Die Geschwister.

[17] In Ribbeckenäuchen war vor der Kirchthüre ein geringer Platz, mit Blumen bepflanzt, da spielten die Knaben im Dorfe. –

Gegenüber war ein bequemes Haus mit Garten und Zubehör. –

Der grüne Platz vor der Kirche mit dem artigen Hause gegenüber gab dem Dörfchen, das nur aus wenigen Feuerstellen bestand, ein heiteres, lachendes Ansehn. –

Das Haus selbst aber, welches dem grünen Kirchhofe gegenüber lag, schloß zwei dem Leibe und Geiste nach verwandte Seelen ein, die hier ein stilles Glück genossen, weil ihre erste Tugend Genügsamkeit war.

Es war nemlich der Pächter in diesem Dorfe, der seit fünf Jahren mit seiner Schwester hier zusammen wohnte, welche zwanzig Jahr[18] alt, zu ihm gezogen war, und seit der Zeit noch keine eigentlich mißvergnügte Stunde zählte. –

Denn alles Unangenehme übertrug sich in den unnennbaren Reitz der Theilnahme des einen an des andern Ruhe, und lößte sich in den schönen Gleichlaut der Gemüther auf, in welchem dieses große Ganze, wie in seinem Mittelpunkte sich vollendet. –

Wo alle Stürme schweigen, das Toben der Elemente aufhört, und die Sonne im stillen See sich spiegelt. –

Wo das Getrennte, das Entfernte sich wiedererkennt und wiederfindet. –

Wo das Labyrinth der Schicksale seinen Endpunkt erreicht, aus dem es sich mit einem Blicke durchschauen läßt, und enthüllet vor unsern Augen liegt. –

Diese Gleichheit der Gemüther, welche verschwisterte Seelen an einander knüpft, schaft mit einem mächtigen Worte, auf jedem Fleck der Erde noch nie gekannte Freuden um sich her, läßt Blumen auf dürrem Boden wachsen; und wandelt den Krainberg, und das Torfmoor von Ribbeckenau,[19] zu weinbekränzten Hügeln, und lachenden Fluren um.

Wo dieser Gleichlaut der Gemüther weilt, da drückt er unverkennbar seine Spur in Aug' und Wange, und zeichnet sich auf der freien und unumwölkten Stirne. – Da wohnt der Unmuth und die finstre Sorge nicht – da fesselt kein Zwang den leisesten Laut der Empfindung – da schämt das Wort sich des Gedanken, die Mine des Wortes, das Wort der That sich nicht.

Dieß war nun zwar auch der Fall bei dem Küster Ehrenpreiß und dem verstorbenen Pfarrer in Ribbeckenau, bei denen sich auch das Wort des Gedanken, die Mine des Worts, und das Wort der That nicht schämte, wenn ihr düstrer richtender Blick und ihre lispelnde, tödtende Zunge, über alle Ketzer und Irrgläubigen aus ihrer Nachbarschaft das unwiderrufliche Urtheil sprach – und über manchem nicht nur in jener, sondern schon in dieser Welt, durch hämische Anklagen den Stab brach. –

Waren dieß nicht auch verschwisterte, ineinandergeschlungene Seelen? – brachten sie nicht auch bis Mitternacht in vertraulichen Gesprächen[20] zu? – Warum soll ihr Gleichlaut kein Wohlklang seyn? –

Gehören nicht die gröbsten und dunkelsten Vibrationen der Saiten, eben so, wie die feinsten und hellsten zu dem vollstimmigen Konzert?

Der frohe Blick hält sich gern an dem frohen, der düstre an dem düstern fest, so wie das trübe Auge dem trüben zu begegnen wünscht. –

Der Küster Ehrenpreiß fand sich verwaiset, als sein Pfarrer todt war; seine Klagen aber waren nicht sanft, oder vielmehr, es waren keine Klagen, sondern ein finstrer Unmuth, eine verdrießliche Unbehaglichkeit, die er in seinem ganzen Wesen fühlte, und immer auf etwas anders, auf irgend eine Kleinigkeit schob, die ihm in den Weg kam. –

Wie konnten auch die Klagen über die Trennung sanft und edel seyn, da die Verbindung selbst rauh und grob gewesen war, und auf Bitterkeit, Grobheit und Rauhigkeit sich gegründet hatte!

Demohngeachtet aber war es auch eine Verbindung und Gleichlaut, der, so lange er dauerte, in der Reihe der Töne sein Recht behauptete,[21] und zwar in grobe Selbstzufriedenheit, aber doch auch, so wie das feinste und zarteste, in Selbstzufriedenheit einwiegte. –

Auch war es gar kein unangenehmes Schauspiel, zu sehen, wie die schwarzen Augenbraunen des Pfarrers und des Küsters Ehrenpreiß sich freundlich einander zunickten. –

Aber freilich zeichnete die Uebereinstimmung auf Stirn und Wange sich nicht so schön, wie bei dem Geschwisterpaar in Ribbeckenäuchen, das nun zum erstenmale Hartknopfs Predigt besuchte, und unter dem Thurm mit Schindeln gedeckt, in einem grünausgeschlagenen Kirchenstuhle, gerade der Kanzel gegenüber, seinen Platz nahm.

Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 17-22.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Andreas Hartknopfs Predigerjahre
Andreas Hartknopf. Eine Allegorie / Andreas Hartknopfs Predigerjahre
Anton Reiser, Andreas Hartknopf und Andreas Hartknopfs Predigerjahre