und das Lied auswendig gelernt, das sie sich zum Begräbniß bestellt hat. Es soll auch 'mal bei dem meinigen gesungen werden. Und jetzt, jetzt will ich davon bet'n!«

Er faltete die Hände. Es war heut ein Tag der Sühne, und eine Sühne sollte es auch sein, die er jetzt an dem Orte brachte, wo sich sein Hochmuth gegen die Stimme des göttlichen Wortes empört hatte. Wolken verhüllten das Firmament; nur hie und da blickte aus dem unendlichen Raume ein Stern vorübergehend zwischen ihre zerrissenen Schleier hindurch; schwarz und gespenstisch ragte die Kirche in die Nacht empor; die Lüfte schwiegen, kein Laut ließ sich hören, kein Lebenszeichen drang über die alten, halb[187] zerfallenen Kirchhofsmauern herein zu den beiden Männern. Da rasselte es plötzlich wie rollendes Eisen im Innern des Thurmes, die Kirchenuhr hatte ausgehoben, ihre vom Roste zerfressene Maschinerie erzitterte, krachte und stöhnte unter der Schwere der Gewichte, und mit tiefen, mahnenden Schlägen ertönte die zwölfte Stunde durch das Thal. Als der letzte Ton verklungen war, begann der Dukatengraf:


»O Ewigkeit, du Donnerwort,

O Schwert, das durch die Seele bohrt,

O Anfang sonder Ende.

O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,

Vielleicht schon morgen oder heut

Fall ich in deine Hände.

Mein ganz erschrock'nes Herz erbebt,

Daß mir die Zung' am Gaumen klebt!«


So wenig sich Franz um die Leute zu bekümmern pflegte, er hatte doch von dem Verhalten Heinrichs an dem Grabe Anna's gehört, und darum wußte er, was das Lied in der jetzigen Stunde bedeuten solle. Der heutige Tag hatte die Versöhnung zu schnell von ihm gefordert, als daß sich nicht ein Rest des alten langgenährten Hasses in irgend einem Winkel seines Herzens hätte verbergen können; aber was davon ja noch übrig geblieben war, das wurde durch die Erschütterung des gegenwärtigen Augenblickes gelöst und wich der tiefen Reue des einst so harten, jetzt aber schwer getroffenen Sünders. Dieser fuhr nach einer kurzen Pause fort:


»Wach auf, o Mensch, vom Sündenschlaf,

Ermunt're Dich, verlor'nes Schaf,

Zu einem neuen Leben.

Wach auf, denn es ist hohe Zeit[188]

Und Dich ereilt die Ewigkeit,

Dir Deinen Lohn zu geben.

Zeig' reuig Deine Sünden an,

Daß Dir die Gnade helfen kann!«


»Amen!« erscholl es von vier Lippen, und Franz reichte seine Hand zum zweiten Male über das Grab hinüber.

»Das Lied hat nur Dir gegolten, Heinrich, aber es hat auch mich getroffen. Du hast Deine Sünden angesagt und darum soll Dir auch die Gnade helfen. Was das sagen soll, das wirst Du bald von mir hören. Jetzt aber bitt' ich, geh', Heinrich! Laß mich allein hier bei der Anna. Was zermalmt gewesen ist in mir, das ist heut' plötzlich heil geworden; aber mein armer Kopf ist's net gewöhnt und muß hier ruh'n, bis er's ertragen kann. Schlaf wohl!«

»Gute Nacht! Segne Dir's Gott tausend Mal, was Du heut' an mir gethan hast. Ich vergeß Dir's nimmer!«

Er verließ den Kirchhof. Als er den Hof erreichte, fand er das Thor noch offen. Emma hatte auf ihn gewartet, und Wilhelm befand sich bei ihr. Sie hatten Sorge um ihn gehabt und waren ihm nun behilflich, die Treppe hinauf in seine Stube zu kommen. Dort blieb der junge Mann bei ihm zurück.

»Ich möcht' Sie gern 'was fragen, Herr Graf,« begann er, als Emma sich entfernt hatte; »und darum bin ich so lang auf dem Hof geblieben. Darf ich?«

»Frag' nur immer, Wilhelm! Wenn ich kann, so werd' ich Dir gern Bescheid sagen.«

»Sie haben am End' wohl auch davon gehört, daß ich[189] für die Packet', die ich damals im Walde fand, Geld bekommen hab'. Das mag ich net behalten! Ich hab's zwar net gestohlen, aber ich hab's doch mit Gewalt Dem abgenommen, der's für die Waar' gegeben hat. Nun möcht' ich's wohin legen, wo der es finden kann, dem's gehört. Darf ich Ihnen den Ort sagen, damit Sie mir der Zeuge sind, wenn es vielleicht 'mal nöthig sein sollt'?«

