Acht und Dreyssigstes Kapitel.

[121] Wie Gargantua sechs Pilger im Salat aß.


Die Sach erheischt, daß wir berichten was mit sechs Pilgern sich begab, welche von St. Sebastian bey Nantes kamen und selbige Nacht, in Furcht vor den Feinden, zu einem Unterstand sich in das Bohnenstroh im Garten unter Kohl- und Lattichstauden verkrochen hatten. Gargantua spürt' ein wenig Durst, und frug, ob man nicht Lattich haben möcht, einen Salat zu machen.

Und als er hört' daß es im ganzen Land die schönsten und größten da hätt, denn sie waren so groß wie die Nuß- oder Pflaumenbäum, ging er für Lust selbst hin und bracht in seiner Hand so viel davon mit als ihm gut däucht'; und zu gleicher Zeit bracht er auch die sechs Pilger mit, die sich vor grosser Furcht und Angst weder zu reden noch husten trauten.

Wie er den Lattich nun am Brunnen vorläufig abwusch, sagten die Pilger mit leiser Stimm zu einander: Ey, ey, was da zu thun? Wir ersaufen hie unter dem Lattich. Sollen wir reden? Reden wir aber, so tötet er uns gewiß für Kundschafter. Während sie also noch rathschlagten, warf sie Gargantua mitsamt den Lattich in einen Küchen-Napf, so groß wie die Tonn zu Cisteaux, und aß sie mit Essig, Oel und Salz zu seiner Erfrischung vorm Abendbrod. Und hätt bereits fünf Pilger verschlungen: der sechst lag noch im Napf verborgen unter einem Lattichblatt, bis auf den Pilgerstab,[121] der drüber herfürguckt. Als den Grandgoschier sahe, sprach er zu dem Gargantua: Ich glaub da ist ein Schneckenhorn. Iß nit. – Warum? spricht Gargantua: sie seyn gesund diesen ganzen Monat. Ergriff damit den Stab und hub den Pilger daran zugleich mit auf und aß ihn lustig. Thät darauf einen schauderhaften Zug Zirbelwein, bis das Nachtessen fertig wäre.

Die so verschluckten Pilgersleut wandten sich so gut ihnen möglich, aus den Mahlsteinen seiner Zähn und meinten man hätt sie ins unterste Gewölb eines Kerkers hinabgestossen. Als aber Gargantua den großen Trunk thät, dachten sie nicht anders denn sie müßten ihm all im Maul ersaufen; auch hätt sie der Strom des Weins beynah in den Abgrund seines Magens geschwemmt: doch halfen sie sich mit ihren Stäben, und sprangen daran, nach Art der Michler so lang, bis sie am Rand der Zähn aufs Trockne kamen. Aber zum Unglück schmiß einer von ihnen, wie er mit seinem Pilgerstab das Land sondiert', ob sie festen Boden gewonnen hätten, so heftig in die Grub eines hohlen Zahnes, und traf den Nerven des Kiefers, daß dem Gargantua sehr weh geschah, und vor wüthendem Schmerz laut aufschrie. Doch dem Uebel zu steuern ließ er ihm seinen Zahnkriebel bringen, ging hin aus an den Wallnußbaum und hub euch die lieben Pilgervöglein da aus dem Nest.

Denn den einen erhascht' er beym Bein, den andern bey den Schultern, den dritten beym Bettelsack, den vierten bei der Sparbüchs, den fünften beim Skapulier; und den armen Schelm der ihn angebort hätt, ergrapt' er gar durch den Hosenlatz: doch war es ihm zum grossen Glück; denn er stach ihm damit einen Schanker-Schwären auf, der ihn schon seit sie durch Ancenys kamen, gepeinigt hätt. So flohen die entnisteten Pilger im vollen Trott über Heck und Zaun, und das Zahnweh legt' sich. Zu gleicher Zeit kam auch Eudämon, ihn zum Essen abzurufen, denn alles wär fertig. So will ich dann, sprach er, auf den Schrecken mein Uebel abschlagen. Und fing damit so überflüssig zu harnen an,[122] daß das Wasser den Pilgern den Weg verschlug und das große Mühlwehr durchwaden mußten. Von dannen weiter am Busch entlang, geriethen sie auf gleicher Straß all mit einander, bis auf Einen, Fournillier, in ein Zuggarn welches daselbst den Wölfen gestellt war. Entkamen aber wieder daraus durch die Geschicklichkeit ermeldten Fournillier's, der die Strick und Schnüren zerriß. Hieraus erlöset, lagen sie dieselbige Nacht in einem Schoppen unweit Couldray, und wurden da über ihr Unglück getröstet durch die guten Wort Eines unter ihnen, namens Renndichmüd, der ihnen darthät, daß diese Abentheuer schon im Psalm von David verkündiget worden: Cum exsurgerent homines in nos, forte vivos deglutissent nos, als man uns in dem Salat mit Salz aß. Cum irasceretur furor eorum in nos, forsitan aqua absorbuisset nos, als er den großen Soff thät. Torrentem pertransivit anima nostra, als wir das große Mühlwehr passirten. Forsitan pertransisset anima nostra aquam intolerabilem, seines Harnes, der uns den Weg verhieb. Benedictus Dominus qui non dedit nos in captionem dentibus eorum. Anima nostra, sicut passer, erepta est de laqueo venantium, als wir ins Wolf-Garn fielen. Laqueus contritus est, durch Fournillier, et nos liberati sumus. Adjutorium nostrum etc.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 121-123.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gargantua und Pantagruel
Gargantua. Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, 2 Bände
Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, in 2 Bdn.
Gargantua und Pantagruel