87. Agathokles an Phocion.

[76] Nikomedien, im Oct. 303.


Es ist möglich, mein theurer Freund! daß wir uns bald sehen. Ich werde Nikomedien, wo mich wenig mehr zurückhält, wahrscheinlich mit den Meinigen auf lange Zeit verlassen. Meinen gütigen geliebten Vater hat vor wenigen Tagen ein gäher Tod uns entrissen. Hohes Alter und zunehmende Schwäche hatten uns zwar längst auf diesen Fall vorbereitet, dennoch erfüllte er uns mit eben so viel Trauer und Schrecken, als wäre er in der Blüthe der Jahre gewesen. Denn wie sehr[76] der Mensch sich auch auf einen bösen Zufall gewaffnet glaubt, so ist doch ein unendlicher Abstand zwischen der festbestimmten Wirklichkeit, die nichts mehr erschüttert, und jenem zitternden Zustand, in den noch stets und unbewußt sich leise Hoffnung mischt. Er hat mir verziehen, er hat mich mit schwacher sterbender Hand gesegnet, und sein liebes Kind genannt. Das ist der einzige Punkt, auf dem meine Seele mit Beruhigung verweilt. Er hat sogar sein Testament zurückgenommen, und seine großen Reichthümer auf eine für sich sehr parteiische Weise zwischen mir und seinem Neffen Leucippus, dem sie vorher ganz bestimmt waren, getheilt. Leucippus ist ein guter Mensch; eine Verbindung, die er wider den Willen seines Vaters, meines Oheims, traf, hatte ihm die Liebe und das Vermögen seines Vaters entzogen. Diese Rücksicht, eine zahlreiche Familie und mancherlei Unglücksfälle machten, daß ich mit Freuden das Schicksal eines würdigen gekränkten Verwandten durch diese Verfügung erleichtert sah. Er war edel genug, sogleich zu mir zu kommen, und freiwillig auf ein Geschenk Verzicht leisten zu wollen, wodurch er mir mein Eigenthum zu entziehen fürchtete. Mir wäre der bloße Wille meines Vaters hinreichend gewesen, wenn er mich auch hart getroffen hätte, um nie den geringsten Anspruch auf einen Besitz zu machen, dessen Wertheilung ganz von ihm abhing, auf den ich kein Recht zu haben erkenne. Leucippus ist sehr glücklich, ich habe einen treuen dankbaren Freund gewonnen, und so muß ich doppelt meines Vaters Verfügung segnen. Wenn ich nach Europa komme, so werde ich unmöglich die Küsten eines Landes, wo du schon lange von[77] mir getrennt bist, betreten können, ohne dich zu sehen. Wie groß auch der Umweg seyn mag, ich eile sicher von Byzanz in deine Arme, und bringe dir meine Theophania. Mich führen die Angelegenheiten meiner Glaubensgenossen durch Dacien und Noricum, vielleicht sogar bis nach Britannien zu dem abendländischen Cäsar. Galerius Untergebene wüthen in den Provinzen, die seiner Macht anvertraut sind, ganz im Sinne ihres Gebieters gegen die Christen. Constantin hat vom Diocletian, der ihn seit einiger Zeit mit größerer Auszeichnung behandelt, ein Edict erhalten, worin das Verfahren bei den Untersuchungen, die Zwangsmittel und Strafen genauer bestimmt, und der Willkühr nicht mehr so viel Raum gelassen wird. Dies ist hauptsächlich für jene Provinzen bestimmt, in denen Galerius befiehlt. Nicht viel besser geht es jenen, die unter dem Zepter des rohen Maximian stehen. Nur in Spanien, Gallien und Britannien schützt Constantins milder Geist die unglücklichen Verfolgten. Viele hart bedrängte Familien flüchten daher aus jenen Provinzen in diese stillen Freistätten, und da man sie, besonders die Reichen, nicht gern ziehen laßt, so entstehen hieraus tausend Mißhelligkeiten und Zwiste, die nur eines Anlasses bedürften, um in volle Flammen auszubrechen.

Alles gährt in wildem Mißmuthe, Alles ist bereit, offenen Krieg zu erklären, die Zeiten der Ruhe sind vorbei, die dumpfe Stille, die noch jetzt herrscht, ist Täuschung und Schein. Sobald Diocletian, dessen Gesundheit und Geisteskraft sichtbar abnehmen, die Augen schließt, treten die schrecklichen Scenen ein, die vor seiner Regierung das Reich, die Welt verwüsteten. Das[78] sind die Ahnungen, die bereits vor zwei Jahren meinen Geist düster umwölkten, wenn ich dem Gange der Begebenheiten nachsann, und seit jener Zeit hat nicht das geringste Ereigniß meine Furcht Lügen gestraft, vielmehr jedes dazu beigetragen, sie zu bestätigen. Aber nicht mehr rettungslos erscheint mir jetzt, wie damals, die Lage des Menschengeschlechts, es gibt eine Hoffnung, es lebt ein Retter. Das Christenthum muß herrschende Volksreligion werden, die Römische Welt Ein Oberhaupt haben, die alten Formen müssen zerbrochen, der Sitz der Regierung wo anders hin verlegt, die Macht der Prätorianer, dieser nie zu löschende Vulkan, aus dessen Schooße alle die unseligen Stürme hervorbrechen, zerstört werden. Und wer, wer unter allen Menschen, die jetzt auf dem Schauplatz der großen Begebenheiten leben und wirken, könnte diese schöne, beglückende Idee in Wirklichkeit einführen, wer anders als Constantin, er, den die Vorsicht ganz dazu bestimmt, und mit allen Gaben, die dieser hohe Beruf erfordert, ausgerüstet zu haben scheint? Ost in stillen unvergeßlichen Stunden war der Entwurf und die mögliche Ausführung dieses Plans unser feuriges Gespräch, unser glühender Wunsch. Vieles ist abgeredet, angelegt, vorbereitet worden, und ich gehe jetzt mit freudigem Muthe hinüber auf den Schauplatz künftiger großer Ereignisse. Jene Angelegenheiten, von denen ich dir schrieb, die Verfolgungen meiner Brüder, sind, so wichtig sie meinem Herzen bleiben, doch für jetzt nur Nebenzweck und Vorwand, der die eigentliche Ursache meiner Sendung und meiner Geschäfte verbergen muß. Ein größerer wichtigerer Zweck fordert alle meine Aufmerksamkeit. Tausend geheime[79] Fäden müssen angeknüpft, tausend Anstalten im Verborgenen getroffen werden, damit, wenn die Catastrophe, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr fern ist, eintritt, Constantin alle Mittel zur Hand, Heere geworben. Schätzel, Freunde gesammelt, nichts dem Zufall überlassen, und so alle Kräfte bereit finde, um den großen Plan zu begründen, und zu befestigen.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 35, Stuttgart 1828, S. 76-80.
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