»Wilhelm, Du bist ein braver Mensch, das seh' ich jetzt schon wieder. Mit dem Schweigen über die beiden Leute, die Du damals getroffen hast, da sollst Du Deinen Willen haben, aber das Geld, das behalt' in Gottes Namen. Den Du meinst, der nimmt es doch net wieder, und weil Du es hast, grad' erst recht net. Und wenn Du die Emma wirklich lieb hast, so kannst's doch wohl gebrauchen!«

»Ist's denn auch wahr, daß ich sie nehmen darf? Sie ist das Kostbarste, was ich nächst den Eltern hab', und wenn sie meine Frau ist, so soll es sicher keinen Anderen geben, der Ihnen ein guter Sohn ist, so wie ich!«

»Ja, Du sollst sie haben; hier meine Hand darauf! Ich denk', daß Du ihr nix entgelten läßt von dem, was an dem Vater net recht gewesen ist.« –

Seit langen, langen Jahren war es heut' das erste Mal, daß Heinrich sich mit der Genugthuung zur Ruhe legte, welche die Erfüllung einer Pflicht als Segen mit sich bringt. Sein Schlaf war fest und ungestört und als er erwachte, fühlte er sich nicht nur körperlich gestärkt, sondern auch innerlich befestigt, und die Zukunft erschien trotz ihrer schweren Schatten ihm nicht so dunkel wie vorher. Als er das Fenster öffnete, um die frische, würzige Morgenluft[190] hereinstreichen zu lassen, gewahrte er den Köpfle-Franz, welcher das Dorf herab kam und Miene machte, zu passiren ohne herein zu kommen. Er winkte ihm.

»Nachher!« rief der auf's Neue gewonnene Freund über den Zaun herüber. »Ich muß zum Bad!«

Es war Sonntag, und als die Glocken zur Kirche läuteten, folgte auch Einer, der seit fast einem Menschenalter nicht in seinem Stuhle gesehen war, ihrem Rufe. Die Augen der Anwesenden waren mehr auf ihn gerichtet, als auf den Pfarrer, er aber schien dies nicht zu bemerken, sondern lauschte den Worten des Letzteren, der den seltenen Zuhörer gar wohl bemerkt hatte und, von der Aenderung seines Sinnes überzeugt, gar manchen tröstenden und erhebenden Wink einfließen ließ, von welchem in dem Konzepte seiner Rede nichts zu lesen war.

Als er nach Hause kam, fand er zwei Gäste vor, die eben aus dem leeren Stalle traten. Es war der Baron mit dem Agenten. Sie hatten wegen der morgenden Versteigerung einen Rundgang durch den Dukatenhof unternommen und begrüßten ihn in einer ganz anderen Weise, als es früher geschehen war. Wilhelm hatte ihren Begleiter gemacht.

»Guten Morgen, Dukatengraf!« meinte der Baron. »Wo hast Du heut' Deine Kette gelassen? Und an dem Rocke hier sind doch schwarze Knöpfe!«

»Die Dukaten hab't ihr, und die schwarzen Knöpfe hab' ich. Wollen seh'n, wer das Seine am längsten behält!«

»Oho, bist Du heut' patzig! Aber wahr ist's, die Dukaten haben wir und auch noch mehr dazu. Schau her!«[191] Er zog ein Portefeuille aus der Tasche und entnahm demselben mehrere kleine, sorgfältig eingeschlagene Päckchen. »Das ist der Preis für den Dukatenhof, der morgen unser wird. Du warst kein dummer Kerl, aber gekauft haben wir Dich doch, und wenn das Gut zerschlagen ist, so sind wir hier fertig und versuchen es wo anders mit einem noch Gescheidteren.«

»Das könnt ihr thun, wenn ihr den Hof auch wirklich bekommt. Jetzt aber bin ich noch hier und die Straße da draußen ist euer. Macht, daß ihr mit einander hinauskommt!«

»Gut, Du sollst Deinen Willen haben, Dukatenmann; aber morgen hörst Du auch den uns'rigen und dann ist's umgekehrt!«

Mit stolzen, selbstbewußten Schritten ging er davon. Auch der Agent hatte nach einer Brieftasche gegriffen und sie geöffnet. Ohne ein Wort des Abschiedes konnte er unmöglich den Platz verlassen. Er trat hart an Graf heran, hielt ihm das geöffnete Notizbuch vor die Augen, blinzelte ihn höhnisch durch den blauen Klemmer an und frug:

»Sehen Sie diese Ziffern, Herr Graf? Das ist bei Heller und Pfennig, was Sie im Spiel zum Fenster hinaus geworfen haben und von uns natürlich aufgefangen worden ist. O, wir führen sehr genau Buch, und wenn Ihnen an diesen Notizen gelegen ist, so will ich sie Ihnen zur Verfügung stellen. Sie können sich die Zeit damit vertreiben, wenn dieselbe ihnen jetzt nun wegen dem Lieutenant etwas lang gemacht wird! Und was – – –«

Er konnte seine Abschiedsrede nicht vollenden, denn[192] Wilhelm hatte ihn bei der letzten Wendung derselben beim Kragen genommen und brachte ihn mit solcher Geschwindigkeit vor das Thor hinaus, daß sogar der Klemmer von dem gewaltsamen Fortschritte ergriffen wurde und trotz des weiten Weges bis vor auf die Nasenspitze rutschte. Ihn wieder an den gehörigen Ort zurückschiebend, schickte sich der kleine Mann zu einer ernsten Verwahrung gegen ein so summarisches Verfahren an, der Baron aber ergriff ihn am Arme und zog ihn lachend mit sich fort.

