I.

[190] Das Erscheinen der Jungfrau vor den Augen eines Leinewebers wurde mir auch in folgender Weise berichtet: Der Weber sah in der Pfingstzeit vor sich plötzlich einen Lichtstrahl, ja, eine ganze Lichtstraße, die von der alten osteröder Burg ausging. Vor derselben lagen auch zwei feuerspeiende Tiere, wie der Erzähler sagte, Löwen. Die Jungfrau aber bestellte den Weber auf den andern Abend um elf Uhr, da erschien sie ihm abermals mit dem Lichtstrahle, gerade auf den Hieb (Glockenschlag) um elf Uhr. Sie führete ihn nun an den wilden Tieren vorbei durch eine eiserne Thür und in einen Gang, der auch sehr hell war. Sie traten von dem Gange aus durch eine alte Stubenthür in ein Zimmer ein, wo auf einem Tische ein Buch lag und daneben eine wunderschöne Kerze stand, die Kerze aber ist eine Blume gewesen. Der Weber brach die Kerze ab, da tönete es mächtig. Sie aber hatte so großen Wert, daß der König sie dem Weber nicht abkaufen, sondern sie nur zum Geschenk nehmen wollte und ihm ein Rittergut als Gegengeschenk gab.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 190.
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