Sieben und Zwanzigstes Kapitel.

[92] Wie ein Mönch von Seuillé den Abtey-Garten vor der Feind Plünderung schützet.


Und triebens immer schindend und plagend, raubend und stehlend also fort, bis sie gen Seuillé kamen; zogen Mann und Weib aus, nahmen was sie nur erlangen mochten: es war ihnen nichts zu heiß noch zu schwer. Wiewohl die die Pest in den mehresten Häusern war, liefen sie doch in alle hinein, mausten alles heraus und keiner nahm einen Schaden. Welches wohl ein fast erstaunlicher Casus war; denn die Priester, die Prediger, die Pfarrherrn, Aerzt, Feldscherer und Apotheker die die Kranken besuchten, Beicht hörten, warnten, warteten, curierten, trösteten und verbanden, waren schon all an dem Gift gestorben und diese[92] Teufelsräuber und Mörder kam auch nicht ein Schauder an. Woher kommt dieß, ihr Herrn? Ich bitt, denkt ihm doch nach. Als nun der Flecken so ausgesackt war, stürmten sie mit erschrecklichem Getümmel auf die Abtey los, fandens aber sehr wohl verriegelt und verwahrt: demnach das Hauptheer fürbaß auf den Furth von Vede zuzog, bis auf sieben Fähnlein Fußvolks, und zweyhundert Lanzen, die da blieben und die Garten-Mauern zerrissen, damit sie vollends den Herbst verdürben. Die armen Teufel, die Mönch, wußten nicht welchem Heiligen sie in der Angst sich geloben sollten. Gleichwohl aber auf allen Fall liessen sie ad capitulum capitulantes läuten. Darin ward beschlossen daß sie einen stattlichen Umgang halten wollten mit schönen Litaneyen contra hostium insidias und mit schönen Responsen pro pace.

In der Abtey war dazumal ein Klostermönch Bruder Jahn von Klopffleisch mit Namen, ein junger Hach, ein[93] Wagherz, rüstig, wacker, wohlgemuth, behend, keck, hitzig, lang und hager, wohl gespaltenen Munds, erheblicher Nas, ein derber Horashetzer, Vigilienbürster und Meßabzäumer: in Summa alles zusammenzufassen, ein echter Mönch, so jemals einer seit die mönchenzende Welt mit Mönchen bemönchelt gewesen, erfunden ward. Im übrigen ein Kreuz-Lateiner bis an die Zähn in Brevier-Materien. Selbiger als er den Lärm, den die Feind in ihrem Weingarten machten, vernahm, lief aus zu sehen was los wär. Und als er sie fand wie sie den Garten abherbsteten, daran ihr Tischtrunk des ganzen Jahrs hing, rennt' er wieder ins Chor der Kirch wo die andern Mönch, schier verdutzt wie die Glockengießer, in einem fort Im, im, pe, e, e, e, e, e, tum, um, in, i, ni, i, mi, co, o, o, o, o, o, rum, um sangen, und ruft: Ei scheiss auf euer Gesings! Potz heiliger Gott, so singt doch lieber, Adé, adé liebs Körbli, der Herbst der ist dahin. Ich sey des Teufels wo sie nicht schon in unserm Garten sind und Stöck und Trauben so rein ausfegen, daß bey des Herrn Leichnam! in vier Jahren nix drinn wird nachzubeeren seyn. Ey zum Sankt Jakobsränzl! was sollen wir armen Teufel trinken derweil? O du mein Herr Gott da mihi potum! – Da sprach der Prior des Klosters: Was will doch der Trunkenbold hie! Man führ ihn gleich in Verwahrsam! Also den Gottesdienst, Divina zu stören! – Mit nichten, antwort der Mönch, den Pottesdienst, die Vina lasset uns vor Zerstörung schützen. Denn ihr, Herr Prior, trinkt selbst gern vom besten; und das thut jeder Ehrenmann: ein adlich Blut haßt nimmermehr den guten Wein, ist ein claustralisch Apophthegma. Aber diese Responsen, die ihr da singt, bey Gott! die schicken sich itzunder schlecht. Warum sind unsre Horä zur Ernt- und Herbstzeit kurz, und um Advent, und den ganzen Winter über so lang?

Bruder Matz Schlehdorn, dessen Seel Gott tröst, ein wahrer Eifrer (oder ich sey des leibhaften Teufels) für unsern Glauben, sagt mir einst, ich entsinn mich noch wohl, die[94] Ursach wär, daß wir um die Zeit den Wein fein einbringen sollten und warten, im Winter aber ihn saugen. So folgt mir dann, ihr Herrn, die ihr den Wein lieb habt, und beym Kreutz Gottes, mir nach! Denn Sankt Tönig soll mich zum Kohlen brennen, wenn der auch nur einen Tropfen sieht, der nicht die Reben wacker beschützt hat. Heilige Marter Gottes! was? das Kirchengut? Ha nein, nein, Teufel! Dafür ließ Sankt Thomas von Engelland sein Leben: und wenn ichs nun auch dafür ließ, würd ich nicht eben auch wie er, ein Heiliger? Aber ich laß es darum noch nit, es sollns für mich wohl Andre lassen.