»So ist Dir's recht geschehen, Kleiner! Du brauchtest mit Deinem Näschen nicht so ewig lang da drin herum zu schnobern! Aber nimm Dir's nicht zu sehr zu Herzen. Heut' mir und morgen Dir!«

Auf dem Rückwege vom Thore bemerkte Wilhelm ein mehrfach zusammengeschlagenes Papier, welches an der Erde lag. Es mußte bei dem ungewöhnlich raschen Transporte dem Agenten aus der Brieftasche gefallen sein. Er nahm es auf und schlug es aus einander. Es war ein Blatt aus einer fremden Zeitung, zeigte ein längst vergangenes Datum und enthielt neben gerichtlichen Ankündigungen und einem Börsenkurse nur werthlose Annoncen. Schon wollte er es wegwerfen, als sein Gesicht auf einmal einen ganz anderen, gespannten Ausdruck annahm.

»Steht 'was Wichtiges d'rin?« frug Graf.

»Was sehr Wichtig's. Das müss'n wir uns 'mal genau anseh'n und überleg'n. Kommen Sie herein!« –

Auch den Nachmittagsgottesdienst besuchte Graf. Als er sich der Kirche näherte, bemerkte er vor dem Pfarrhofe eine zweispännige Kutsche; der livrirte Kutscher saß in[193] stolzer Unbeweglichkeit auf dem Bocke, den Peitschenschaft auf dem rechten Knie, und ein ebenso gekleideter Diener stand am Schlage. Ob gleich aus der Anwesenheit des Geschirres zu ersehen war, daß der Pfarrer vornehmen Besuch habe, lenkte der Bauer doch an der Kirche vorüber und auf die Wohnung des Geistlichen zu. Dort angekommen, fand er außer dem ihm wohlbekannten Direktor des nahen Bezirksgerichtes eine Dame und einen Herrn vor, deren Aeußeres ein so respekteinflößendes war, daß er sich augenblicklich unter einer Entschuldigung zum Verlassen des Zimmers anschickte; der Pfarrer aber hielt ihn davon zurück.

»Bleiben Sie, Graf; Ihr Kommen stört uns nicht!« versicherte er, indem sein Auge theilnahmsvoll die verkrüppelte Gestalt des Ankömmlings überflog. Auch die drei Anderen ließen ihre Blicke mit mitleidigem Interesse auf ihm ruhen. »Was bringen Sie mir?«

»Es sind zwei Bitt'n, mit denen ich komm', Herr Pastor; aber weil Sie net allein sind, so weiß ich net, ob ich sie sagen darf.«

»Sprechen Sie immer, wenn es nicht etwas nur unter vier Augen zu Verhandelndes ist!«

»Eigentlich wär's wohl so 'was; aber ich hab' Sie net unter vier Augen beleidigt, und so kann ich auch jetzt öffentlich darüber sprechen. Sie wissen wohl noch Alles, wie es dazumal beim Begräbniß meiner Frau gewesen ist! Ich war ein harter, gotteslästerlicher Mensch, der sich aus dem lieben Gott nix machte und keinem Mensch'n 'was zu lieb und gut gehalt'n hat. Ihre Red' wollt' mich im[194] Herzen packen, darum hab' ich sie abgeschüttelt und bin davon gelaufen. Aber Dem da droben bin ich doch net ausgerissen, sondern er hat mich festgehalten und mir den verdienten Lohn gegeben. Da, sehen Sie, Herr Pastor, was aus dem stolzen Dukatenbauer geworden ist, ein armseliger, elender Vogelscheucher, der sich kaum noch über die Straß' schleppen kann und der nun gar noch im Zuchthaus' sterben und verderben wird. Aber eh' ich dahin komm', will ich erst überall Buß' thun, wo ich gesündigt hab', und da komm' ich auch zu Ihnen, um Sie um Vergebung zu bitten für das, was damals geschehen ist!«

Es waren einfache Worte, welche er sprach; der Ton seiner Stimme klang ruhig und unerregt, aber gerade dieser stille, leidende Ernst seiner Rede machte einen tieferen Eindruck, als wenn sie unter Weinen und Klagen vorgebracht worden wäre.

