II.

Die Rache des Malayen

[214] Die Schönheit und Fruchtbarkeit der Samoainseln erregte die Bewunderung aller Seefahrer, welche diese reizende Inselgruppe betraten. Nirgends hatten sie eine solche Pracht und Ueppigkeit der Vegetation gesehen, nicht einmal in Neuseeland oder Neu-Guinea, die doch durch ihre herrlichen Waldungen so ausgezeichnet sind. Leicht zu durchwandern ist hier der Forst, denn unter dem dichten Schatten der hohen Baumkronen wächst das Schlingwerk und niedrige Gesträuch, welches sonst die Urwälder so unwegsam macht, nur spärlich.

Eine Menge schöner Tauben, langschwänziger Papageyen, Pikafloren und anderer buntgefiederter Vogelarten bringt Leben und Bewegung in die ruhige Majestät des Haines und mildert den feierlichen Ernst desselben. Rauschende Wasserfälle stürzen häufig über die Basaltblöcke herab, um den Reiz dieser zugleich erhabenen und lieblichen Natur zu erhöhen. Die Besucher der Inseln rühmen ihr ewig frisches Grün, welches die Ufer umsäumt, und die Frische und Klarheit der Wasser, welche in silbernen Streifen von den Bergen strömen. Ich war neugierig, diese Inseln kennen zu lernen, welche in der neuesten Zeit die Blicke Deutschlands in so auffälliger Weise auf sich gezogen haben.

Wir hatten auf unserer einsamen Insel die gefallenen Malayen zusammengetragen und einen Steinhaufen über sie errichtet. Während dieser Beschäftigung und andern Arbeiten war die Nacht herangebrochen, und wir gingen zur Ruhe, um am frühesten Morgen mit der Doppelpraue nach Tutuila in See zu gehen, unterwegs aber an Manua anzulegen, um Tui-Fanua wo möglich mit seinem Weibe zusammenzuführen.

Wir hatten einen sehr günstigen Wind für uns und brauchten in Folge dessen die Ruder gar nicht zu führen. Bereits am Vormittage kam uns Manua in Sicht. Diese Insel hat die Form eines regelmäßigen Domes und steigt an den meisten Stellen senkrecht aus dem Wasser bis zur Höhe von vierhundert Fuß empor, worauf bis zu dem zweitausendfünfhundert Fuß hohen Gipfel die Erhebung des Landes sanfter und allmähliger erscheint. Das Eiland ist sechzehn Seemeilen im Umfange und mit einer sehr üppigen Vegetation geschmückt. In der Nähe befinden sich die kleinen Eilande Ofou und Olisinga. Letzteres ist eigentlich nur ein schmaler Felsenrand, etwa eine halbe Meile lang, mit fast senkrecht aufsteigenden Wänden.

Ich stand mit dem Kapitän am Steuer, welches Tui-Fanua führte, sein Bruder saß neben ihm.

»Wo landen wir?« frug ich den Häuptling.

Er deutete auf eine kleine enge Bucht, in welcher bereits mehrere Prauen vor Anker lagen. Eine Anzahl Männer und Frauen standen am Ufer und betrachteten neugierig unser Schiff. Es mochte ihnen sonderbar und vielleicht auch gefährlich vorkommen, daß in[214] einem malayisch gebauten Fahrzeuge sich eine europäisch gekleidete Bemannung befand.

Da stieß Tui-Fanua einen lauten Ruf aus und nahm das Tapatuch, welches er wie einen Turban um den Kopf gewickelt hatte. Als er es schwenkte, erhoben alle am Strande mit freudiger Geberde die Arme, aber keiner beantwortete den Ruf.

»Was ist das?« frug ich ihn. »Warum antworten sie nicht? Ist hier Dein Dorf?«

»Ich bin Häuptling von drei Dörfern und mein Bruder von zweien,« antwortete er. »Hier wohne ich.«

»Aber warum verhalten sich Deine Leute so ruhig?«

Sein Auge blitzte rings umher, als wolle er jeden Felsen und jeden Baum und Strauch des Ufers mit seinem Blicke durchdringen.

»Entweder ist ein Unglück geschehen, oder es droht uns eine Gefahr, Herr. Laß Deine Leute zu den Rudern greifen, damit wir durch die Brandung kommen!«

Ich übersetzte dem Kapitän diesen Wunsch.

