III

Jan und Myga

[457] In einem der hohen Giebelhäuser hinter der Stadtmauer am Kai von Antwerpen saß am folgenden Abend Myga van Bergen neben ihrer kleinen Lampe, ganz in Trauer gekleidet – die Tochter des weiland so reichen und angesehenen Kaufmanns Michael van Bergen, von dem es jetzt heißen konnte: Supremum diem obiit, senex et pauper.

Wie wenn ein Sack voll neugeprägter Goldstücke ausgeschüttet wird, so klang vor fünfzehn oder zwanzig Jahren die Firma van Bergen und Norris jedermann ins Ohr. Eins der reichsten Häuser des reichen Antwerpens repräsentierte diese Firma. Auf allen Meeren schwammen ihre Schiffe, ihre Warenhäuser waren voll der köstlichsten Schätze Indiens und Amerikas; ihre Schreibstube war voll emsiger Schreiber. Ja, vor zwanzig Jahren hättet ihr auf der Börse oder im Haus der Oosterlinge, der großen Hansaniederlage, nach der Firma van Bergen und Norris fragen sollen; wahrlich guter Bescheid würde euch zuteil geworden sein.

Nun aber war Johann Geerdes Norris längst gestorben[457] zu Amsterdam, und vor vierzehn Tagen war ihm zu Antwerpen sein ehemaliger Kompagnon in das Grab gefolgt, ein Bettler.

Hättet ihr jetzt an der Börse oder im Hause der Hansa nach der Firma van Bergen und Norris gefragt, man hätte euch eure Frage vielleicht mehr als einmal wiederholen lassen und dann den Kopf geschüttelt. Wer kannte jetzt noch die Firma van Bergen und Norris? Nur die ältesten Kaufleute und Makler wußten sich ihrer noch zu erinnern.

Wie war das gekommen?

Die Antwort darauf ist leicht zu finden. Als das Haus van Bergen und Norris in seinem höchsten Glanze strahlte, regten sich tätig zweimalhunderttausend Einwohner in den Mauern von Antwerpen; jetzt waren dieselben auf achtzigtausend zusammengeschmolzen. Genügt euch das?

Werfen wir einen Blick zurück in die vergangenen Tage!

Das war am zwanzigsten August des bösen Jahres fünfzehnhundertfünfundachtzig. An diesem Tage hielten die Reformierten ihren letzten Gottesdienst in der Kathedrale. Nach der Kapitulation, welche die Stadt mit ihrem gewaltigen Dränger, dem Prinzen Alexander von Parma, abgeschlossen hatte, sollte am folgenden Tage der Katholizismus wieder Besitz nehmen von dem Heiligtum Unserer Lieben Frau, das er so lange den Ketzern hatte überlassen müssen.

Es war ein feierlicher, seltsamer Augenblick, als nun an diesem zwanzigsten August nach der letzten protestantischen Predigt die Tonwogen der protestantischen Orgel verrollten. Eine tiefe Stille trat ein, das Volk saß mit gesenkten Häuptern und betete leise und brünstig. Dann aber brach es aus – ein Ton, halb Seufzer, halb unterdrückter Wutschrei – langhallend – Schmerz und Ingrimm! Ein Rauschen entstand, von den Sitzen erhob sich die Versammlung und stürzte wild und wirr gegen die Kirchtüren, gegen die hohen Portale, welche der katholische Teil der Bevölkerung bereits umlagerte.

Triumph und Niederlage!

Mönche aller Orden drängten sich hohnlächelnd oder drohend[458] den gedemütigten, still weinenden oder grollenden Ketzern in den Weg, ihre Rosenkränze frohlockend erhebend.

Wie lange war es her, seit sie vor dem Ruf: »Papen uyt! Papen uyt! Die Pfaffen fort! Fort mit den Pfaffen!« diesen selben Ketzern hatten weichen müssen?

So wechseln die Geschicke der Menschen, so wechseln Triumphe und Niederlagen im Kampfe der Geister.