»Was Sie damals gethan, Graf, das haben Sie nicht gegen mich, sondern gegen Den unternommen, dessen Dasein Sie zu jener Zeit leugneten. Er ist gerecht und straft die Sünde, aber er zürnt nicht ewig. Ich als der Diener an seinem Worte reiche Ihnen hier die Hand zur Versöhnung; seine Gnade ist größer als unsere Missethat; sie gehet niemals zu Ende und wird sich auch Ihrer erbarmen. Ich weiß, was gestern Abend auf dem Kirchhofe geschehen ist. Wer so bereut, der darf Verzeihung finden!«

»Ich danke, Herr Pfarrer! Ich will ja gern Alles auf mich nehmen, was ich verschuldet hab', wenn ich nur weiß, daß mir's vergeben ist. Und die andere Bitt', die ist von wegen dem Köpfle-Franz.«[195]

Er griff in die Tasche und zog ein Papierpacket hervor, welches er öffnete. Es enthielt die Dukatenkette nebst den Goldstückknöpfen von Rock, Hut und Weste.

»Das sind die Zeichen von dem Hochmuthe, dem ich all mein Elend zu verdanken hab'! Nix, gar nix hab' ich bei dem Untergange retten können, als diese flimmrigen Schandflecke, und nun soll grad' Der sie bekommen, gegen den ich am schlechtesten gewesen bin, der Köpfle-Franz. Aber wissen darf er's net, daß die Gabe von mir kommt, sonst nimmt er sie net an, weil ich's jetzt selber brauch'. Ich bitt' Sie d'rum recht schön, Herr Pfarrer, wenn ich übermorgen fort sein werd' von hier, so verkaufen Sie das Zeug, und was Sie dafür kriegen, das geben Sie ihm. Wenn er denkt, daß es von jemand Anderem kommt, so wird er sich net weigern, es zu nehmen.«

»Das wollte ich Ihnen gern besorgen, wenn ich nicht dieselbe Ansicht hätte wie er. Ihre Tochter steht nun so allein und verlassen da, daß sie die Goldstücke wohl ebenso nöthig hat wie der Franz.«

»O nein, Herr Pfarrer! Der Wilhelm ist ein gar braver Bursch'; der wird für sie sorgen und sie niemals net im Stiche lassen. Wenn's sonst nix wär', so braucht' ich mir um sie wohl keine Sorg' zu machen!«

»Dann geben Sie die Kette her! Ich will sehen, was ich dafür löse und werde Ihnen später über Ihren Auftrag Nachricht zugehen lassen.«

»Dann dank' ich Ihnen zum zweiten Mal', Herr Pastor. Mög' der liebe Gott net schlimmer mit mir in's Gericht gehen, als wie Sie es thun. Und wenn ich erst[196] 'mal vom Dorfe weg bin, so seh'n Sie doch zuweil'n mit nach meinem Kinde; ein freundlich Wort wird immerdar zu brauchen sein, und ich weiß, Sie sind bereit dazu!«

Er fühlte es weich und warm an seinem Herzen emporsteigen und nahm daher schnell Abschied, um die über ihn kommende Rührung zu verbergen. Die Glocken läuteten zur Kirche; er folgte ihrem Rufe – zum zweiten Male seit langer Zeit und zum letzten Male wohl für das ganze Leben. Und nach beendigtem Gottesdienste besuchte er den Kirchhof, um Abschied zu nehmen von dem Hügel, der ihm bisher so gleichgiltig war und an dessen Seite ihm nun auch die Ruhestätte verweigert werden sollte. Seine letzte Stunde sollte ihm nun hinter eisernen Gittern schlagen, und sein Grab, es lag wohl einmal außer der Reihe derjenigen, zu denen die Liebe ihre treuen Schritte lenken darf.

Zum Dukatenhof zurückgekehrt, fand er denselben von einer zahlreichen Menschenmenge belagert. Ohne daß man wußte woher, hatte sich das Gerücht, der König und die Königin seien vom Bade herüber gekommen, erst beim Pfarrer gewesen und dann nach dem Dukatenhof gefahren, wie ein Lauffeuer durch das Dorf verbreitet, und Alles war herbeigeilt, um die hohen Herrschaften zu sehen. Die Posaune des letzten Gerichtes hätte ihn nicht schrecklicher treffen können, als diese unerwartete Kunde, und er mußte alle seine Kraft und Selbstbeherrschung zusammen nehmen, um sich ihren Eindruck vor den vielen Leuten nicht merken zu lassen.

