314.

[120] Es ist einmal ein Bräutigam gewesen, der hat eine Braut gehabt. Die Braut aber und ihre Mutter waren beide Hexen. Als nun der Tag kam, an welchem die Hexen nach dem Brocken wandern, gingen die beiden Hexen auf den Heuboden, nahmen ein kleines Glas und tranken daraus, da waren sie auf einmal verschwunden. Der Bräutigam, welcher ihnen nachgegangen war, dachte: sollst auch einmal aus dem Glase trinken. Er nahm also das Glas vor den Mund und nippte davon, da war er mit einem Male auf dem Brocken und sah, wie seine Braut und deren Mutter mitten unter den Hexen waren, welche um den Teufel tanzten, der in der Mitte stand. Nachdem Alles vorbei war, befahl der Teufel, daß jede ihr Glas nehme und trinke. Das thaten die Hexen und darauf flogen sie nach allen vier Winden. Der Bräutigam stand nun allein auf dem Brocken und fror, denn es war kalt. Ein Glas hatte er nicht mitgenommen und mußte deshalb den Rückweg zu Fuße antreten. Nach einer langen und beschwerlichen Reise kam er endlich wieder bei seiner Braut an, aber die war sehr böse und auch die Mutter zankte viel mit dem Bräutigam darüber, daß er aus dem Glase getrunken hatte. Mutter und Tochter kamen endlich überein, den Bräutigam in einen Esel zu verwünschen, welches denn auch geschah. Der arme Bräutigam war nun also ein Esel geworden und ging betrübt von einem Hause zum andern und schrie sein Ija! Ija! Da erbarmte sich ein Mann über den Esel, nahm ihn in seinen Stall und legte ihm Heu vor; aber der Esel wollte es nicht fressen, da wurde er mit Schlägen aus dem Stalle getrieben. Nach langem Umherirren kam er einmal wieder vor das Haus seiner Braut, der Hexe, und schrie recht kläglich. Die Braut sah ihren vormaligen Bräutigam, wie er mit gesenktem Kopfe und herabhängenden Ohren vor der Thüre stand. Da bereute sie, was sie gethan hatte und sprach zum[120] Esel: wenn ein Kind getauft wird, so stelle dich vor die Kirchthür und laß dir das Taufwasser über den Rücken gießen, dann wirst du wieder verwandelt werden. Der Esel folgte dem Rathe seiner Braut. Am nächsten Sonntage wurde ein Kind getauft, da stellte sich der Esel vor die Kirchthür. Als die Taufhandlung vorbei war, wollte der Küster das Taufwasser wegschütten, aber der Esel stand ihm im Wege. Geh, alter Esel, sprach der Küster, aber der Esel ging nicht, da wurde der Küster ärgerlich, und goß ihm das Wasser über den Rücken. Nun war der Esel erlöst, ging zu seiner Braut und heirathete dieselbe und lebte recht glücklich mit ihr.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Unterharzische Sagen. Aschersleben 1856, S. 120-121.
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