Am zwanzigsten August bestand noch in voller Kraft und großem Ansehen das Handlungshaus van Bergen und Norris; – am siebenundzwanzigsten August löste sich die Firma. Alexander Farnese zog mit großem Pomp in die gewonnene Stadt ein; Jan Geerdes Norris verließ sie mit seinem zehnjährigen Söhnlein und vielen andern, welche die spanische Gewalt nicht ertragen wollten. In der Stadt zurück blieb Michael van Bergen mit seinem sechsjährigen Töchterchen. Jeder der beiden Kompagnons handelte nach seinem Charakter, der starkmütige, zornmütige Norris und der ängstliche, weiche van Bergen. Der eine trotzte dem Verhängnis, solang es ging, und wich, als der Kampf entschieden war, an dieser Stelle, um ihn anderswo wieder aufzunehmen. Der andere beugte sich den Verhältnissen und litt schweigend, was er nicht zu ändern vermochte.

Doch das ist lange vorüber, und unsere beiden Helden sind nicht Geerdes Norris und Michael van Bergen, sondern Jan Norris und Myga van Bergen, die Kinder der einst so berühmten Firma.

In was für einer schreckenvollen, verwüsteten, grauenhaften Welt hatten die beiden Armen das Licht erblickt. Wie oft waren die Wiegenlieder der Mutter durch das Krachen der Geschütze nah und fern zum Schweigen gebracht worden. Wie oft hatten die Väter Söhnchen und Töchterlein niedersetzen müssen von den Knien, weil die Notglocke sie hinausrief auf die Wälle oder zum Rathaus!

Arme kleine Wesen! Niemals hatten sie gleich andern, in glücklicheren Zeiten geborenen Kindern gefahrlos in schattigen Wäldern, auf grünen Wiesen sich umhertummeln dürfen. Niemals[459] hatten sie die blauen Kornblumen, den roten Feldmohn vom Rande der Ackerfelder zum Kranze winden dürfen.

Die Wälder füllten ja die streifenden Parteien des katholischen Königs, die wilden Rotten der Waldgeusen, das rechtlose, heillose, versprengte Gesindel aller Völker Europas.

Auf den grünen Wiesen schlugen die Heere Spaniens, die Söldnerhaufen aus Deutschland, England, Frankreich, Italien, die Krieger der Provinzen, des Prinzen von Oranien ihre Hütten und Gezelte auf.

Die Kornfelder fielen, noch ehe die goldene Frucht reifte, noch ehe die roten und blauen Blumen blühten, den Rossen und Fußtritten der ziehenden Heeresscharen zum Opfer.

Wo war ein friedliches Fleckchen zu finden auf diesem zertretenen Erdenwinkel, welchen der König von Spanien sein Eigentum nannte?

In den engen, dunkeln Gassen der Stadt Antwerpen hinter den hohen Mauern, Wällen und Türmen Paciottis hatten die armen Kinder ihre Spielplätze, und oft genug waren auch diese unsicher und gefahrbringend. Oft genug verwandelten sich die Häuser der Bürger in Kerker, in welchen die Bewohner sich selbst einschließen, in welchen sie ihre eigenen Kerkermeister sein mußten, um sich vor dem draußen umgehenden Unheil zu schützen.

Ganz anders mußte sich die Weltanschauung dieser beiden Kinder als anderer, glücklicherer gestalten, und manche schöne Blüte wurde durch das finstere, kalte Gewölk, das über den Zeiten hing, in der Knospe erstickt und vernichtet.

Wie oft sahen Jan und Myga während der ganzen langen Belagerung des Prinzen von Parma von den Fenstern aus, in welchen sie ihre bunten Puppen und Tiere aufstellten, den Krieg mit seinen Schrecken in der Gasse vorüberziehen!

Ein Paar sollten Jan und Myga werden, hatten die Väter und Mütter unter sich ausgemacht, als die große Firma van Bergen und Norris noch stand. Als die Kapitulation zwischen dem Prinzen Alexander und der Stadt aber unterzeichnet wurde, zerriß in seinem Sinn Jan Geerdes Norris den Vertrag[460] über das Hochzeitsbündnis seines Söhnleins mit dem Töchterlein seines Kompagnons Michael van Bergen. Die Ehefrauen der beiden Handlungsherren waren damals bereits beide tot.

