Achtzehntes Kapitel.

[150] Bis das Auge sich gewöhnt hatte, war's freilich ein bißchen dunkel, wie dies alle Höhlen so an sich haben, einerlei, ob sie dem frommen Aeneas und der schönen Frau Dido oder ob sie dem Magister Buchius und seiner Amelungsborner Klostergesellschaft sich zum Zufluchtsort im Regensturm oder im Kriegessturm anbieten. Auch ging es nicht gradaus und auf teppichbelegter Treppen in die Tiefe; und wer auf den Ruf des Führers: »Hier mit Vorsicht bücken, oder lieber auf die Knie!« hörte und ihm Folge leistete, der tat wohl und bewahrte sich vor Brauschen und Schrunden an Stirn und Hinterkopf und behielt auch sein Nasenbein heil.

»So lasse Er doch das dumme Zeug, Thedel!« hatte aber Mamsell Selinde selbst auch hier zu flüstern. »Kann Er denn auch hier in solchen Schrecknissen und Nöten Seine Albernheiten nicht unterwegens lassen, Herr von Münchhausen?«

»Aber mein Gott, muß Er denn selbst bei diesem Donner Gottes über dem Haupte der ewige Jokulator sein, Münchhausen?« rief der Magister zurück. »Fasse Er doch lieber jetzt mit an und helfe Er mir Schelzen in die Sicherheit zu bringen! Nur ruhig, Wieschen – hier sind wir fürs erste zu Hause. Nun danket dem Herrn, denn seine Hand war über uns bis jetzt; stehet oder sitzet und gewöhnet eure Augen an die Finsternis. Sitzet still und horchet! Die Berge und Felsgesteine sind wahrlich auf uns gefallen, bedecken uns und geben uns Schutz. Horche Er, Thedel[151] von Münchhausen, lieber Sohn, wie der Könige Zorn und Hader von ferne uns zu Häupten toset bis zu den Ohren des Abgrundes, und treibe Er wenigstens jetzo keine Allotria, bester Münchhausen.«

»Sie denken nichts Arges von mir«, sagte der Schüler weinerlich-kicherlich, und nun suchten sie wirklich allgemach ihre Augen an die Dunkelheit ihres Zufluchtsortes zu gewöhnen, während Magister Buchius, der den Raum doch schon genau kannte, in seiner Tiefe auch noch einige Zeit vergeblich tastete und suchte. –

Wie schade, daß der eifrigste Forscher auf den Spuren dieser wahrhaftigen Historia zwischen Fels und Wald am Ith ganz vergeblich nach der Klause des alten Herrn tasten und suchen wird. Der Mutter Natur ewige Arbeit auch im Erdinnern ist ihr nicht so gnädig gewesen, wie jener andern prähistorischen Spalte, mehr gegen Dorf Holzen zu, am Roten Stein. Ist der »Dolomit« zusammengerückt – haben die Wasser ihr Spiel getrieben und die Höhlung seit des alten Fritzen Kriegen mit Schlamm ausgefüllt; wir können es nicht sagen. Und des Nachgrabens lohnt es sich nicht. Die Schätze, die aus der Schluft zu holen waren, die hatte der Magister schon nach Amelungsborn in der Tasche heimgetragen, und das, was er und seine Begleiter am fünften November Siebenzehnhunderteinundsechzig drin zurückließen, das könnte von historischem Wert nur für den Historiographen dieser Begebenheiten sein, und der verzichtet drauf in seinem Namen und dem seiner Leser und – Leserinnen.

Der »eifrigste Forscher« soll dessenungeachtet dort mit Axt, Spitzhacke und Spaten unter Genehmigung der hohen Forstbehörden im kultivierten Walde tun können, was er will – alles zu Ehren der großen Wald- und Wildnisschule Kloster Amelungsborn und ihres trefflichsten Kollaborators M. Noah Buchius Seligen.

Und wie schade, daß es nicht heißer Hochsommer draußen[152] war und sie damals nicht auf einer Vergnügungsfahrt kamen, diese gehetzten Erdenbewohner, die eben ihre Augen an das Licht in der Finsternis gewöhnten! Der Troglodyt, Ureinwohner oder Einwanderer, der vor Jahrtausenden diese Junggesellenwohnung gefunden und für sich in Beschlag genommen hatte, der hatte nicht nur Glück, sondern auch Geschmack gehabt. Die jetzt noch vorhandene allgemeine Stammhöhle am Roten Stein war ein unheimlicher, naßkalter, ganz dunkler Hordenunterschlupf, ein Stall, ein Greuel gegen des Magister Buchius letzten Zufluchtsort im Lebens-, Schul- und Kriegsdrangsal.

