Ein und Vierzigstes Kapitel.

[130] Wie der Mönch den Gargantua in Schlaf bracht und von seinen Horis und Brevier.


Nach geendeter Mahlzeit rathschlagten sie von dringenden Sachen, und fanden für gut, daß man um Mitternacht auf die Streif ausreiten sollt, die Feind zu versuchen, was sie für Wacht und Ordnung hielten: mittlerweil aber etwas ausruhn, damit man desto frischer wär. Gargantua aber konnt nicht schlafen, wie er sich auch legt' und krümmt'. Da sprach der Mönch zu ihm: Ich schlaf nimmer nach Herzens Wunsch als in der Predigt, oder beym Beten: ersuch euch also: laßt uns hie beyd miteinander die sieben Bußpsalmen fürnehmen, ob ihr nicht bald entschlafen seyn werdet. Die Erfindung gefiel dem Gargantua sehr wohl; fingen also den ersten Psalm zu beten an, und bey dem Vers Beati quorum waren sie nebeneinander entschlafen. Aber der Mönch verfehlt' niemalen vor Mitternacht sich zu ermuntern: so gar war er der Mettenstund im Kloster gewohnt,[130] und wie er wach war, ließ er auch niemand weiter schlafen, sondern fing aus voller Kehlen das Lied zu intonieren an: Ho Reinald, wach auf, erwache! O Reinald ermunter dich!

Und als sie nun all auf den Beinen waren, sprach er: Ihr Herren, man sagt, die Frühmetten fängt an mit Husten, und das Nachtessen mit Trinken. Laßt uns umdrehn, fangen wir itzo unsre Metten mit Trinken an, und heut Abend wann das Essen kommt, wolln wir dafür eins husten, was hast was kannst. – Wie? spricht Gargantua, so gleich trinken auf den Schlaf? das wär der Fürschrift der Aerzt zuwider, man muß sich den Magen zuvor fein säubern von allem Abgang und Ueberlast. – Das heiss ich mal gearzet, sprach der Mönch. Es fahren mir doch gleich hundert Teufel zu Leib, wo's nicht mehr alte Säufer auf Erden, denn alte Aerzte giebt. Ich hab mit meinem Hunger und Durst den Pact getroffen, daß er sich allzeit mit mir muß legen, und halt darüber den Tag lang pünktlich: wenn ich dann aufsteh, ist er auch wieder auf mit mir. Säubert ihr euch nur immerzu eures Kaates, so lang ihr Lust habt; ich muß zu meinem Gezerr schaun. – Was für ein Gezerr? was meint ihr damit? frug Gargantua. – Ey mein Brevier, antwort der Mönch: denn wie die Falkenierer etwann ihren Vögeln, ehe sie sie atzen, ein Hühnerfüßel zu zerren geben, ihnen das Pflegma aus dem Hirn zu purgiren und Lust zum Fraß zu machen, so ich des Morgens, wenn ich dieß kleine holdselige Brevierlein in die Hand nehm, laxir ich mir die ganze Lung und bin flugs wieder zum Trinken geneigt.

Auf welche Weis, frug Gargantua, betet ihr diese edeln Horas? – Nach der Weis von Fecan, spricht der Mönch, drey Psalmen, drey Lectionen, und wer kein Lust hat, der läßts gar bleiben. Ich unterwerf mich niemals den Stunden: die Stunden sind des Menschen halben, und nicht der Mensch für die Stunden gemacht. Darum mach ichs mit meinen Horasgebetlein wie mit den Steigriemen, kurz oder lang, nachdem mirs g'fällt. Brevis oratio penetrat coelos, [131] longa potatio evacuat scyphos. Wo steht das g'schrieben? – Mein Treu ich weiß nit, spricht Ponokrates, aber traun, du bist Goldes werth, liebs Kuttenmännel! – So schlag ich Euch nach, sprach de Mönch. Aber venite, apotemus!

Da wurden Karbonädel die Füll und schöne Prim-Suppen zugericht, und trank der Mönch nach Herzens Wunsche. Etliche thäten ihm Bescheid, die Andern enthielten sich. Zogen darauf ein jeder sein Wehr und Rüstung an und wappneten auch mit den Mönch, wider seinen Willen; denn er wollt kein ander Geschmeid als seine Kutt vor dem Magen, und in die Faust den Kreuzstock. Aber es half nix, er ward geharnischt von Kopf zu Fuß, ein langer Fochtel ihm umgehangen, und setzten ihn auf ein stattlich Reichs-Roß. Gleichergestalt Gargantua, Ponokrates, Gymnast, Eudämon und fünfundzwanzig der Wildesten von Grandgoschierens Hofgesind, all schwer gewappnet, die Speer in Fäusten, beritten wie Sankt Jörg, und jeder einen Schützen hintenauf.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 130-132.
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