Zehntes Kapitel.

[224] Wie Pantagruel einen ausnehmend dunklen und schwierigen Rechtsstreit unparteiisch und so gerecht entschied, daß man sein Urtheil erstaunenswerth fand.


Pantagruel, der Brief und Ermahnungen seines Vaters wohl eingedenk, wollt auch einmal sehen wieviel er gelernt hätt. Schlug also Theses an alle Ecken der Stadt, aus allen Wissenschaften, neuntausend siebenhundert vierundsechzig an der Zahl an, in welchen er die wichtigsten Zweifel[224] in jeder Scienz beregt'. Und respondiret' erstlich in der Futtergass allen Artisten, Oratoren und Professoren, und setzt' sie all auf den Hintersten. Darauf turnirt' er in der Sorbonn mit allen Theologen ganzer sechs Wochen lang von morgens vier Uhr bis abends sechs, allein mit Ausnahm zweyer Stunden Stillestands zur Atzung und Leibesrecreation: daß man nicht etwann denk er hätt die Sorbonischen Gottesleut am Schoppen und ihrer gewöhnlichen Kehl-Netz wollen behindern. Und assistirten dabey die mehresten Herren der Obergerichtshöf, Requetenmeister, Präsidenten, Räth, Rentbeamten, Secretarien, Advocaten und Andre, nebst den Schöffen der Stadt, den Medizinern und Canonisten. Und denket nur daß sich dieselben meistentheils sehr straff ins Zeug geworfen hatten; aber mit all ihren Subtilitäten und Finten jagt' er sie gleichwohl ins Bockshorn, und bewies ihnen augenscheinlich daß sie samt und sonders nichts weiter als eingemantelte Kälber wären. Darob dann aller Leute Mund seiner erstaunlichen Weisheit voll ward, bis auf die guten Waschweiblein, die Kuppeltruden, Messerhöken, Brätelbraterinnen und mehr solchs Volk, die, wenn er des Weges kam, ausriefen: Das ist er! woran er sein Gefallen fand, wie Demosthenes der griechischen Redner Oberhaupt, wenn eine alte grumme Vettel auf ihn mit dem Finger zeigt' und sprach: das ist Der!

Um eben die Zeit nun war ein Prozeß vorm Oberhofgericht anhängig zwischen zween Hohen vom Adel, dem Herrn von Leckarß Klägern eines Theils, und dem Herrn von Saugefist, Beklagten am andern, deren Sach in Rechten also steil und schwierig befunden ward, daß das Parlament davon nicht mehr zu sagen wußt als vom Hochdeutsch. Da dann auf Befehl des Königs aus allen Parlamenten in Frankreich vier der Gelahrtesten und Dicksten versammelt worden waren, nebst dem hohen Rath und allen ersten Doctoren der Universitäten, nicht nur in Frankreich, sondern auch aus England und Italien, als Jason, Philipp Decius,[225] Petrus de Petronibus, und ein Haufen andrer alter Haubitzen mehr. Und waren also schon ganzer sechsundvierzig Wochen versammelt gewesen, ohn daß sie's hätten erknacken mögen noch deutlich hinter dem Casus kommen, daß sie ihn auf dem Wege Rechtens nur einigermaasen in Schick gebracht. Darob sie zuletzt so giftig wurden, daß sie vor Schaam elendiglich in die Hosen machten. Doch eines Tags, nachdem sie sich beynah die Köpf zerspintisiret, nahm einer von ihnen, namens Du Douhet, der gelahrteste, klügste und erfahrenste von allen, das Wort und sprach: Ihr Herren, wir sitzen nun schon so lang hie und schaffen nix als daß wir unser Geld verthun, ersehen der Sach weder Grund noch Boden: je mehr wir studieren, je minder verstehen wir davon: dieß ist uns doch führwahr eine grosse Schmach und Gewissenslast; und werden meines Bedünkens nicht mit Ehren aus diesem Handel scheiden, denn unser ganzes Consultiren ist nur eitel Faseley. Doch höret was ich erwogen hab. Ihr habt wohl von dem grossen Menschen, dem Meister Pantagruel reden hören, dessen Gelehrsamkeit alles Maas der heutigen Welt übersteigen soll, wie man aus seinen öffentlich mit aller Welt gehaltnen grossen Disputationen ersehen hat, Ich bin der Meinung daß wir ihn rufen und über diese Sach mit ihm Raths pflegen; denn es kommt doch kein Mensch damit zu Rand, wenn Er's nicht thut. Deß waren denn all die Räth und Doctoren auch wohl zufrieden, sandten eiligst aus nach ihm, und baten er woll den Prozeß fein gründlich durchsichten, beuteln und reutern, und ihnen nach wahrem Rechtsbefund darüber sein Bericht erstatten. Stellten ihm auch zu eignen Händen die Protokoll und Akten aus, an denen vier starke Eselshengst zu schleppen hatten.