»Es fällt, weiß Gott, auch noch Licht von oben herein«, rief Thedel Münchhausen. »O, nur noch einen Moment länger, Mamsell Selinde, in den Sack geguckt; nachher weiß Kater und Katze hier ebensogut Hausgelegenheit, wie – anderswo in der Welt!«

Es fiel wirklich hier und da durch die übereinander geschichteten Blöcke ein Glimmer vom grauen Morgen in die wenn auch kühle, so doch jedenfalls behaglich trockene Höhle. Und was das Licht anbetraf, so sollte es damit noch viel besser kommen. Es klang in der Tiefe Stahl auf Stein, die Funken spritzten, es fingen Zunder und Schwefelsticken und nun:


»Salvete, hospites!«


sprach Magister Buchius, mit einer kleinen Blechlaterne, der allerechtesten lucerna Epicteti, seine Gäste und Schützlinge in seinem bis zu diesem heutigen Schreckensmorgen und furchtbaren Schlachtentage des guten Herzogs Ferdinand ihm unbestrittenen letzten Erdenasyl beleuchtend und ihnen auch es – zur Verfügung stellend.

»O Herr, Herr Magister, und ich habe Sie, mit den anderen habe ich den Herrn Magister zum Narren haben wollen!« stotterte jetzo in Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit weinerlich Junker Thedel von Münchhausen. »O vivat, vivat Amelungsborn! [153] In saecula saeculorum die große Wald- und Wildnisschule von Amelungsborn!«

»Vigeat! floreat!« rief Magister Buchius, sich ganz in die Stimmung der alten wilden und gelehrten Herrlichkeit und des dummen Jungen, des letzten echten und gerechten Waldklosterschülers, versetzend; aber leider nur für einen kurzen, kürzesten Augenblick.

»Was schwatzet Er, was jubilieret Er vom alten Amelungsborn, lieber Münchhausen? Transite ad inferos. Das sind wir! Zu den Unterirdischen sind wir gegangen. Helfe Er dem armen Schelze zu einer guten Unterkunft, solange der Lichtstumpen in der Laterne reicht«, sagte er, mit dem Schein, der von ihm ausging, rundum Hausgelegenheit im Bauche des Idistavisus zeigend.

Der Troglodyt, der vor ungezählten Jahrtausenden den heimeligen Ort für sich eingerichtet hatte, abseits von der Kommune, der großen Welt und der kleinen in dem großen Gemeinwesen nach Holzen zu im Berge, und der Vorgänger in der Zelle des letzten Kollaborators von Amelungsborn, der letzte katholische Mönch, Bruder Philemon, sie waren beide für den Magister Buchius in mancher trübseligen Stunde wie lebende gute teilnehmende Stubengenossen gewesen in den Ithklippen wie im Kloster. Jetzt machte der erstere, mehr denn je als Vertrauter, mit dem Magister die honneurs des Ortes.

»Helfet dem Schelze zu einem Sitz dort auf der Steinbank«, sagte der Magister. »Der arme Sünder und diluvii testis, der Sündflut Zeuge, hat dort auch sein Lager sich zubereitet in seinem betrübten finsteren Leben. Nun, die Gnade Gottes wird ihn itzo wohl auch in ein klares Licht erhoben und zu besserer Einsicht verholfen haben. Ich habe seinen Kochtopf zu Hause in meinem Museo, wenn der nicht –« kopfschüttelnd und seufzend brach er ab in der Überlegung darob, wie es augenblicklich wohl in seinem »Museo« aussehen möge. Und er fuhr erst nach wiedererrungenem[154] philosophischen Gleichmut fort: »Wir könnten ihn, den Topf meine ich, doch nicht heute hier von neuem gebrauchen, des Rauches vom Küchenherd wegen, der durch die Steinritzen dem Feind von unserm Dasein hier unten Kunde geben möchte. Liegt Er jetzo gut, Schelze?«

Knecht Heinrich faßte winselnd nach der Hand des Alten:

»O Herre, Herre, Herre! ohne den Herrn Magister und mein Wieschen, wo läge ich jetzt?!«