»Hallo, Jungens, zu den Riemen; wir haben die Brandung nahe!« kommandirte dieser.

Die Ruder schlugen in die schäumende Fluth, Tui-Fanua warf sich mit riesiger Kraft gegen das Steuer, wir wurden hoch emporgehoben; es brauste, zischte und donnerte einen Augenblick unter, um und über uns, dann hatten wir die freie Wasserfläche der Bucht erreicht.

Die am Strande Versammelten kamen herbeigeeilt. Allen voran ein alter Mann, der sich weinend vor den beiden Häuptlingen niederwarf, als diese aus dem Fahrzeuge gesprungen waren.

»Ambo, Du weinst! Was ist geschehen?« frug Potamo.

»Erzähle erst, wo Du gewesen bist, Herr! Sie hatten Dich gefangen und in die See geführt?«

»Ja, nach der Koralleninsel, wo sie uns verzehren wollten.«

»O, Herr!« klang es rundum erschrocken.

»Aber da kamen diese Männer und befreiten uns,« fuhr er fort. »Dankt ihnen, denn sie haben Katua und zweimal zehn und neun der Seinigen getödtet!«

Da erhob sich rund um uns ein Frohlocken, welches allerdings durch ein Zeichen des Alten schnell gedämpft wurde.

»Herr,« berichtete dieser, »der gute Gott Tangaloa ist von uns gewichen. Als wir hörten, daß Du gefangen seist, wollten wir Dich befreien. Ich versammelte alle Krieger der fünf Dörfer und zog mit ihnen gegen Katua. Da aber hörten wir hinter uns ein Geschrei und sahen das Feuer an vielen Orten zum Himmel lodern. Der Feind war uns zuvorgekommen, hatte alle Frauen und Kinder getödtet und unsere Dörfer und Hütten verbrannt. Und als wir umkehrten, fielen wir ihm in den Bergen in die Hände. Wir allein sind übrig geblieben. Zähle uns!«

Die beiden Brüder regten sich nicht; sie blickten zur Erde, um ihren Schreck zu verbergen. Da endlich wandte sich Tui-Fanua zu mir. In seinen Augen glühte ein Feuer, welches Verderben sprühte.

»Das sind Christen, Herr! Mafuié verschlinge sie!«

Ich legte ihm die Hand begütigend auf den Arm.

»Bin ich so bös wie sie?«

»Nein, Herr. In Dir leuchtet die Sonne der Liebe, Du bist tapfer, weise und gut.«

»Ich bin ein Christ. Sind sie also welche?«

»Nein.«

»Ein Christ ist tapfer, weise und gut, wie Du sagst, sie aber sind hinterlistig, heimtückisch und grausam. Sie essen Menschenfleisch und werden sich daran ihr Verderben fressen.«

Da hob er die Hände empor zum Himmel und sprach:

»Der Gott alles Guten soll seine Hand von mir neh men und mich vernichten, wenn ich eher ruhe, als bis ich sie gezüchtigt habe. Gehe, Herr, und fahre allein nach Pago-pago. Ich kann nicht mit Dir gehen, denn ich muß meine Todten rächen.«

»Ich gehe nicht, sondern ich bleibe und helfe Dir!«

Er sah mich erstaunt an.

»Herr, ich bin ein Heide, und Du willst mir gegen diese Christen helfen?«

»Ja.«

Da schlug er mir auf die Schulter, daß es dröhnte und rief:

»So bist Du ein richtiger Christ, und ich will Deinen Gott verehren wie den meinen, wenn er uns Hilfe bringt!«

Ich theilte dem Kapitän meinen Entschluß mit, und alle Mannen stimmten sofort bei, dem Häuptling ihre Hände und Kräfte zur Verfügung zu stellen.

»Wir Alle werden bei Dir bleiben, bis Du gesiegt hast,« erklärte ich ihm. »Wie viele Männer zählt der Feind?«

»Fünfhundert,« antwortete der alte Ambo.

