Sechzehntes Kapitel.

[389] Wie Pantagruel Panurgen räth mit einer Sibyll von Panzoust zu reden.


Nicht lang darauf ließ Pantagruel Panurgen rufen und sprach zu ihm: Die in mir durch langen Zeitlauf zu euch befestigte Lieb ermahnt mich auf euer Heil und Bestes zu[389] denken. Hört meine Meinung. Ich hör, zu Panzoust bey Croulay soll eine berühmte Sibyll seyn, die alle künftige Ding weissaget. Nehmt Epistemon mit, verfügt euch hin zu ihr und höret an was sie euch sagt. – Es wird wohl etwann, sprach Epistemon, eine Hex und Pythonissinn wie Canidia oder Sagana seyn. Ich glaub es darum, weil dieser Ort derhalb verrufen ist daß er mehr Hexen als selbst Thessalien hegen soll. Werd ungern hingehn. Zudem ists auch ein unerlaubter, in Mosis Gesetzen verbotener Handel, wie ich in einem ziemlich feinen, gelehrten Author gelesen hab. – Wir, sprach Pantagruel, sind aber nicht Juden, ist auch noch gar nicht zugegeben noch ausgemacht daß sie eine Hex seyn müßt. Laßt uns den Punkt ergrübeln und benagen wann ihr wiederkommt. Was wissen wir, ob es nicht eine eilfte Sibyll, eine zweyte Cassandra ist? Und wäre sie auch keine Sibyll noch deß Namens würdig, was habt ihr zu befahren wenn ihr von euern Zweifeln mit ihr rathschlagt? Zumal sie im Ruf steht mehr zu wissen und klüger zu seyn als sonst der Brauch des Landes und Geschlechtes ist? Was kann es schaden immer zu hören, immer zu lernen, und wär es auch von einem Topf, von einem Tropf, von einem Stoffel oder Pantoffel? Denkt daran, wie Alexander der Groß, als er den Sieg über König Darium bey Arbela erfochten hätt, in seiner Satrapen Beyseyn mehrmals einem Gesellen Gehör versagt', das ihn darnach viel tausend mal schwer reuet'. Er war in Persien siegreich, aber in Macedonien seinem Erbstaat so weit entfernt, daß er sich höchlich betrübt' kein Mittel erdenken zu können, wie er Zeitung von dort erhalten möcht, sowohl der grossen Entfernung wegen, als Aufenthaltes der Wüsten, Obstands der Berg und Hemmniß breiter Ström. In dieser Sorg und Serd die nicht gering war, (denn man hätt ihm sein Land und Reich gar füglich occupiren, daselbst einen neuen König und ander Volk einführen können lang[390] eh ers wußt noch hindern mocht) erschien vor ihm ein Mann aus Sidon, ein kluger, erfahrener Handelsmann, im übrigen aber arm und unscheinbar; der zeigt' ihm an und betheuert' daß er ein Mittel und Weg erfunden, dadurch sein Land von seinen indianischen Siegen, und Er hinwieder vom Stand der Ding in Macedonien und Aegypten in noch nicht gar fünf Tagen Nachricht erhalten möcht. Er hielt dieß Erbieten für so unmöglig und ungereimt, daß er ihm nimmer sein Ohr leihn noch Gehör wollt schenken. Was hätts ihm gekostet, des Mannes Erfindung zu vernehmen, ihn anzuhören? Welch Leid, welch Unglück konnts ihm bringen wenn er gewußt hätt was für ein Weg oder Mittel es war, das ihm der Mann wollt zeigen? Mir bedünkt, die Natur hab nicht ohn guten Grund die Ohren uns offen anerschaffen ohn allen Deckel noch Verschluß, wie bey den Augen, bey der Zung und andern Leibesöffnungen. Der Grund ist, mein ich, der, daß wir so Tag als Nacht in einem fort hören, und durchs Gehör perpetuirlich lernen sollen; weil dieser Sinn vor andern geschickt zum Unterricht ist. Und kann wohl seyn daß dieser Mann ein Engel, das ist ein Bot des Herrn, gewesen war, wie Raphael, der zum Tobias kam. Zu schnell verdammt' er ihn, zu lang dafür bereut' ers auch. – Ihr redet gut, antwortet' Epistemon, werdet mich aber so leicht nicht glauben machen daß es viel nutz wär bey einem Weib, und zwar bey einem solchen Weib in solchem Land sich Rath und Weisung zu erholen. – Ich, sprach Panurg, steh mich ganz gut beym Weiber-Rath, zumal der alten, und hab darauf stets ein Paar Stuhlgäng extra. Freund! dieß sind die wahren Spür- und Leithund, der wahren Rubricä quid juris: und die sie weise Frauen nennen, reden ganz paßlich. Ich aber nenn sie in meinem Stil und Redgebrauch, weissagende Frauen. Weise sind sie, denn sie erkennen scharf und schnell. Weissagende nenn ich sie aber, weil sie alle künftige Ding divinatorisch im voraus sehn und prophezeyen. Zuweilen auch nenn ich sie, (nicht Masseten, sondern) Moneten, wie die Juno der Römer, weil sie uns allzeit[391] nützliche und heilsame Admonitiones geben. Fragt nur den Pythagoras, Sokrates, Empedokles, und unsern Meister Ortuinus. Und bis in den obersten Himmel belob ich der alten Teutschen Sitt die, was ein altes Weib ihnen rieth, mit Gold aufwogen und heilig hielten: auch auf ihr Wort und Weisung just so glücklich und gesegnet waren, als sie ihm klüglich nachgelebt. Bezeugens die alte Aurinia und Liebmutter Velleda zu des Vesspasiani Zeiten.

Glaubt, altes Weiberfleisch steckt allzeit voll Zipollen- – ich wollt sagen, Sibyllenmateri. Auf! so helf uns Pott und sein Wort! Auf, kommt mit mir! Adé, Bruder Jahn! ich recommandir dir meinen Hosenlatz. – Nun wohlan, sprach Epistemon, ich begleit euch: doch mit Protest, wo ich etwas von Zauberey oder Loos verspür in ihrer Antwort, so laß ich euch am Thor im Stich, und thu keinen Schritt mehr.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 389-392.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gargantua und Pantagruel
Gargantua. Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, 2 Bände
Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, in 2 Bdn.
Gargantua und Pantagruel