Längst schon war er hinter dem Thore verschwunden,[197] Viertelstunde auf Viertelstunde war vergangen, da endlich wurde die Thüre aufgestoßen und der Köpfle-Franz erschien unter derselben. Die Arme so hoch wie möglich in die Luft werfend, gab er das Zeichen zur Ruhe und rief dann:

»Hört 'mal, ihr Leut', wenn ich schrei', so schrei't ihr auch!«

Er konnte die Zustimmung des Publikums gar nicht abwarten, denn schon im nächsten Augenblicke traten die Erwarteten aus dem Hause. Der Diener öffnete den Schlag; sie stiegen ein und der Bezirksgerichtsdirektor folgte ihnen. Da richtete Franz sich so hoch wie möglich empor und rief so laut er nur konnte:

»Paßt auf, ihr Leut'! Alleweil soll der Herr König leben, vivat hoch!«

»Hoch!« brauste es über die anwesende Menge dahin.

»Und die Frau Königin grad' erst recht daneb'n, vivat hoch!«

Der Ruf wiederholte sich und endete nicht eher, als bis der Wagen den Augen der Nachblickenden vollständig entschwunden war. Köpfle-Franz aber kehrte gar nicht wieder in den Hof zurück, sondern schlich sich so schnell wie möglich am Zaune hin und schlug dann den Weg nach seiner Wohnung ein. Noch niemals hatte er sich mit so freudigem Gesicht das Dorf hinaufgeschoben, und als er bei geschlossenen Läden und angesteckten Lichtern vor dem Bilde der einstigen Geliebten hockte, lag auf seinem Gesichte eine Verklärung, welcher jenes unbeschreibliche Etwas in seinen Zügen vollständig gewichen war.

»Nun ist's zu End' mit allem Haß und Streit, mit[198] aller Angst und Sorg', Anna! Aber gekämpft hab'n wir auch, daß es so weit gekommen ist. Der König hat net gleich gewollt, sondern gesagt, da gäb' es vorher erst gar viel auf dem Gericht zu thun, ehe an die Gnad' zu denk'n sei, aber die Emma ist fast todt gewesen vor Herzeleid, der Heinrich hat vollends gar kein Wort zu Weg' gebracht, auch der Wilhelm hat geweint und gebeten, und da sind der Königin die Thränen über die Wang' gestürzt und sie hat ihren Mann bei der Hand gefaßt und ihn so lieb und gut angeschaut, daß ihm das Herz endlich doch übergelauf'n ist. Er hat mit dem Gerichtsdirektor noch einige Wort' in einer fremden Sprach' gesprochen und dann gesagt: ›Nun gut, er soll net gefangen sein. Wo so viel Reu' und Fürsprach' ist, da kann kein König widersteh'n!‹ Aber nun die Freud', die sollt'st Du seh'n! Der Heinrich hat geschluchzt wie ein Kind, die Emma hat dem König und der Königin immer nur die Händ' geküßt und mit Thränen gesalbt, der Wilhelm und ich, wir sind vor Glück auch ganz stumm gewesen, und die Herrschaften haben selbst net gewußt, wo sie mit ihrer Rührung hin sollen. Anna, das war die schönste Stund' in meinem Leb'n! Und nun werd' ich meine Rache vollenden, aber net die, welche ich erst gewollt hab', sondern eine andere, eine viel, viel schönere und bessere!«

Er schob sich zum Ofen und zog die Bilderstöße unter demselben hervor; dann entfernte er das Blech und eine Lage Ziegelsteine und griff in die jetzt sichtbar werdende Vertiefung.

»Hier sind sie, die Dukatensäck', alle mit einander! Ich[199] hab' gebettelt und gemalt, gescharrt und gespart wohl an die dreißig Jahr, und wenn es mir 'mal gar zu schwer hat werden wollen, so hab' ich gedacht: es ist für Deine Rache; der Heinrich muß aus dem Dukatenhof und Du ziehst an seiner Stell' hinein! Dann hab' ich wieder von Neuem Kraft gehabt, bin im Land' herum gefahren, hab' gehungert und gedurstet, im Wald oder auf der Wiese geschlafen, und wenn ich heimgekommen bin, so ist der Beutel voll gewesen und ich hab' Dir das Geld vom Heller bis zum Pfennig vorgezählt. Jetzt ist's nun gut, und ich kauf' auch den Hof, aber net für mich, und der Heinrich, der soll net hinausgestoßen werden, sondern er soll der Dukatenbauer sein, wie er's bisher gewesen ist. Ich aber, ich bleib' bei Dir in meinem Häuschen; ich mag net fort, denn der Köpfle-Franz und die Anna, die passen nirgends anders hin!«

Nun war in dem ärmlichen Raume wieder jenes verheißungsvolle Klingen zu hören, wie am Abende des Begräbnißtages; die Nachtruhe blieb dem Auge des Bewohners fern, und als es am Morgen an den Laden klopfte, hatten seine hellen Augen keinen Schlaf gesehen.

»Wer ist's?« frug er.

»Ich bin's, Path', der Wilhelm!«

»Hast Du den Karren mit?«

»Ja.«

»So ist' gut. Ich werd' aufmachen.«

Er öffnete. Wilhelm hielt mit einer Schubkarre draußen.