Am siebenundzwanzigsten August fünfzehnhundertfünfundachtzig wurden die beiden Kinder voneinander getrennt, und der zehnjährige Bube, das sechsjährige Mädchen schluchzten bitterlich darob; aber es war Krieg, und der Krieg trennt wohl noch viel grausamer Herz von Herzen. Man hielt sich versichert, daß die beiden Kinder ihre ersten Jugenderinnerungen bald genug vergessen haben würden.

Wir wollen sehen, ob dem so war. – –

Die Jahre sind vergangen – tot ist Johann Geerdes Norris, tot ist Michael van Bergen, nachdem sein Reichtum vergangen ist wie Schnee an der Sonne.

In ihrem Stübchen hinter der Mauer am Kai zu Antwerpen saß Myga in ihren schwarzen Trauerkleidern – ein wunderholdes Jungfräulein, noch gar bleich von den langen Nachtwachen am Bette ihres sterbenden Vaters. Sie spann ihre Augen waren voll Tränen und ihr Herz voll unausgeklagter Schmerzen und Sorgen. Seit dem Tode ihres Vaters war das arme Kind ganz einsam in der großen Stadt, in einer so wilden Zeit, wo die Schwachen fast rechtlos jeder Unterdrückung, jedem Übermut preisgegeben waren.

Ganz verlassen war Myga van Bergen?

Armes Kind! – Daß sie nicht ganz verlassen war, gehörte auch mit zu den Sorgen Mygas.

Wohl kümmerte sich noch jemand um das Kind Michaels van Bergen, wohl wußte die Waise, daß ein treues Herz ihr geblieben war, daß – Jan Norris von Amsterdam den letzten Blutstropfen für sie hingehen würde; aber Jan Norris war ein Verfemter, dem der Galgen drohte, wenn eine spanische Hand ihn griff in den Gassen von Antwerpen. Und Jan Norris, der Wassergeuse, erschien oft in mancherlei Vermummung in den Gassen von Antwerpen.

Jan Norris hatte seine Jugenderinnerungen nicht so bald vergessen, wie Jan Geerdes Norris, sein Vater, meinte.[461]

Noch immer waren Jan und Myga Bräutigam und Braut. Keine Macht auf Erden solle sie trennen, hatten sie sich gegenseitig geschworen; was jedoch daraus werden sollte, wußte aber, solange der alte Michael noch lebte, keins von beiden zu sagen.

Nun war Michael van Bergen tot und begraben seit vierzehn Tagen; aber Jan war verschwunden seit Monden. Lebte er noch? Hatten ihn die Wogen verschlungen? Hatten ihn die Spanier beim Entern gefangen und gehangen?

Wer konnte das sagen?

Was sollte die arme verlassene Myga anfangen in der wüsten Welt, wenn Jan tot war?

Die Nacht ruckte allmählich vor; aber Myga fürchtete sich, sich niederzulegen. Schlafen konnte sie doch nicht vor Gram und Beklemmung, was sollte sie im Bette? Es wurde allmählich recht kalt im Stübchen, aber die Waise schien die Kälte nicht zu spüren, sie legte nicht neue Kohlen in den winzigen Kamin. Sie stellte die Spindel weg und bedeckte das Gesicht mit den Händen, das Haupt zur Brust neigend. So saß sie noch eine geraume Zeit, bis sie sich endlich fröstelnd doch erhob, um ihre Lagerstatt zu suchen.

Noch einmal beugte sie sich zu den Riegeln ihrer Tür nieder, um nachzuschauen, ob dieselben auch ordentlich vorgeschoben seien, als sie auf einmal horchte – atemlos horchte.

»Myga?!« flüsterte es draußen.

Die Waise erzitterte am ganzen Körper.

»O mein Gott«

»Myga?!« flüsterte es noch einmal durch das Schlüsselloch.

Mit einem Schrei schob das junge Mädchen die Riegel weg und drehte den Schlüssel im Schloß. Auf flog die Tür, und ein Jüngling in der Offizierstracht eines deutschen Söldnerregiments mit der spanischen Feldbinde über der Schulter hielt im nächsten Augenblick das schöne Kind in den Armen.

»Myga, O Myga!«

»O Jan, Jan, lieber, lieber Jan!«

Heiße Küsse ersetzten für die nächsten Minuten das Wort den beiden. Dann aber sank Jan Norris, wie es schien, vollständig[462] erschöpft, auf den nächsten Stuhl, und Myga bemerkte nun erst die Unordnung der Kleider ihres Geliebten, bemerkte, daß er den Hut Verloren hatte, daß seine Wange Von einer leichten Schramme blutete.