Mit diesen Worten warf er sein weit Gewand ab und erwischt' den Kreuzstock, der von hartem Sperbeer-Kernholz, lang wie ein Reisspieß, rund in der Faust, und etwas wenigs hie und da mit halb erloschenen Lilien bemalt war. Also in Hosen und Wams fuhr er hinaus, hing seine Kutt als Schärp um die Achsel und strich mit dem Kreuzstock haarscharf unter die Feind, die ohn all Ordnung, Fahnen, Trommeln noch Trommeten, im Garten umher den Wein abzwackten. Denn die Fähndrich und Bannerleut hatten ihre Banner und Fähnlein an die Mauern angelehnt, die Trommler ihre Trommeln oben entledert und mit Trauben geladen, und die Trommeten stacken voller Beeren-Büschel. Alles war in bunter Reih. Er aber stieß, ohn einmal Werda! noch Kopfweg! zu rufen, so gröblich darunter, daß er sie links und rechts wie die Schwein darnieder drasch nach der alten Parad. Etlichen zermürst' er das Hirn, andern zerschmiß er Arm und Bein, andern versprengt' er die Wirbel im Hals, andern zermatscht' er die Weichen und Lenden, knickt' Nasen, bohrt' Augen, spaltet Kiefern, schlug Zähn im Hals entzwey, zerknirscht' die Schulterblätter, sphaseliret' die Schienbein, entheftelt Hüften, barst Röhren. Wo einer sich unter die dichtesten Rebstöck verkriechen wollt, zerbläuet er ihm den ganzen Rückgrat und schlug ihn platt wie einen Frosch.[95]

Wenn einer sich durch die Flucht salviren wollt, gab er ihm eins auf die lambdoitische Commissur, daß ihm der Schedel in Stücken sprang. Wenn einer auf einen Baum stieg, und dacht er wär da sicher, spießt er ihn mit seinem Stock von unten durch den Hintern auf.

Wenn einer von alter Kundschaft her ihm zuschrie: Ha mein Bruder Jahn, mein Freund, ich ergeb mich, Bruder Jahn! – Das mußt du wohl, versetzt' er, aber, ergieb nur auch dein Seel allen Teufeln: und gab ihm stracks den Nickfang. Und wo einer sich die Tollheit gar so weit verblenden ließ, daß er ihm offen hätt trutzen wollen, da zeigt er die Kraft seiner Mäus und Fäust; denn Brust und Herz und Mediastinum durchrannt er ihnen auf Einen Stoß. Andern gab ers auf den Rippen-Schluß, daß ihnen der Magen überschlug, und plötzlich starben: Andre traf er so grimmig an den Nabel, daß die Kutteln barsten; Andern bohrt' er den Mastdarm durch die Geilen an. Glaubt nur, es war das gräulichste Spektakel, so je ersehen ward.

Etliche ruften Sankt Barbara, etliche zum Ritter St. Jörgen, etliche Sankt Schonemein, andre unsre Liebfrauen von Cunault, von Laureto, von der guten Mähr, von Lenou und von Riviere. Einige gelobten sich zum Sankt Jakob, Andre zum heiligen Schweißtuch gen Chambery, (doch brannt's drey Monat hernach so glatt weg, daß man auch nicht ein Fäslein davon hat retten mögen), Etliche gen Cadouin, Andre zum Sankt Johann von Angely, zu Sankt Eutropen von Xaintes, zum heiligen Mesmus von Chinon, Sankt Martin von Candes, Sankt Clouaud von Sinays, zu den Reliquien von Jourezay und tausend andern guten kleinen Heiligenmännlein. Etlich starben ohn zu sprechen,[96] Andre sprachen ohn zu sterben: Etlich starben sprechend. Andre sprachen sterbend. Welche schrieen mit lauter Stimm: Beicht! Beicht! confiteor, miserere! In manus. Es war ein solch Geschrey der Zermetzelten, daß der Prior des Klosters mit all seinen Mönchen selbst hinaus zog; und als sie die armen Leut im Garten so tödtlich blessirt und zerbläuet sahen, hörten sie ihrer Etlich Beicht. Während aber die Priester sich mit Beichten Zeit und Weil vertrieben, liefen die kleinen Mönchlein dahin wo Bruder Jahn war, und fragten ihn worinn sie ihm behülflich seyn könnten.

Da befahl er ihnen alle die abzumurxen, die auf der Erd lägen. Worauf sie ihre grossen Kappen auf den nächsten Rebhalter warfen, und stracks anhuben, die von ihm bereits Zerbläuten vollends zu würgen und abzuthun. Und wißt ihr auch mit was für G'wehr? Mit saubern Kneiflein: das sind die kleinen Taschenmesser, womit die Kinder bey uns zu Land die Nüß schälen. Hierauf pflanzt' er sich mit seinem Kreuzstock in die Bresch die der Feind gemacht hätt. Etliche Mönchlein schleppten die Fahnen und Banner in ihre Zellen, Hosenbendel draus zu machen. Und wenn die, so gebeichtet hatten, durch selbige Bresch davon ziehen wollten, drasch sie der Mönch mit Streichen darnieder und sprach dabey: die haben gebeichtet und bereuet und haben den Ablaß davon; sie fahren grad wie ein Sichel gen Himmel, ebenen Pfads wie der Weg auf Faye. Also ward dann durch seine Mannheit der ganze Heereshaufen erlegt, der in den Garten eingefallen, an dreyzehntausend sechshundert zwey und zwanzig, ohn Weiber und kleine Kinder: wie sich allzeit von selbst versteht. Nimmer hat sich der Klausner Maugis mit seinem Pilgerstab so tapfer wider die Sarazenen gehalten, von denen man in den Geschichten der vier Haymonskinder liest, als unser Mönch mit seinem Kreuzstock wider die Klosterfeind handirt'.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 92-97.
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