»Du hast mich bestellt, Franz. Was soll ich denn fortschaff'n?«[200]

»Komm herein! Wirst's gleich seh'n!«

Mitten in der Stube stand ein alterthümlicher Kasten von starkem, halbverrostetem Eisenblech.

»Diese Truhe hier schaffst Du mir nach dem Dukatenhof und das Papier auch mit, welches 'draufliegt. Es kommt in die untere Stub'.«

»Schön!« Er wollte den Kasten vom Boden heben, bemerkte aber, daß dazu eine ungewöhnliche Kraftanstrengung erforderlich sei. »Das ist schwer, Path'. Was hast Du denn d'rin?«

»Allerlei alten Kram, der lange Jahre bei mir unter'm Ofen geleg'n hat. Greif nur fest zu; es wird schon geh'n!«

»Und was willst Du mit dem Gerümpel auf dem Hofe?«

»Das wirst wohl noch seh'n. Mach' nur alleweil', daß Du fortkommst. Ich komme gleich nach!«

Als Franz den Hof erreichte, stiegen eben der Baron und der Agent aus der Kalesche, vor welche der Braune des Dukatengrafen gespannt war.

»Kommst grad' recht, Franz!« rief der Erstere. »Kannst nachher gleich den neuen Bauer abzeichnen.«

»Hab's schon heut Nacht gethan. Er ist auf dem Papier mit all' seinen Leuten.«

Der Baron blickte ihn fragend an, wurde aber nicht weiter von ihm beachtet.

Die Räume, welche seit Jahrhunderten nur von den Dukatenbauern und ihren Angehörigen betreten worden waren, standen heut' offen; Fremde gingen in ihnen auf und ab und mäkelten über die Gegenstände, an denen die[201] strenge Geschichte eines durch Selbstsucht und Hochmuth zu Grunde gerichteten Geschlechtes haftete. In der unteren Stube hatten die Herren vom Gericht ihren Sitz aufgeschlagen; im Flure war von dem spekulativen Bergwirthe ein ambulanter Schanktisch errichtet worden; zahlreiche Neugierige strömten herbei, um dem letzten Athemzuge der Dukatenwirthschaft beizuwohnen; es wurde gelobt und getadelt, entschuldigt und verurtheilt, bemitleidet und verspottet, gelacht, gescherzt, getrunken; die Gebote folgten sich erst langsam, dann immer schneller; als aber der Baron seine gewichtige Stimme erhob und mit siegesgewisser Miene gleich die wahrscheinlich höchste Ziffer notiren ließ, ging ein respektvolles Schweigen über die ganze Versammlung.

»Nicht wahr, das zieht?« frug er, sich triumphirend im Kreise umblickend. »Komm her, Kleiner, und mach die Tasche auf! Wir müssen unsere Zahlungsfähigkeit nachweisen.«

Der Agent that, wie ihm geheißen war, und bald hatten Beide den Tisch mit dem Inhalte ihrer Briefschaften vollständig bedeckt.

»So, das ist ein Pflaster, wie es hier kein Anderer aufzuweisen hat. Wer noch weiter bieten will, der mag's versuchen; aber das Gut wird unser, und der Dukatengraf muß heut' noch hinaus!«

»Das wird sich finden!« erscholl es von der Thüre her. »Jetzt ist er noch da und hat auch gar keine Lust, schon fortzugeh'n.«

Es war Graf selbst, welcher auf seinem Rollwägelchen sich hereingeschoben hatte.[202]

»Oho, Knirps, Du thust doch heut' gewaltig dick, wo es Dir doch etwas dünner zu Muthe sein sollte,« höhnte der von den Getränken etwas berauschte Baron. »Bleib' nur immer oben in Deiner Kammer und zähl' zusammen, was Du den Leuten schuldig bist!«

»Das weiß ich ganz genau und werd's bezahlen. Noch bin ich hier Herr im Haus', und wer heut' Abend draußen ist, das wird ja wohl zu sehen sein. Schau her, wenn Du denkst, der Dukatengraf ist all' geworden!«

Er näherte sich dem Blechkasten, welchen Wilhelm hier abgesetzt hatte und dem von Niemandem irgend eine Aufmerksamkeit geschenkt worden war, zog den Schlüssel hervor und öffnete. Ein allgemeiner Ruf des Erstaunens entfuhr den Lippen der Umstehenden! Die Truhe war bis an den Rand mit flimmernden Goldstücken gefüllt.

»Siehst Du nun, Baron, daß der Graf noch übergenug Dukat'n hat, um Dich sammt Deinem Gesell'n dort aus dem Haus zu werf'n? Herr Assessor, kommen Sie her und zähl'n Sie so viel davon weg, als ich schuldig bin, auch die Kosten mit! Und hernachmals macht ihr Anderen, daß ihr hinauskommt! Die Versteigerung ist zu End' und ich will nun wieder Ruh' im Hause haben!«

»Wie kommen Sie auf einmal zu dem Gelde?« frug der Beamte.