»Um Gottes willen, was ist wieder geschehen, Jan? Ich zittere – o du hast dich wieder einmal tollkühn in Gefahr gestürzt – o Jan, Jan, böser Jan!«

»Wahrhaftig, um ein Haar, so hätten sie mich diesmal erwischt, Myga! Aber fürchte dich nicht, süßes Lieb, nur beinahe hätten sie mich gepackt – Teufel, wie ein Hund hätt ich freilich gebaumelt, wenn's nicht so gut abgelaufen wär!«

»O Jan, und du willst mich lieben? Du willst mich erretten aus dieser Stadt? O barmherziger Gott, zugrunde wirst du gehen und ich auch, und mein Vater ist auch tot, o du heiliger, barmherziger Gott, was soll aus mir werden? Wer soll mich schützen, wer soll mir helfen?«

»Du hast recht! Leider Gottes hast du recht, armes Lieb! Ach, und dein Vater ist nun auch gestorben, und ich bin nicht dagewesen, dich zu trösten in deinem Kummer. Mußte vor Dünkirchen kreuzen derweilen, die Freibeuter in den Grund zu bohren; – o es ist hart, Myga, und doch – doch konnt ich nicht anders und heut abend auch nicht. Das edle Vaterland hochzuhalten, soll jeder sein Leben dransetzen; – ach Myga, Myga, lieb mich noch ein wenig, trotzdem daß ich dir ein so schlechter Schutz und Schirm bin. Der arme Vater Michael –«

»Laß den toten Vater, Jan! Ihm ist wohl, er hat Ruhe und braucht niemanden mehr zu fürchten – ach, man muß die Gestorbenen wohl beneiden in dieser blutigen, schrecklichen Zeit!«

»O Myga, sprich nicht so. Ein Elend ist's freilich wohl, daß der Vater starb; aber – nun bist du ja ganz mein! Nun kannst du ja mit mir gehen nach Amsterdam, nun fesselt dich nichts mehr in diesem armen Antwerpen. Myga, tröst dein Herz, wir sehen doch noch fröhliche Tage, meine süße, süße Braut. Noch eine kurze Zeit, und ich hole dich – gib Achtung – Vielleicht mit einem stattlichen Hochzeitsgeleit, daß keine Königin sich dessen zu schämen hätte. Vielleicht läuten sie die Glocken, rühren[463] sie die Trommeln, vielleicht feiern sie mit Geschützesdonner die selige Stunde, in welcher ich dich davonführe aus Antwerpen. Gib acht, ob's nicht wahr wird, was ich dir in aller Heimlichkeit vertraue.«

»Ach welche Phantasien, du wilder, lieber Jan Norris. Sag mir, wie sollt das geschehen, daß du mich so feierlich heimholen würdest? Nein, sag's mir nicht, denn es ist doch eitel Torheit; bericht mir lieber von der Gefahr, der du soeben kaum entrannst. Es kommt mir nun auf ein nächtlich Traumbild nicht mehr an, dafür sorgst du schon, tollköpfiger Jan.«