»Sie sind in ihren Dörfern?«

»Nein. Sie sind jetzt versammelt auf Olosinga, um unsere Fürstin Aimata zu taufen und sie dann Omba zum Weibe zu geben.«

»Ist der Mitonare dabei?«

»Ja.«

»Wo seid Ihr bisher gewesen?«

»In den Bergen. Sie werden uns tödten, wenn sie zurückkehren. Herr, laß uns in ihre Dörfer gehen und Alles tödten, was wir dort finden!«

»Nein,« antwortete Tui-Fanua. »Sie sind Christen, ich aber bin ein Heide und werde barmherziger sein als sie. Ich werde Aimata wieder holen, Omba tödten und dann über alle die Seinen herrschen. Ihr habt Eure Weiber und Kinder verloren. Wir dürfen die Mädchen des Feindes nicht tödten, denn sie sollen Eure Frauen werden. Bleibt zurück und erwartet mich hier, ich werde ganz allein nach Olosinga gehen!«

Dieser junge Mann war wirklich ein Held. Ganz allein wollte er gehen, mitten unter seine grimmigsten Feinde hinein, die ihn vorher hatten verzehren wollen! Ich streckte ihm meine Hand entgegen.

»Ich gehe mit Dir!«

»Du? Herr, Du bist mein Freund und Bruder; ich liebe Dich!«

Ich theilte dem Kapitän unsern Entschluß mit.

»Seit Ihr verrückt, Sir?« frug er. »Ihr Zwei ganz allein unter fünfhundert Wilde!«

»Christen!« verbesserte ich lächelnd.

»Ja Christen, welche Menschen fressen: Mag auch ein schöner Missionar sein, der das leidet! Sie werden Euch auch braten und verzehren.«

»Vielleicht auch nicht. Bedenkt, was ich für Waffen habe!«

»Was werdet Ihr mit zwei Büchsenkugeln ausrichten können?«

»O, die Büchse nehme ich gar nicht mit!«

»Was denn?«

»Zwei Revolver, das gibt zwölf Schüsse, und mein Henrystutzen, der die sehr praktische Einrichtung hat, daß man aus ihm fünfundzwanzig Kugeln hinter einander abfeuern kann, das sind also siebenunddreißig Schüsse in Summa, ohne was ich mit dem Messer zu thun vermag, Tui-Fanua gar nicht mitgerechnet. Dies wäre überhaupt nicht das erste Mal, daß ich mich so mitten unter die Feinde hinein gewagt habe.«

»Und wenn auch! Ich muß wenigstens von Weitem dabei sein!«

»Nun gut. So fahren wir mit der Doppelpraue bis vor Olosinga, und während ich mit dem Häuptlinge die Insel betrete, wartet Ihr auf uns; Ihr könnt uns ja zu Hilfe kommen, wenn Ihr mich schießen hört.«

»Angenommen, Sir!«

Ich theilte diesen Plan Tui-Fanua mit, und er ging darauf ein.

»Ich gehe mit!« meinte sein Bruder Potamo.

»Nein, mein Bruder! Diese Männer hier sind die letzten unseres Volkes. Sie dürfen nicht ohne Häuptling sein. Wenn ich falle, so mußt Du leben, um mich zu rächen.«

Potamo ließ sich nur mit Widerstreben dazu bestimmen, mußte sich aber endlich doch noch fügen.

Wir befanden uns auf der Ostseite von Manua. Die beiden Eilande Ofou und Olosinga liegen auf der Westseite dieser Insel. Unser Weg führte uns also nach Sonnenuntergang. Wir bestiegen die Doppelpraue wieder, kamen glücklich durch die Brandung und segelten so hart wie möglich an der Küste hin. In anderthalb Stunden hatten wir die Südwestspitze erreicht.

»Befiehl Deinen Leuten, daß sie die Ruder nehmen,« bat Tui-Fanua. »Wir müssen so schnell wie möglich hinüber nach Olosinga, daß sie keine Zeit finden, uns feindlich zu empfangen.«

Dies geschah. Die Praue flog, von den kräftigen Armen der Matrosen getrieben, wie ein Pfeil über den Meeresarm, der die beiden Inseln trennte. Tui-Fanua führte selbst das Steuer und hielt das Fahrzeug auf eine Einbiegung der Insel zu, welche ganz voller einfacher Prauen lag. Mitten auf diese Einbiegung mündete eine Kluft, welche so schmal war, daß nur zwei Männer neben einander zu passiren vermochten. Das war damals der einzige Weg hinauf auf den steil anstrebenden Felsen.

Wir landeten. Trotzdem wir nur drei Minuten gebraucht hatten, um über den Meeresarm zu gelangen, war man da oben doch aufmerksam auf uns geworden. Wir sahen, daß mehrere mit Keulen und Lanzen bewaffnete Wilde herniederstiegen, um uns den Weg zu verlegen.