»Das werden Sie noch heut' erfahren. Jetzt aber bitt' ich, abzuzählen; ich kann net auf den Tisch hinauf!«

»Nein, das geht nicht!« rief der Baron. »Ich habe auf den Hof geboten und trete nicht wieder zurück. Ich kann bezahlen; hier liegt mein Geld. Der Hof muß mein[203] werden; d'rum streiche ich es gleich gar nicht erst wieder ein!«

»Das will ich mir auch verbitten!« klang es da hinter ihm und eine feste, schwere Hand legte sich auf seine Schulter. Ein fremder Herr, welcher bisher den schweigsamen Beobachter gemacht hatte, war an ihn herangetreten. »Kennen Sie vielleicht diese beiden Photographieen, meine Herren?« frug er, dem Baron ebenso wie dem Agenten je eine Visitenkarte vorhaltend. »Ich habe die Bekanntschaft dieser Männer schon seit Monaten vergeblich gewünscht und bin ganz glücklich, sie endlich doch noch zu machen. Herr Verwalter und Herr Privatkopist, Sie sind meine Gefangenen!«

Wie ein Blitzschlag fielen diese Worte in die Versammlung, welche für einige Augenblicke von der größten Verwirrung ergriffen wurde. Der Baron wollte sich dieselbe zu Nutze machen, warf sich auf den Tisch, strich mit einigen raschen Griffen das Geld zusammen und stürzte dann nach der Thüre. Dort aber nahmen ihn einige bereitstehende Gehilfen des Fremden in Empfang, und nach kurzem, vergeblichem Ringen war sowohl er als auch der Agent durch Handschellen und Schließketten unschädlich gemacht. Der Arrestator wandte sich nun zu dem Gerichtsbeamten.

»Herr Assessor, gestatten Sie mir, mich Ihnen zu legitimiren und die im Besitze dieser Männer betroffenen Werthpapiere und Effekten sammt dem draußen stehenden Geschirr in meine Verwahrung zu nehmen. Der Herr Ortsrichter wird mir diese Erlaubniß wohl auch nicht vorenthalten!«

Die beiden Angeredeten gaben gleich nach dem ersten[204] Blicke auf die vorgezeigte Legitimation ihre Zustimmung, und es wurde ein Verzeichniß all' der Gegenstände angefertigt, welche die Inculpaten bei sich führten. Der Polizist unterwarf ganz besonders die Notizblätter einer eingehenden Prüfung. Als er sie zusammenschlug, ließ er das scharfe Auge suchend im Kreise herumgehen.

»Ist der Mann dort an der Thüre der Bergwirth?«

»Ja!« lautete die Antwort.

»Er wird den beiden Anderen Gesellschaft leisten. Nehmt ihn fest!«

»Was? Mich?« rief der Wirth, sich nach dem Ausgange wendend; schon aber fühlte er sich ergriffen und zurückgehalten.

»Ja, Sie! Eine so genaue Buchführung, wie ich sie hier im Portefeuille des Herrn ›Bankiers‹ finde, hat für gewisse Geschäftsarten ihre großen Schattenseiten. Sie gehen mit uns!«

Darauf wandte er sich an Graf.

»Ich konnte Ihrer Anzeige erst heute Folge leisten, weil es mir nothwendig schien, mich zuvor über die vorliegenden Verhältnisse im Stillen zu orientiren. Dies ist so eingehend geschehen, wie es mir die Kürze der Zeit gestattete, und ich sehe mich dadurch in die Lage versetzt, Ihnen eine erfreuliche Mittheilung machen zu können: Die Buchführung dieser Herren läßt sowohl die Art und Weise als auch die Höhe Ihrer Verluste sehr deutlich erkennen, und da die Beträge zum großen Theile noch vorhanden sind, so dürfen Sie Hoffnung auf eine wenigstens theilweise Wiedererstattung haben. Das Weitere werden Sie auf gerichtlichem Wege[205] mitgetheilt erhalten. – Für jetzt aber ist meine Aufgabe hier vollendet. Gestatten Sie mir, Herr Assessor, mich zu verabschieden!«

In weniger als einigen Minuten rollte die Kalesche des Barons davon; sie war weit schwerer, als einige Stunden vorher, und der Braune trabte so unwillig von dannen, als hege er die Ueberzeugung, daß der Dukatenhof noch immer seine rechtmäßige Heimath sei.

Ebenso kurzer Zeit nur bedurfte, um den Hof von den vielen lästigen Gästen zu befreien, deren Anwesenheit nun keinen Zweck mehr haben konnte. Anfangs wollte es Niemand begreifen, daß das Gut im Besitze des Dukatengrafen verbleiben werde, und als im Laufe des Tages der wahre Sachverhalt ruchbar wurde, war es den Leuten noch viel unerklärlicher, woher der Köpfle-Franz dieses ungewöhnliche Vermögen habe, welches ganz sicher einst niemand Anderes erben werde, als Wilhelm und Emma.