Pantagruel aber frug sie: Ihr Herren, sind die zween Junker, die diesen Prozeß mit einander führen, annoch am Leben, oder nicht? – Und sie bejahetens. – Nun dann, zum Teufel, sprach er, was soll mir dann all der Papierwust[226] und dieß Geschmier das ihr da bringt? Ists nicht gescheiter man hört sie selber ihre Sach mit lebendiger Stimm ausführen, als daß man die Meerkätzereyen liest, die doch nichts weiter als Lug und Trug, Cepolistische Teufels-Cautelen und Rechtsverdrehereyen sind? denn ich weiß wohl, ihr selbst und alle durch deren Händ der Prozeß gegangen, habt pro et contra was ihr nur konntet darein gemantscht, und statt daß anfangs ihr Handel leicht zu entscheiden und klar war, habt ihr ihn erst noch recht verdunkelt mit albernen unverständigen Clausuln, den abgeschmackten Meinungen eures Accursi, Baldi, Bartoli, de Castro, de Imola, Panormi, Hippolyti, Bertachin, Alexander, Curtii und andrer alter Köder mehr, die niemals auch nur das kleinste Gesetz in den Pandekten verstanden haben, und weiter nichts als samt und sonders grosse Zehntkälber gewesen sind, unwissend in jedem Erforderniß zu einer gründlichen Rechtserkenntniß. Denn sie haben (wie weltbekannt) weder Lateinisch noch Griechisch verstanden, sondern blos Gothisch und Barbarisch: und gleichwohl sind erstlich die Gesetz von den Griechen entlehnet, wie ihr dafür das Zeugnis Ulpiani habt, 1. posteriori de origine juris, und alle Gesetz sind voller griechischer Wort und Sinnsprüch. Und zweytens sind sie im allerfeinsten und zierlichsten Latein verfaßt das in der ganzen lateinischen Sprach nur zu finden ist, davon ich ungern weder den Cicero noch Sallustius, noch Varro, Plinius,[227] Seneca, Titus Livius noch Quinctilian ausnehmen möcht. Wie hätten dann nun diese alten Träumer wohl die Gesetzestext verstehen wollen, da ihnen niemals ein gutes Buch in lateinischer Sprach vor Augen ist kommen? Wie auch an ihrem Stylo ersichtlich, denn es ist mehr ein Schlotfegerstylus, vielmehr ein Küchen- und Topflatein als das Latein eines Rechtsgelahrten.

Zudem, so sind uns die Gesetz aus dem innersten Schoos der moralischen und natürlichen Philosophi entsprungen: was können doch also die Narren davon wissen, die bey Gott! in der Philosophi noch nicht so weit sind als mein Maulthier? Und was die Humaniora, Geschicht und Kenntniß der Antiquitäten betrifft, davon strotzen sie wie die Kröt von Federn; es nutzt ihnen just so viel als wie der Kuh Muskatennuß: und gleichwohl sind davon die Recht ganz voll, ohn dieß nicht zu verstehen; wie ich in Schriften nächster Tag ausführlicher zu zeigen denke.

So ihr denn also ein Erkenntniß in diesem Prozeß von mir haben wollt, verbrennet mir vor allen Dingen all dieß Papier, und zweytens lasset die beyden Junker in Person hie vor mich kommen, da ich dann, wenn ich sie werd vernommen haben, euch meine Meinung unumwunden ohn allen Hinterhalt sagen will.

Dem widersprachen nun zwar Etliche unter ihnen, wie ihr denn wißt daß es in einer jeden Gemein mehr Narren als gescheite Leut giebt, und der grössere Theil allzeit den bessern überwiegt, wie Titus Livius von den Karthaginensern schreibet. Aber der vorermeldte Du Douhet hielt ihnen mannhaften Widerpart, behauptet', Pantagruel hätt recht: all diese Akten, Salvationen, Repliken, Dupliken, Exceptionen, Appelationen und Teufelszeugs wär weiter nichts als Rechtsverschleif und Prozeßhemmsal und würd der Teufel sie allesamt mit einander holen, wo sie nicht anders zu Werke gingen, nach evangelisch philosophischer Billigkeit. In Summ, es wurden all die Papier verbrannt, und lud man die beiden Innker persönlich für.

Da sprach Pantagruel zu ihnen: Seyd ihr es, die ihr den grossen Streit mit einander habt? – Ja, gnädigster[228] Herr: antworteten sie. – Und welcher von euch ist der Kläger? – Ich bins, sprach Herr von Leckarß. – Nun, mein Freund, so erzählet uns also Punkt für Punkt euern Handel rein nach der Wahrheit: denn bey dem hohen Sacrament! wo ihr auch nur ein Wort dran lügt, hol ich den Kopf euch von den Schultern, und will euch weisen daß man in Rechten und vor Gericht nur die lautere Wahrheit sagen soll. Drum hüthet euch also wohl euerer Sach etwas zuzusetzen oder davonzuthun! Saget an.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 224-229.
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