»Schnell hinaus,« gebot der junge Häuptling.

Im Nu standen wir am Fuße der Schlucht, wir Beide, er und ich, während die Praue vom Lande abstieß, um in einiger Entfernung halten zu bleiben.

Hier stand ein Malaye Wache.[215]

»Tui-Fanua!« rief er, halb erstaunt und halb erschrocken.

»Ja, Tui-Fanua,« antwortete dieser. »Stirb!«

Der Kais blitzte in seiner Faust; der Mann sank todt nieder.

Jetzt ging es schnell aufwärts.

»Halt!« rief es uns entgegen.

Ein zweiter Malaye schwang den Spieß über uns. Hier konnte der Häuptling nichts thun. Ich zog den Revolver, ein kleiner, scharfer Laut erklang, und der durch das Herz Getroffene stürzte neben uns vorbei kopfüber in die See.

Ebenso erging es einem Dritten, dann hatten wir die gefährliche Schlucht überwunden. Während der letzten Schritte war ich bemüht gewesen, die beiden verschossenen Patronen wieder zu ersetzen.

Wir standen jetzt am Rande eines Kokospalmen- und Brodfruchtbaumwaldes und sahen uns von einer Schaar Polynesier umgeben, welche den Häuptling sofort erkannte.

»Tui-Fanua, der stärkste der Krieger. Er sterbe!«

Sie schwangen drohend ihre Waffen, ich aber trat vor den Häuptling hin und rief so gebieterisch wie möglich:

»Ist der Mitonare hier?«

»Er ist hier.«

»Führt uns zu ihm!«

Sie schienen von meinem Tone betroffen zu sein, nahmen uns in ihre drohende Mitte und geleiteten uns noch weiter empor nach einem freien, rings von Palmen umgebenen Platze.

Dort war von Steinen ein Altar errichtet, an welchem der Missionar stand, eine ausgehöhlte Kokosnuß in der Hand. Vor ihm kniete in diesem Augenblicke eine weibliche Gestalt, welche von zwei starken Männern mit Gewalt in dieser Stellung festgehalten wurde.

»Aimata!«

Diesen frohlockenden Ruf stieß Tui-Fanua aus; dann stand er mit zwei Sprüngen hinter ihr. Sein Kais blitzte einmal und noch einmal, die beiden Männer, welche das Weib gehalten hatten, sanken todt zur Erde nieder.

Das war so schnell geschehen, daß Keiner ein Glied rühren konnte, um es zu verhindern. Nur Einer schnellte herbei und erhob die Keule zum gewaltigen Schlage. Tui-Fanua sah ihn nicht, aber ich erhob den Stutzen. Der Schuß krachte, und der Mensch ließ die Keule fallen und stürzte neben sie nieder. Jetzt erst wandte der Häuptling den Kopf.

»Omba!« rief er. »Herr, ich danke Dir, daß Du ihn getroffen hast!«

Also der Sohn des Häuptlings, der Räuber Aimata's war es gewesen! Aber ich hatte keine Zeit zur weiteren Besinnung, denn rund um uns ertönte ein Geheul der Wuth, welches mich Alles befürchten ließ. Der Altar lag mit seinem Rücken an einem hohen Felsen, und da er aus ziemlich großen Steinen bestand, konnte er als eine Art Festung von uns benutzt werden. Ich sprang hinauf, riß Aimata zu mir empor, und Tui-Fanua folgte schnell. Wir waren wenigstens für den Augenblick geborgen.

Alles stürmte jetzt auf uns ein, da aber erhob der Missionar die Hand. Sie Alle blieben sofort gehorsam halten. Der Missionar wandte sich zu uns:

»Wer seid Ihr, daß Ihr es wagt, diese heilige Stätte mit Blut zu – – –«

Er hielt mitten in seiner Strafrede inne. Ich hatte ihn vorher nicht genau betrachtet. Wir erkannten uns Beide in demselben Augenblicke. Dieser Mensch war Matrose desselben Schiffes gewesen, auf welchem ich von Hongkong nach Java ging, und wegen eines beträchtlichen Diebstahles erst gepeitscht und dann auf Malacca ausgesetzt worden.