Noch am Abende feierten diese Beiden ihre Verlobung, bei welcher außer den Eltern Wilhelms auch der Pfarrer zugegen war. Er hatte den ihm übergebenen Dukatenschatz wieder mitgebracht und wollte ihn in die Hände Graf's zurücklegen; dieser aber wehrte ab.

»Nein, Herr Pastor, ich nehm' die Dukaten net wieder! Der Franz wird sie wohl auch net haben wollen, aber ich weiß Jemand, der sie recht gut gebrauchen kann. Ich hab' gehört, daß sich der Feldhüter Wolf im vorigen November aus Verseh'n die Hand zerschossen hat, der kann mit seiner zahlreichen Familie das Geld wohl nothwendig haben. Ich bin erlöst worden aus großer und auch tiefer Noth, mein[206] Herz soll ferner nie wieder so hart sein, wie es früher gewesen ist. Die Dukaten waren für Dich bestimmt, Franz; soll sie der Wolf bekommen?«

»Ich hab' alleweil nix dagegen, daß er sie bekommt! Jetzt aber schaut 'mal her, was ich heut' Nacht den jungen Leuten als Angebind' zur Verlobung gezeichnet hab'!«

Er rollte das Papier aus einander, welches Wilhelm heute mit dem Blechkasten abgeholt hatte. Es enthielt eine Bleistiftzeichnung, welche die untere Stube des Dukatenhofes darstellte; in der Mitte desselben stand das wohlgetroffene Königspaar, vor welchem die beiden Krüppel in flehender Stellung an der Erde lagen. Hinter ihnen hielt Wilhelm die weinende Emma umfangen und seitwärts von dieser Gruppe verbarg der Gerichtsdirektor seine Bewegung hinter dem vorgehaltenen Taschentuche. Die Züge sämmtlicher Personen waren auf das Sprechendste wiedergegeben und die Stimmung des Augenblickes so treu festgehalten, daß die Beschauer des Bildes sich von dem Anblicke desselben ergriffen fühlten und dem Zeichner ihre unverhohlene Bewunderung aussprachen.

»Net wahr,« frug dieser, »es ist gut geworden? Ich hab' noch niemals nix so gern gemalt, wie dieses Blatt, und darum hat's gelingen müssen. Das kommt hier an die Wand zum ewigen Angedenken an die Stund', die uns die schwerste und auch die schönste gewesen ist im ganzen Leben.«

»Jawohl, die schwerste,« meinte Graf; »ich hab' das wohl am meisten gefühlt, aber auch die schönste, denn es ist mir unverdiente Gnade zu Theil geworden und euch Allen Heil und Segen.« – – – – – – –[207]

Seit diesen Begebenheiten sind noch nicht gar viele der Jahre verflossen, und noch leben sämmtliche Personen, von denen keine sich geweigert hat, dem freundlichen Leser bekannt zu werden. Der alte Dukatenhof hat sich von seinem Verfalle vollständig erholt; er gilt als eines der am besten bewirtschafteten Gitter der ganzen Umgegend. Und wenn der oben angeführte Chronist aus seinem längst eingesunkenen Grabe hinter der Sakristei hervorsteigen und die Feder in die Hand nehmen könnte, um die Geschichte der Familie Graf bis auf die Gegenwart fortzuführen, so würden seine Aufzeichnungen vielleicht mit den Worten schließen:

»Auß denen zweyen Klötz aber sind gemacht eyn ganz absonderlich Zahl von Bretten, vnd hat man darauß gebaut eyn schön und fürtrefflich Lauben, so da steht an selwigem Orte, als wo die Bäum vormalen einst gelegen sind. Solch Lauben ißt dem Köpfle-Frantz seyn Werkstatt worden, indem er des Morgens von seyner Hütten herunterkompt vnd erst des Abends wieder von dannen fährt. So kommen denn die Leut, als da sind Männlein und Weiblein, fürnämlich des Sonntags, in hellen Hauffen herbey, umb sich zu holen eyn Contrefey, so mann alsbald hänkt in die Stuben, allwo das Licht am Beßten trifft. Sitzt auch zuweillen dabey der Dukkatengraff, so da ißt der Letzte seynes Geschlechtes, sambt dem kleynen Enkeleyn, dieweylen die Bäurin in der Küchen schantzt. Vnd weyl so allermassen viele Bilder gehn von deme Hoff hinauß ins weitte Land, derohalben ist er bey Denen, so ihn kennen, nicht mehr Dukkatenhoff, sondern Köpflehoff geheissen.«[208]

Quelle:
Der Dukatenhof. Von Karl May. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens. Jg. 1877. Elfter Band. S. 92–208. – Stuttgart (1877), S. 171-209.
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