Nr. 211. Der Güß.

[205] Auf dem Güß, einem großen Wasser bei Herzberg, hat ein großer Ackerhof gestanden, worauf steinreiche Leute gewohnet haben. Einstmals ist ein Bettler nach diesem Ackerhofe gekommen und hat Nachfrage um ein bißchen Brot gethan. Da hat ihm die Herrin ein bißchen Brot gegeben, und der Bettler hat gesaget, sie möchten ihm doch auch ein wenig Butter geben, denn er wäre so alt und schwach und deshalb thäte ihm auch einmal ein bißchen Zubröte gut, und solche Leute wie die auf dem Ackerhofe hätten es ja auch nicht gespüret an ihrem Reichtume, wenn sie dem Bettler auch ein bißchen Zubröte gegeben hätten. – Da hat die Herrin das Brot zurückgenommen und Dreck auf das Stück geschmieret vom jüngsten Kinde, das sich soeben beschmutzt hat. Der Bettler, welcher altersblind gewesen ist, ist seiner Wege gegangen, ohne bemerkt zu haben, was auf seinem Brote gewesen ist. Unterwegs aber hat der Alte Appetit verspüret und sein Brot hervorgezogen, um es aufzuspeisen. Als er nun dabei merket, was die reichen Leute gethan, denket er bei sich selber, sie hätten doch an dir verdienet, daß sie gleich samt ihren Schätzen untergingen. In demselben Moment ist sogleich der Ackerhof mit Scheunen und Ställen untergegangen, und sein Wunsch ist sogleich eine Strafe für die schlechten Menschen geworden, die ihnen Gott gesandt hat. Nach dieser Zeit ist ein Wassertaucher gekommen, der ist so lange in diesem Wasser gewesen wie in keinem andern. Wie derselbe herausgekommen ist, hat er gesagt: Nun und nimmer ginge er wieder in dieses Wasser, denn unten im Wasser wäre er auf ein Haus gekommen, vor demselben hätten vier große schwarze Pudelhunde mit feurigen Augen gelegen, die hätten[205] Feuer gespieen, und ihres Gleichen an Größe und Stärke hätte er auf der Erde noch nie angetroffen, denn ein Hund wäre wohl so groß wie ein Löwe gewesen, und er hätte, wenn er sich nicht für einen Dachdecker auf dem Dache ausgegeben hätte, sterben müssen. Da sind einige Herren unter den Zuschauern gewesen, die haben dem Wassertaucher tausend Thaler geboten, wenn er einen Ziegel von dem Dache des Hauses hole. Der Wassertaucher, welcher geldgierig gewesen, ist noch einmal untergetauchet und nie wieder ans Tageslicht kommen, vermutlich haben ihn die vier Hunde zerrissen. Die vier schwarzen Hunde sind aber umschicht (abwechselnd) nachher in Herzberg umhergegangen und haben jeden, der nachts auf die Freit gegangen ist, ins linke Bein gebissen.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 205-206.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Harzsagen
Harzsagen - Sagen des Oberharzes 1859 - Band 1 (von 2)
Harzsagen - Sagen des Unterharzes 1859 - Band 2 (von 2)