XL
Das Gebet

[418] Ein grauser Wetterschlag! Der Donner kracht.

Was sah ich dort in blitzerhellter Nacht?


Und wieder jetzt! Ein Rücken – schauerlich,

Der Spanier geißelt mit dem Gürtel sich!


An seinen hagern Schultern rieselt Blut!

Zu beten hebt er an in Andachtsglut.


Gezwungen lauschend hör ich jedes Wort

Auf jenen qualberauschten Lippen dort:


»Maria, makellos empfangne Magd,

Zu Deinen Knien hab ich der Welt entsagt.


Dem ird'schen Rittertum ersterb ich hier

Und zeichne mich zum ew'gen Knechte Dir.


Wo darf ich bluten? Gib das Feldgeschrei!

Du deutest schmerzlich auf die Ketzerei –


Sie haben Dir die Krone von dem Haupt

Und aus der Hand die Lilie Dir geraubt.
[418]

Du weinest? Deine Tränen brennen mich –

Ich führe Deine Sache. Tröste Dich!


Ein Wink von Dir – so stürz ich in die Schlacht.

Nicht kennst Du selbst die Größe Deiner Macht!


Im Bibelbuche spricht der eigne Sohn

Zu Dir, Du Hohe, nicht in würd'gem Ton.


Die heil'gen Schriften sind der Ketzer Hort –

Du lächelst und besiegst das Bibelwort.


Der ein'ge Richter Christus schreckt die Zeit,

Gern folgt sie eines Weibes Lieblichkeit.


Wenn sich der Sohn zu Martin Luther kehrt,

Dich krönen wir, die nicht der Wonne wehrt!


Du bebst in aller Abendglocken Erz,

Du füllst die Seele, Du beglückst das Herz.


Wir decken Dich mit duft'gen Rosen zu,

Gen Himmel schwebest ungekreuzigt Du!


Die Du dem gläub'gen Spanier oft erschienst,

Ihm glüht der Busen noch von Deinem Dienst.


Dir, Fürstin, werb ich eine Kompanie

Und führe gegen Deine Feinde sie.


Ein unbarmherzig Heer, das nie erschlafft,

Versamml ich unter meiner Hauptmannschaft.


Die Ketzer tötend, doch den Sündern mild,

Bekehren wir die Welt zu Deinem Bild.


Wo wir zerstörte Tempel wieder weihn,

Besteige, Göttin, den Altar allein!


Und wer zum Erdenweibe Dich entweiht,

Gerichtet sei er und vermaledeit!...
[419]

Tauch unter, Schwan, und aus der Welle Schoß

Erstehe doppele blank und makellos!...


Du lächelst Deinem Knecht belohnend zu,

In goldne Himmelsglorie schwindest Du...«

Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 418-420.
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