»Nicht so tollköpfig, als du meinst, Lieb!« lächelte der Jüngling. »Der Kapitän der schwarzen Galeere würde sich sonst wohl hüten, des Jan Norris Kopf und Beine, Herz und Arme also zu gebrauchen, wie er es tut. Einer großen Sache wegen bin ich hier in der Stadt – wir wollen gern eine Tat tun, daß die Antwerpner Kinder noch nach hundert Jahren davon singen mögen. Deshalb Kundschaft zu holen, steck ich hier in diesem Plunder, in deutschen Pluderhosen, statt in seeländischen Schifferhosen. Nun höre, Myga. Ich habe am Kai meine Geschäfte abgemacht und in Erfahrung gebracht, daß vier Galeeren des Spinola heute am frühen Morgen in See gegangen sind zur Jagd auf die schwarze Galeere; dabei habe ich leider Gottes ausgekundschaftet, daß der Vater Michael gestorben ist, habe mir das letzte genuesische Schiff, das hier vor Anker liegt, den Andrea Doria – seiner Bauart wegen –, genau angesehen, und der Abend ist derweilen herangekommen. Hatte den Tag schon oft genug heimlich nach deinem Fensterlein heraufgeschaut, lieb Kind, aber nicht die Minute gefunden, hinzuschleichen zu dir, da mancherlei Volk mir an den Fersen hing. Denk ich also, die Dunkelheit zu erwarten – ich hab ja den Hausschlüssel –, und schlendere gemächlich durch die Gassen, bis mir vor einer hellen Kneipentür in den Kopf kommt, die Nacht sitzend abzuwarten und beiaus noch ein wenig auf des Volks und der Fremden Gehaben Achtung zu geben – wegen meines Geschäftes, verstehst du! – Gut, ich trete ein in die Taverne, fordere eine Flasche Wein und setze mich hinter den Tisch, die Ellenbogen aufstemmend, als[464] wäre die ganze Welt mein und ich gar nicht in Not und Sorge um die arme Myga, deren Vater starb, ohne daß ich zu ihrem Trost dabei war. Um mich her ist ein Gewirr wie beim Turmbau zu Babel. Deutsche, Burgunder, Spanier, Italiener, Niederländer schwatzen und fluchen und schreien, jede Kreatur in ihrer Sprache, und saufen alle auf dieselbe Weise. Jeder Tisch und Winkel ist besetzt, und nur neben mir sind noch zwei Plätze leer. Da kommen zwei patzige Burschen – ich kenne sie recht gut, der eine ist der Kapitän vom Andrea Doria, der andere ist sein Leutnant. Steigen über Tisch und Bänke und sitzen bei mir nieder. Ich mache ihnen auch gern Platz, denn ihre Bekanntschaft ist mir viel wert, und jedes Wörtlein, so sie sprechen, leg ich auf die Goldwaage. Tue ich aber, als ob ich sie nie mit Augen gesehen habe, lege wie schläfrig den Kopf auf beide Arme und kümmere mich um die Welt nicht, knöpfe aber die Ohren weit auf. Nun rufen die beiden Welschen nach Wein, und der Jüngste, der Leutnant, nimmt das Schenkmädel um die Hüfte. Der andere aber sieht ganz kläglich und melancholisch drein, als wär ihm tüchtig die Petersilie verhagelt – ich hätt über ihn lachen können; aber beim Eid der Geusen, es war nichts zum Lachen! Nun gehen die Worte hin und her, und anfangs ist natürlich nur die Rede von unserer stolzen Tat, von dem Tanz in der vorvergangenen Nacht, von der Himmelfahrt der Unbefleckten Empfängnis. Darüber frohlock ich im Herzen; aber auf einmal stehen mir alle Pulse still, denn es wird ein Name genannt, den ich kenne. Von dir, Myga van Bergen, ist die Rede!«

»Von mir?« rief das junge Mädchen; »o Himmel, und der italienische Kapitän sprach von mir! O Gott, Jan, Jan, schütze mich vor dem! O wie fürcht ich den!«

»Also ist's so, der Hund stellt seine Schlingen nach dir?!« rief Jan Norris mit dumpfer Stimme, und Myga barg ihr Gesicht an seiner Brust und nickte zitternd.

Der junge Wassergeuse knirschte mit den Zähnen und lachte ingrimmig.

»Der Trank wird nicht so heiß getrunken, als er gebraut wird; das wird der welsche Schuft schon erfahren. Tröst dich,[465] Myga; bin ich nicht dir zur Seite und viele gute Gesellen hinter mir? Armes Kind, wie du erzitterst!«

»O Jesus, Jan, ich kann mir nicht helfen. Haben nicht die gewalttätigen, übermütigen Fremden die Macht? Wer hindert sie, ihren bösen Willen auszuführen? O Jan, Jan, nimm mich mit dir fort – in dieser Nacht noch, jetzt gleich!«

Jan Norris hielt die bleiche, zitternde Braut in den Armen und suchte sie auf alle Weise zu beruhigen. Als ihm dieses ein wenig gelungen war, erzählte er weiter von seinem Abenteuer in der Kneipe Zum Goldenen Löwen.

