Drey und Zwanzigstes Kapitel.

[279] Wie Pantagruel, auf Botschaft von der Dipsoden Einfall in Amauroten-Land, von Paris aufbrach, Und aus was Ursach die Meilen in Frankreich so kurz sind.


Bald darauf kam dem Pantagruel Botschaft, daß sein Vater Gargantua ins Land der Feen versetzt worden durch Morga, wie Oger und Artus weiland: und daß auf Nachricht von dessen Versetzung, die Dipsoden aus ihren Gemarken ausgefallen, ein grosses Stück des Utopier-Landes verwüstet hätten, und dermal eben die grosse Stadt der Amauroten belägert hielten. Er also, ohn auch nur einem Menschen behüt dich Gott zu sagen, brach von Paris auf, denn die Sach hätt Eil, und kam gen Rouen. Unterwegens nun, als Pantagruel inne ward daß die französischen Meilen gegen der andern Herren Länder Meilen allzukurz[279] wären, frug er hievon Panurgen nach dem Grund und Ursach. Der erzählt' ihm eine Geschicht die uns Marotus vom See, der Mönch, im Buch von Canarischen Königsthaten berichtet, meldend daß vor Alters die Länder weder nach Meilen, Stadien, Parasangen noch Milliarien eingetheilet gewesen wären, bis König Pharamund allererst sie eingetheilet hätt, und dieß zwar in folgender Weis: er nahm zu Paris ein Hundert junge schmucke Bürschlein, frisch auf dem Zeug und resolut, desgleichen auch hundert artige Dirnlein von Picardi, ließ sie acht Tage lang aufs Best verpflegen und alimentiren. Darnach beschied er sie vor sich, gab einem jeden sein Dirnlein und ein brav Zehrgeld, und hieß sie wandern nach allen Strassen hiehin und dahin. Und aller Orten wo einer sein Schätzel bunzeln würd, da sollt er einen Stein hinsetzen und sollt ein Meil seyn. Zogen also die lieben Brüder fröhlig von dannen, und weil sie fein munter und ausgeruht waren, so puderten sie auf jedem Feldrain: und daher kommt es daß die französischen Meilen so kurz sind.

Als sie nun aber ein gut Stück Wegs zurückgelegt und sich müd und matt wie die armen Teufel geloffen hätten, auch ihnen das Oel im Krügel schier ausging, da hammelten sie nicht mehr so oft, und nahmen (ich mein die Kerls) mit einem einzigen leidigen lumpigen Mal des Tags fürlieb. Und daher kommt es, daß die Meilen in Bretanien, Lanes, Deutschland und andern mehr entlegnen Ländern so lang sind. Andre geben zwar noch andre Gründ dafür, doch dieser scheint mir der best. – Dieß ließ sich dann Pantagruel auch wohl gefallen.

Von Rouen weiter kamen sie gen Hommefleur, wo Pantagruel, Panurg, Epistemon, Eusthenes und Karpalim zu Wasser gingen. Und während sie am selbigen Ort auf guten Fahrwind harrten, auch ihr Schiff kalfatern liessen, kam ein Brief an ihn von einer Dam in Paris, die er eine[280] gute Weil auf seinen Leib sich gehalten hätt; auf dem stund obenauf geschrieben:


Dem Vielgeliebtesten der Schönen und Treuvergessensten der Helden

P. N. T. G. R. L.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 279-281.
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