»Sir Latréaumont!«

»Ben Silvers!«

»Was thut Ihr hier?«

»Was thust Du da? Wer hat Dich zum Missionar gemacht?«

»Ich bin es auf Tahiti geworden.«

»Wer hat Dich ordinirt?«

»Der Herr – der Herr – –«

»Nur heraus damit: der Herr Ben Silvers selbst, natürlich! Nun wundert es mich nicht, daß die Christen hier gern Menschenfleisch fressen!«

»Oho, dafür kann ich nichts! Ich bitte mir überhaupt eine andere Sprache aus!«

»Welche denn, mein Bursche?«

»Eine solche, wie sie ein Diener am Weinberge des Herrn verlangen kann.«

»Lästere nicht, Mensch! Du spielst diese Rolle hier nur um Dich zu bereichern. Aber Du sollst sie ausgespielt haben; darauf kannst Du Dich – – –«

»Fahre zur Hölle!« brüllte er.

Er zog den Kais, da aber saß ihm auch schon der Dolch des Häuptlings im Herzen. Der erste Missionar der Samoainseln hatte seine Rolle ausgespielt.

Nun aber ertönte das Geheul der Malayen desto wüthender um uns. Sie drangen unaufhaltsam auf uns ein. Ich bückte mich nieder hinter die Steine, legte den Stutzen auf den Rand des Altares, ein, zwei, drei, fünf, sechs, acht Schüsse, von denen jeder seinen Mann traf. Sie stutzten. Ich erhob mich und zielte nun frei. Noch vier Schüsse gab ich ab, dann wichen sie zurück. Sie hatten wohl bereits Schießwaffen gesehen, daß man aber, ohne zu laden, eine solche Menge von Schüssen abgeben könne, machte sie irre.

Aber auch ich war verwundet; eine Wurfkeule hatte mich an der linken Schulter und ein Stein gerade an der Stirn getroffen. Ich sah ein, daß wir Zwei zu tollkühn gewesen waren, und gab bereits die Hoffnung auf, lebendig wieder zu meinem alten Kapitän Hammer zu gelangen, als ich auf einmal seine laute befehlende Stimme hörte.

»Halt! Dort sind sie. Besetzt die Schlucht, Jungens, daß der Rückzug frei bleibt!«

Er war, als er die Schüsse fallen hörte, sofort gelandet und hatte mit seinen Leuten die Schlucht erstiegen, welche unvorsichtiger Weise von den Malayen nicht hinter uns wieder besetzt worden war.

»Wollt Ihr wieder herüber, Sir Latréaumont?«

»Ja.«

»So kommt! Ich werde diese rothen Masters mit meinen Jungens einstweilen im Schach halten. Gewehr auf, Männer, Hand an den Hahn! So, und wer sich von diesen Hallunken nur rührt, wird erschossen. So ein Kerl ist leichter zu treffen als ein Vogel, den man gern braten möchte. Jetzt schnell herüber.«

Ich erklärte dem Häuptling den Plan des Kapitäns.

»Geh, Aimata,« bat er.

Die schöne schlanke Gestalt erhob sich und sprang wie eine fliehende Gazelle über den Platz. Dann erst, als sie geborgen war, erhob sich Tui-Fanua aus seiner gebückten Stellung.

»Komm!«

»Nein, geh Du voran!«

»Du willst mich schützen, weil Du glaubst ich fürchte mich?«

»Nein. Ich will den Rückzug decken, weil ich bessere Waffen habe als Du.«

»Ich brauche Deine Waffen nicht!« antwortete er stolz.

Er trat langsam aus dem Altare hervor und blieb dann vor demselben halten. Er erhob die Hand zum Zeichen, daß er sprechen wolle, dann begann er:

»Ihr Männer von Manua! Katua und sein Sohn Omba hier sind todt. Das Land hat keinen Häuptling mehr als mich und Potamo, meinen Bruder. Ich werde Euer Häuptling sein. Wollt Ihr mir gehorchen?«

Es erfolgte keine andere Antwort, als ein unwilliges Gemurmel.

»Seht hier Eure Todten liegen. Sie sind gefallen von einer einzigen Hand, von der Hand eines Christen, der besser und tapferer ist als Ihr. Ich werde Euch zu so guten und tapferen Christen machen. Ich werde andere Mitonare kommen lassen, die Euch verbieten Menschenfleisch zu essen und Euch dafür Alles lehren, was recht und was gut ist. Wollt Ihr mir gehorchen?«

Es ertönte keine Antwort, aber ein Stein flog an seinem Kopfe vorbei. Ich hatte die Hand gesehen, welche ihn erhob. Als der Stein schwirrte, saß meine Kugel bereits in dieser Hand; ein Schrei des Schmerzes erschallte, sie war zerschmettert.