»Steilrecht standen mir die Haare empor, und alles Blut drängte sich mir ins Gehirn. Aber ich mußte mich bändigen, daß ich mich nicht verriet, und das war eine schwere Arbeit; aber Jan Norris kriegt's doch fertig und tat, als ob er den Teufel ein Wort von dem italienischen Gerede verstünde. Beim Grafen von Lumey, ein Bubenstück, schwärzer als die Nacht, ward da beraten; aber ich weiß alles, und das ist genug. Obermorgen in der Frühe segelt der Andrea Doria – der Befehl dazu ist vom Admiral gekommen –, und weil die Gelegenheit so günstig ist, so wird in der nächsten Nacht der feine Plan ins Werk gesetzt. In der nächsten Nacht wird das wilde Täubchen Myga van Bergen in der Gewalt des Kapitäns Antonio Valani sein, mit Hülfe des Teufels und des Leutnants Leone della Rota. In der nächsten Nacht wird dieses Haus überfallen; – aber so leise geschieht das, daß kein Nachbar, keine Nachbarin darüber erwacht, daß kein Hahn in ganz Antwerpen darum kräht. Auf die Galeone mit der Myga! Lustig – an die Ankerwinde, meine Burschen – hoiho, hinaus zur Jagd auf die rebellischen Ketzer – lustig hinaus in die offene See – wer hört auf der weiten See den Hülferuf und das Weinen der kleinen Myga? Himmel und Hölle, und der Jan Norris sitzt dabei im Löwen und darf nicht mucksen, hält sein Messer in der Faust und darf die beiden flüsternden Schufte nicht über den Haufen stoßen!«

»O Jan, Jan, um meiner und deiner Mutter willen – um unserer Liebe willen, rette mich! Laß mich nicht in ihre Hände fallen! Der Tod wäre weniger schrecklich als das!«[466]

»Ruhig, ruhig, Kind! Es ist noch lange Zeit bis zur nächsten Mitternacht. Zu Amsterdam am Feuerherde wollen wir noch manch ein Mal uns dieser Geschichte erinnern. Verlaß dich auf mich, Herzensbraut, es wird dir nichts zuleide geschehen, solang der Jan Norris noch auf seinen zwei Füßen steht. Doch nun hör weiter; meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ich muß dir erst noch sagen, wie es kam, daß sie den zweiten Steuermann der schwarzen Galeere in mir witterten. Das war eine lustigere Geschichte als die, welche ich dir eben erzählte.«

»O Jan, Jan, fühle, wie mein Herz klopft; – o barmherziger Gott, wer schützt die arme Myga? O Jan, laß uns fliehen, jetzt gleich auf der Stelle, ich kann hier nicht mehr Atem schöpfen – die Luft dieses Zimmers erstickt mich!«

»Ruhig, ruhig, liebe, liebe Myga! Gern würde ich dich sogleich mit mir fortführen, und ein Boot würde auch bereit sein, uns aufzunehmen; aber horch nur hinunter in die Gassen – die ganze Stadt weiß in diesem Augenblick, daß Männer der schwarzen Galeere verkleidet in ihren Mauern weilen. Horch nur das Getümmel drunten – das Laufen und Rennen gilt mir, da ist keine Möglichkeit, daß wir jetzt glücklich durchkämen. Sitz nieder und zittere nicht so – noch sind wir sicher, und Zeit schafft Rat – denk an diese Minuten, wenn wir in Amsterdam am Winterfeuer sitzen. Hahaha, laß sie nur drunten suchen, zu flink und zu schlau ist ihnen der Jan Norris gewesen – 's wär auch schad um den Burschen gewesen, wenn sie ihn gehangen hätten, nicht wahr, Myga?«