»Vergiß des Herrn Amtmanns Schimmel nicht, Kamerad«, meinte der Junker. »Und Mademoiselle Selinde hat dir ihren Sitz im Sattel auch aus ihrem himmlischen Herzen abgetreten, ohne Querelen. O, was meinet Sie, schönste Mademoiselle? wir kommen doch noch heil aus dem Jammer! Ei, wissen der Herr Magister wohl noch, wie Sie mir privatim den Propheten Jeremias auslegeten nach der Bataille bei Kolin: Ach, daß ich Wasser genug hätte in meinem Haupte, zu beweinen die Erschlagenen in meinem Volk?! Der Herr Magister hatten mir bei Sonnenuntergang wieder mal den Karzer auf des Herrn Rektoris Ordre aufschließen lassen und mich mit auf Ihre Stube genommen, mir nochmals ins Gewissen zu reden. Ich war eben noch ganz grün in Kloster Amelungsborn, aber Er war auch schon bei der Affaire mit den Golmbachern, Schelze, wo sie unsere Tertia auf ihrer Feldmark beim Krebsen im Bremekenbach gepfändet hatten und sie bei den Zöpfen nach ihrer Pferdeschwemme zum Untertauchen ziehen wollten.«

»Dem Regiment Bevern ist's in der Unglücksbataille in Böhmen nicht schlimmer ergangen als wie uns vom Kloster damals!« rief der Knecht Heinrich ganz lebendig in der vergnügten Erinnerung vom Kanapee des Urhöhlenbewohners her. »Damals ging's aber auch von unserer Seite mit über Bevern her; denn es war Lobacher und Bevernscher Zuzug unter den Golmbachern. Die Lümmel –«

»O je, Heinrich, der Herr Magister Buchius und der junge[155] Herre gehören ja auch zu ihnen, die sind ja auch aus Bevern!« rief Wieschen, die gottlob jetzt schon wieder den Arm ihres Liebsten um sich fühlte, während sie bis vor kurzem in ihren Armen den armen Kerl hatte aufrecht halten müssen.

»Mamsell Fegebanck, allerwerteste Jungfer«, sprach aber jetzo Magister Buchius mit ausgesuchter Höflichkeit und Sensibilité die Schönste im kleinen Haufen an, »wir wollen jetzt Kolin Kolin und Bevern Bevern sein lassen. Liebes Kind, wir sind in Angst, und der Feind hat uns die Kleider zerrissen; wir sind durch Stock und Dorn gehetzet, und der Regen hat uns durchnässet bis auf die Knochen; wir sind geschüttelt vom Hunger und vom Frost, und vor Freund und vor Feind haben wir uns im Eingeweide der Erde verkriechen müssen; aber rufen müssen wir doch mit dankerfülltem Gemüte Sursum corda ...«

»Ach, was habe ich von Seinem ewigen Sumsumkrahkrah und andern Rabengekrächze?« ächzte die Schöne bissig. »Wenn der Herr Magister mir eine wirkliche Kompläsance erweisen wollten, so sollten Sie lieber, so lange das Licht in der Laterne reicht, in den aufgegriffenen Schnappsäcken nachsehen, was die Rappsäcke aus aller Herren Ländern an Proviant mit sich hatten. Das war die einzige Vernunft, die der Musjeh Münchhausen bewiesen hat heute, daß er von dem toten Volk da oben auf der Straße mitnahm in den Berg, was es zu seinem Leben doch nicht mehr gebrauchen konnte.«

»Das ist eine haarige Idee!« rief Thedel von Münchhausen, zum erstenmal in seinem jungen Dasein sich aus dem Knieen vor dem Ideal seiner Schultage mit ausgebreiteten Armen und Händen erhebend und sich mit ganzer Seele und leerem Magen der einfachen und aufrichtigen Mutter Natur in die Arme stürzend.

Kein Priester des Bel zu Babel oder des Drachen zu Babel konnte je zu Füßen seines Idols sich eines gesundern Appetits[156] erfreut haben, als wie der arme gute Junge ihn itzo, auf das vernünftige Wort seiner Göttin hin, bei der Durchsuchung der aufgerafften Brotbeutel der hohen kriegführenden Parteien betätigte.

Sie trugen die drei Knappsäcke auf einen Steinblock um die Lucerne des Magisters Buchius zusammen. Schon durchwühlte Mamsell die schottische Seehundstasche und leerte ihren Inhalt auf die Tischplatte des Troglodyten; Thedel von Münchhausen schüttelte den Inhalt des französischen Tornisters dazu, der alte Schulmeister zögerte am längsten mit dem blutbespritzten, regennassen Nachlaß des Landsmanns aus der Lüneburger Heide in den Händen.