»Seht Ihr nun, wie mächtig ich bin mit einem einzigen wahren Christen neben mir? Wie mächtig würden wir sein, wenn wir alle solche Christen wären! Wollt Ihr mir gehorchen?«

»Raba!«4 rief eine Stimme.

»Gut. Ich werde aber dennoch Euer Häuptling sein. Komm, Herr!«

Ich behielt den Stutzen im Anschlage und verwendete kein Auge von den Leuten, während wir über die Lichtung schritten. Als wir den Saum des Waldes erreichten, sah ich zwischen den schlanken Palmenschäften hindurch eine kleine Prauenflottille sich der Insel nähern. Es war Potamo mit seinen Leuten. Die Unruhe hatte ihn herbeigetrieben. Ich machte den Häuptling darauf aufmerksam. Er blickte hinaus auf die See, und ein Zug der Freude glitt über sein Gesicht.

»Herr, könntest Du den Feind aufhalten, mir zu folgen?«[216]

»Ja.«

»Wie lange?«

»Sage es!«

»Bis ich die Prauen dort unten losgebunden habe.«

»Ja.«

»So thue es! Du wirst sehen wenn ich fertig bin.«

Dieser Plan war allerdings vortrefflich, denn er gab die Malayen ganz in seine Hand, weil sie die Insel ohne ihre Boote nicht verlassen konnten.

Ich trat zum Kapitän.

»Laßt Eure Leute nur so im Anschlage liegen, Kapt'n.«

»Warum?«

»Wir verlassen den Platz erst dann, wenn wir die Fahrzeuge dieser Hallunken gekapert haben.«

»Vortrefflich! Habt Ihr Euch das ausgedacht?«

»Nein, der Häuptling selbst.«

»Kein übler Kopf! Könnte später Schiffsjunge bei mir werden; wollte dann schon etwas aus ihm machen!«

Zur Rechten hatten wir Felsen, die uns vollständig deckten, hinter uns den Rücken frei und vor uns und zur Linken den freien Platz, den wir mit unsern Gewehren bestreichen konnten. Wir waren also trotz unserer bedeutenden Minderzahl im Vortheile. Das sahen die Malayen jedenfalls ein, weshalb sie auch nicht die geringste Miene machten uns anzugreifen.

Freilich konnte diese Sicherheit nur bis zum Abend dauern; dann wären wir verloren gewesen. Daher freute ich mich, als ich bereits nach zehn Minuten eine ganze lange Reihe von Prauen sah, welche zusammengebunden waren und von dem Meeresstrome hinüber[217] nach Manua getrieben wurden. In den zwei vordersten und der letzten saßen je ein Mann, welcher mit dem Ruder die gehörige Richtung einzuhalten suchte.

»Jetzt langsam zurück hinter die Bäume, Kapt'n, und die Schlucht hinab! Ich bleibe hier halten, bis Ihr in Sicherheit seid.«

»Well, Sir, das ist mir recht. Es wird mir langweilig hier oben.«

Er zog sich mit den Seinen leise zurück, während ich meine Stellung behauptete, bis ich dachte, daß sie Alle in Sicherheit seien. Dann trat ich hinter den nächsten Baum – einige schnelle Schritte hin zur Kluft, in großen gewagten Sprüngen hinab und dann hinein in die Doppelpraue, welche auf mich gewartet hatte und ganz nahe am Ufer lag. Kaum aber stieß sie vom Lande, so regnete es von oben einen wahren Steinhagel herab, und ein wahrhaft betäubendes Geschrei ließ uns erkennen, daß die Malayen eingesehen hatten, daß sie von jetzt an unsere Gefangenen seien.

Tui-Fanua hielt seine befreite Aimata in den Armen und dankte uns viel mehr für ihre als für seine Rettung.

»Noch bist Du nicht vollständig gerettet,« meinte ich.

»Warum?«

»Ihr Malayen schwimmt besser als die Fische. Wenn sie nun den Entschluß fassen nach Manua zu schwimmen.«

Er lächelte.

»Kennst Du den Hai?«

»Ich kenne ihn. Ich habe bereits mit ihm gekämpft.«

»So wirst Du auch wissen, daß sie nicht entkommen können.«

»Der Hai wird einige von ihnen verschlingen; die Andern aber erreichen das Land.«

Er lächelte wieder, dieses Mal aber sehr überlegen.