»O Jan! Jan!«

»Ah bah, gib mir einen Kuß und – noch einen, und nun zu meiner Geschichte. Sitz ich also und beiße mir die Lippen blutig, aber verliere kein Wort des Gespräches neben mir, und die Schurken schwatzen weiter und frohlocken über ihren Teufelsanschlag. Dann trinken sie ihre Gläser aus, erheben sich von ihren Sitzen und wollen gehen, werden aber an der Tür durch einen großen Tumult zurückgehalten. Wird nämlich ein Bube auf den Schultern von zwei Kerlen hereingetragen, und ein groß Hurra entsteht, wie das Volk in der Schenkstube seiner ansichtig[467] wird. Ist der Bub der Kajütenjunge von der Immacolata, der allein von der ganzen Schiffsmannschaft mit dem Leben davongekommen ist und ans Land kam nach einer tollen Fahrt durch Luft und Wasser. Jeder will den Buben sehen, jeder will ihn sprechen, und alle drängen sich zu ihm und reichen ihm ihre Becher und Krüge. Ich aber halte es für das beste, das Getümmel zu benutzen und mich unbemerkt zu entfernen. Schleiche ich also so dicht als möglich an den Wänden hin und habe fast die Tür erreicht, als das Unglück es will, daß das Auge des Schiffsjungen, der noch immer auf den Schultern seiner Träger kauert, auf mich fällt. Der Bube starrt mich an, als ob er ein Gespenst sähe, er wird bleich wie ein Käse und schreit aus Leibeskräften: ›Hülfe, Hülfe! Ecco, ecco! Das ist einer! Hülfe – haltet, haltet ihn!‹ – – ›Wer ist's? Wie? Was?‹ brüllt das Volk, und jeder sieht den Burschen und seine Nachbarn an. – ›Da, da, der dort am Tisch – haltet ihn, 's ist der Satan von den Wassergeusen, der den Kapitän Perazzo niederstieß – einer von der schwarzen Galeere!‹ – Ein Lärm bricht nun los, als platze die Hölle – alle Augen richten sich auf mich, alle Waffen fliegen aus den Scheiden, und auch ich reiße mein Messer heraus, mein Leben im Notfall so teuer als möglich zu verkaufen. Nun stürzten sie sich auf mich; aber ich war behender als sie, fasse die nächste Bank und schleudere sie den ersten vor die Füße, daß ein ganzer Haufe darüber stolpert und am Boden sich durcheinanderwälzt. Den Augenblick benutze ich – bin mit einem hohen Satz mitten im Getümmel, schlage rechts und schlage links mein Messer ihnen in die Fratzen – die Tür ist erreicht – ich bin in der Gasse – hinter mir höre ich das Gebrüll der Verfolger – Gott sei's gedankt, daß ich mein Antwerpen wie meine Tasche kenne. Kreuz und quer geht die Jagd, aber ich täusche sie durch mancherlei List; führe sie auf falsche Fährte und kreuze hier herüber. Am Kai ist's noch ganz still – mein trautes Schlüsselchen öffnet mir eine wohlbekannte Haustür – und – hier bin ich gerettet, um dich zu retten, traute Myga, süße Braut. Horch aber nur, sie geben die Hoffnung noch nicht auf, den Geusen zu hängen – zum Teufel, horch nur, die ganze Garnison kommt wahrhaftig[468] auf die Beine – haha, eine große Ehre, meine Herren! Bedanke mich allergehorsamst, hahaha!«

Lachend horchte Jan Norris, zitternd horchte Myga van Bergen dem Lärm in den Gassen.

»O trauter Jan, bist du ganz sicher, daß niemand deinen Eintritt in dieses Haus gesehen hat? Hör nur, der ganze Tumult wälzt sich hierher – o Gott, schau aus dem Fenster – Fackeln und Speere – Jesus, sie schlagen an die Tür – sie suchen dich, Jan; barmherziger Himmel, schütze uns – verloren, verloren!«

Die Haustür ging auf, man schien in das Haus zu dringen; Jan Norris preßte die Zähne aufeinander und faßte den Griff seiner Waffe.

»Ruhig, ruhig – es ist nicht möglich! Ruhig, Myga!«

»Sie kommen, sie kommen!« kreischte das Mädchen. »Sie steigen die Treppe hinauf, sie werden dich finden; Jan, Jan, laß mich mit dir sterben!«

Der junge Geuse war blaß wie der Tod.

»Hätte ich dich durch Unvorsichtigkeit so in Gefahr geführt, Myga? Das wäre schrecklich. Beim Eid der Geusen, da dringen sie die Treppe hinauf. Myga, o Myga!«

»Laß mich mit dir sterben, Jan!« hauchte das junge Mädchen, an die Brust des Bräutigams sich klammernd.

Quelle:
Wilhelm Raabe: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1964–1966, S. 457-469.
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