Er war auch der einzige, der zu dem Sackausschütteln auch den Kopf schüttelte:

»Welch ein Leben! welch eine Zeit!«

»O tempora! o mores!« rief der Junker. »Nu, guck einer den welschen Spitzbuben an. Sind das deine Schuhschnallen, von denen du uns so oft lamentiert hast, Wieschen?«

»I, zeige Er doch, Herr von Münchhausen. Ne, meine sind es nicht. Die hat der Rischelljöh selber an sich genommen, meine ich.«

»Aber ich meine, diese nimmst du dafür an dich nach Kriegsgebrauch und -Recht, Wieschen. Was meinen der Herr Magister? Da hast du auch das Putzpulver dazu, Wieschen. Da, drei Paar Manschetten und ein halbes Hemde – hatte denn der Kerl nichts an Proviant bei sich als den Bauerhahnen am Säbelgurt? Noch einen silbernen Kinderlöffel – ein fein Frauenzimmersacktuch – Teufel, das Blut! Haben der Herr Magister nichts von Eßbarem gefunden?«

»Alles blutig! alles voll Blut!« murmelte der alte Herr schaudernd, einen Knorren angenagten, schauerlich feuchten schwarzen Roggenbrotes hinüber zeigend, den er mit zitternder Hand herausgeholt hatte aus dem Bündel wollener Socken,[157] Hemden, Fußlappen, welches aus dem Knappsack des Kurfürsten von Hannover gefallen war.

»Eine Paternosterschnur aus Bernsteinkugeln mit einem silbernen Kreuz –«

»Hat der Schlingel auch nicht bei seinen Heidschnucken gefunden. Hat er von drüben her aus Westfalen zum Andenken sich mitgebracht«, meinte der Junker und fügte kläglichst hinzu: »O je, o je, o Herrgott, vergib mir meine Sünden und mein freches Maul im Coenacul, wenn die Amelungsborner schwarze Suppe versalzen oder angebrannt war, und wir Sparter Panier aufwarfen gegen Küche, Koch, Rektor und Amtmann!«

»Sieht Er dies jetzo ein, lieber Münchhausen?« fragte Magister Buchius plötzlich ganz als Schulmeister – zum erstenmal an diesem Tage. »Habe ich Ihm diesen Seinen Seufzer nicht hundertmal prophezeiet? Er war einer von den Schlimmsten jederzeit und hat mir freilich durch Seine lose Zunge manch Unbehagen zubereitet, und ich habe es Ihm mit Kummer nicht verhehlen können, daß Zeiten kommen könnten, da –«

»Mademoiselle!« rief der Schüler plötzlich in einem Ton, der gar nicht zu dem seines Lehrers paßte. »Mamsell Selinde, Göttin, Amalthea, Sie hat wieder den Schlüssel zur Speisekammer. Ja, diese verdammten Englischen! sie haben immer das Horn des Überflusses mit sich. Jeses, nun seh' einer, was Mademoiselles Kriegsfortuna ihr in die Schwanenhände gelegt hat – Vivat Ferdinand, jetzt halten wir schon eine Belagerung aus!«

Man konnte nicht sagen, daß es ein zauberisches Lächeln war, was nun zum erstenmal an diesem wilden Tage das Gesicht der Schönsten von Kloster Amelungsborn verklärte; aber lächeln tat sie und wies ein beneidenswert gesundes Gebiß dabei von einem Ohre zum andern über ihren Schätzen.

A flitch of bacon – ein gut Stück wenigstens von einer[158] west- oder ostfälischen Speckseite! Deutsche Bauernwurst, deutsches Bauernbrot! Der unbehosete Tartanträger, der wackere Alliierte aus dem hohen Norden hatte es grade so gut wie der arme Teufel vom Golfe du lion verstanden, auf seinem Marsche zum Ith unterwegens zuzugreifen; und keiner aus der kleinen hungrigen Flüchtlingsschar in der Ithhöhle nahm ihm das in diesem Moment, unter »sotanen Umständen«, wie Magister Buchius sich doch entschuldigte, übel. »Sondern im Gegenteil!« sprach Thedel von Münchhausen sozusagen mit einer gewissen Andacht.