»Tui-Fanua weiß dafür zu sorgen, daß der Hai nicht blos einige verschlingt. Sage Deinen Leuten, daß sie hier auf der Mitte des Meeresarmes halten sollen!«

Ich that dies, und nun wurde das Segel, da es keinen Anker gab, in der Weise gestellt, daß die Praue nicht bedeutende Abtrift bekam. Jetzt sahen wir, daß die Malayen drüben auf Olosinga die Schlucht wieder besetzten und uns unter grimmigen Geberden mit ihren Keulen drohten.

»Schönes Abenteuer das!« meinte der Steuermann. »Sollten das ganze Volk braten und fressen. Fehlen nur am Ende die Pfefferkörner und Lorbeerblätter dazu!«

Wir lavirten bis zur Dämmerung. Da kamen zwei Doppelprauen herbei und hielten in unserer Nähe.

»Frage Deine Leute, Herr, ob sie in dieser Nacht mit wachen wollen!« bat mich der Häuptling.

Ich that es, und der Kapitän stimmte sofort bei.

»Natürlich wachen wir mit. Wer dem Ochsen einmal in den Kopf beißt, muß ihn auch bis mit dem Schwanze verschlingen.«

Von der einen Praue wurde uns ein ganzer Vorrath von getrockneten Fischen und Palmenfaserschnüren herübergeworfen.

»Was soll das?« frug ich den Häuptling.

»Du fährst immer auf und ab und hängst einen Fisch nach dem andern an die Schnur und wirfst ihn aus dem Schiffe. Er wird an der Schnur nachgezogen, und Du wirst nachher sehen, was folgt.«

Auch Fackeln wurden uns herüber gegeben. Diese zündeten wir an, als die Dunkelheit hereinbrach. Ich band einen der Fische an das Bast und warf ihn über Bord. Es dauerte nicht lange, so erschien ein Hai und riß ihn von der Schnur. Ich fuhr fort, und es war noch keine halbe Stunde vergangen, so folgten uns fünf Haie, die wir beim Scheine der Fackeln sehr deutlich erkennen konnten.

»Schönes Viehzeug das,« meinte der Kapitän. »Möchte ihnen lieber Eins auf das Fell brennen! Aber sie sind wahrhaftig gut für die da drüben; denn ich glaube nicht, daß sich nun einer von ihnen in das Wasser wagen wird.«

Auch die zwei anderen Prauen lavirten die ganze Nacht mit brennenden Fackeln zwischen Manua, Ofou und Olosinga und hatten jedenfalls ganz dasselbe gefräßige Gefolge hinter sich schwimmen.

Am nächsten Tage genügte eine einzelne Praue zum Wachehalten, und in der darauffolgenden Nacht wurde genau das Manöver der vorigen wiederholt. Ermüden konnte uns dies nicht, da wir einander ablösten und also unsere Kräfte schonen konnten.

Endlich am dritten Tage wurde ein Zeichen gegeben, und wir fuhren näher zum Lande. Hier erfuhren wir, daß die Malayen sich entschlossen hätten, die Herrschaft Tui-Fanua's über sich anzuerkennen. Sie wurden einzeln von der Insel Olosinga geholt und mußten ihm Treue geloben. Katua's Verrath war durch die Vorsehung so gelenkt worden, daß er für Tui-Fanua zum Glücke endete.

Wir wurden von diesem nach Pago-pago gebracht, wo wir ein amerikanisches Schiff fanden, welches wenig Ladung hatte und bereit war, mit uns nach der Koralleninsel zu gehen und dort die Güter des versunkenen »Jonathan« aufzunehmen.

Tui-Fanua hielt sein Wort. Er nahm einige christliche Lehrer aus Tahiti auf, denen dann die ersten englischen Missionare folgten. Jetzt zählt Manua wenigstens zweitausend Einwohner, welche alle Christen sind. – – –[218]

[Fußnoten]

1 Theebäumen.


2 Umstürzen.


3 Missionäre.


4 Nimmermehr.

Quelle:
Tui Fanua. Ein Abenteuer auf den Samoa-Inseln von Prinz Muhamêl Latréaumont. In: Für alle Welt! 5. Jg. Heft 7. Nr. 13–14. S. 203–206 u. 214–218. – Stuttgart (1880).
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