Von den drei Feldflaschen, die auf der Gefechtsstelle bei Scharfoldendorf den toten Kriegsleuten von den Kindern des Landes im Vorbeieilen mit abgerissen worden waren, enthielten zwei auch noch einige Tropfen Brannteweins: »zu einem erwärmenden Anlecken für mesdames und zu einem gottlob beinahe überflüssigen ›Bäuschgen‹ an den ›hanebüchnen Dickschädel des Esels Heinrich‹,« wie Junker Thedel von Münchhausen gleichfalls bemerkte.

Nach fünf Minuten saß die ganze Gesellschaft stumm kauend bei dem Schein des Lichtstümpfchens in der Laterne des Magisters Buchius, und jeder horchte für sich aus der Tiefe des Berges, wie der Zwist der Könige ihnen zu Häupten dumpf forttosete und auch hier zu ihnen hinunterdrang –

»'s ist wie lebendig begraben! Lange halte ich das nicht aus«, wimmerte Mamsell.

»Ich auch nicht«, rief Thedel Münchhausen, und dann erlosch das Licht in der Laterne, und Magister Buchius ergriff das Wort. Er – er – er versuchte es wenigstens, die Angst der gejagten Menschenkreatur im Finstren zu beschwichtigen; er, der so oft in seinem kümmerlichen Dasein, im dunkeln Winkel verkrochen, vor dem lustigen Leben der Welt den Vogel Strauß hatte agieren müssen.

»Liebe Freunde, liebe Kinder«, sagte er und riet er, »einen Augenblick, nur eine kurze Weile die Augen zumachen! nachher[159] scheinen die Sterne wieder in den Brunnen, oder, ich sage es besser, wir sehen noch ferner das angenehme Licht auch dieses schlimmen Tages.«

Wie die Kinder taten sie, was ihnen geraten wurde, und saßen eine geraume Weile still, auf die Schlacht draußen horchend, auf diesen Donner, der nur wie ein ununterbrochenes leises Murren durch die Felsenspalten zu ihnen in die Tiefe hinabdrang.

Als sie wiederum aufblickten, merkten sie, daß der schwache Schimmer des Tageslichtes, welcher durch dieselben Steinritzen in ihren Zufluchtsort einsickerte, genügte, sie »lebendig im Grabe« bei Besinnung zu erhalten.

Nach fünf weiteren Minuten seufzte Thedel wahrhaft kläglich vor sich hin:

»Und das hat Er, Er, Er herausgefunden?! ... Er! Und wir haben gemeint, der Wald und der Berg vier Stunden um Amelungsborn sei nur für uns in die Welt hingestellt worden! Jetzt steckt er uns alle in die Tasche, und der Bauerochse Schelze kann ihm nur verstohlen auf der Fährte folgen. Es ist eine Blamage für die ganze Schule, und es war die allerhöchste Zeit, daß sie aus der lichtgrünen Waldgloria nach Holzminden zu den Schustern, Schneidern und Leinewebern verlegt wurde.«

Laut rief er, – im rand- und bandlos hervorbrechenden Enthusiasmo schrie er:

»Vivat der Herr Magister Buchius! Der Herzog Ferdinand und die Kanaillen, der Poyanne und der Chabot müssen sich am Ith treffen, daß der letzte vom richtigen Amelungsborner Cötus nun, da es zu spät ist, seinen besten, liebsten, tapfersten, klügsten Herrn Magister ganz kennen lerne.«

»Schreie Er wenigstens, da es dazu wahrlich zu spät ist, nicht jetzo allzu laut, daß Er uns nicht doch die Marodeurs aus aller Herren Volk auch hier noch auf den Hals locke«, riet Magister Buchius. Das Behagen, welches der letzte wirkliche Kollaborator der wirklichen großen Schule von Amelungsborn[160] jetzt an dem schlimmsten letzten Schüler derselbigen nahm, seinen Triumph, welchen er über den besten wirklichen Scholaren der großen Wald- und Wildnisschule feierte, trug er kopfschüttelnd lächelnd aus unruhvollen Tagen der Vergangenheit am unruhvollsten eben vorhandenen Tage heraus, auch wie ein Marodebruder, der unterwegens was aufgreift und mitnimmt, uneingedenk der nächsten Kugel und ihres durch Ursache und Wirkung bestimmten Ziels – – – – – – – –

Quelle:
Wilhelm Raabe: Sämtliche Werke, 3 Serien, 18 Bände, 3.Serie, Band 4, Berlin o. J. [1916], S. 150-161.
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