Ein und Dreyssigstes Kapitel.

[445] Wie Rundibilis der Arzt Panurgen berathet.


Das erste Wort, fuhr Panurg fort, das Der sprach, der die Layen-Mönch zu Saussignac entgeilt', nachdem er den[445] Bruder Wahrmohr entgeilet, war: Itzt an die Andern! Ich sag gleichfalls: Itzt an die Andern! Also frisch! mein lieber Meister Rundibilis, machts kurz, sprecht: soll ich freyn oder nicht? – Bey meines Mauls Paßgang! antwortet Rundibilis, ich weiß nicht was ich sagen soll auf dieß Problema. Ihr bezeugt daß ihr die Stacheln der Sinnlichkeit scharf in euch spüret. Ich befind in unsrer ärztlichen Facultät, und habens aus der altplatonischen Schul entlehnt, daß die Fleischeslust durch fünferley Mittel gebändiget wird.

Durch den Wein – das will ich glauben, sprach Bruder Jahn, wann ich sternvoll bin, verlangt mich nach weiter nichts als Schlaf. – Ich mein, durch Wein im Uebermaas genossen, sprach Rundibilis. Denn des Weines Uebermaas im menschlichen Körper, wirkt Erkältung des Geblüts, Erschlappung der Nerven, Verdünnung des erzeugenden Saamens, Stumpfung der Sinnen, Unterdrückung der Functiones; welches alles den Beyschlaf hindert. Wie ihr denn auch Bacchum, den Gott der Trunkenbold unbärtig und in Frauentracht, gleichsam ganz weibisch als Eunuchen und Hämling abgebildet sehet. Ein andres ist es mit dem Wein, wenn man ihn mässig trinkt. Besagts der alte Spruch, daß Venus frier ohn die Gemeinschaft Bacchus und Ceres. Und war auch nach des Diodorus von Sizilien Bericht, die Meinung der Alten, insonderheit der Lampsacener, wie der grosse Pausanias zeugt, daß Herr Priap des Bacchus und der Venus Sohn gewesen sey.

Zweytens durch allerley Medicament und Kräuter, wodurch der Mensch zur Zeugung kalt, ungeschickt und schier verhext wird. Wie zu ersehen ist an Nymphäa Heraclia, an Amerina, Weiden, Hanf, Periklimenos, Tamarisken, Mandragora, Vitex, Cicuta, an der kleinen Orchis, der Haut des Hippopotamus und andern, die in des Menschen Leib, sowohl durch elementarische Tugend als durch specifische Eigenschaft den Fruchtkeim coaguliren und tödten, oder die Geister, die ihn zu den von Natur bestimmten Orten leiten, zerstreuen; oder die Gäng und Weg durch die er[446] abgehn soll, verstopfen. Wie wir auch gegentheils andre haben, die zu dem Liebeswerk erhitzen, den Menschen spornen und tauglich machen. – Die thun mir, Gott sey Dank! nicht noth, versetzt' Panurg; Euch etwann, Meister? doch nichts für ungut, ich hab die Frag nicht bös gemeint.

Zum dritten, sprach Rundibilis, durch anhaltende Arbeit, als welche den Leib dermaasen erschöpft, daß das zur Erhaltung der einzelnen Glieder durch denselben vertriebene Blut nicht Zeit, Weil noch Vermögen findet, jene spermatische Feuchtigkeit und Ersparniß von der dritten Dauung mehr auszuscheiden. Die Natur behält es für sich selbst zurück, denn es ist ihr weit nöthiger zu ihres Individui Erhaltung, als zur Fortpflanzung der Species des Menschengeschlechtes. So heißt Diana die Züchtige, weil sie stets Jagd und Wildzucht übt. So hieß man weiland die Feldläger castra, gleichsam casta, darin die Söldner und Athleten in steter Arbeit und Uebung waren. Also schreibt Hippokrates, Lib. de Aëre, Aqua et Locis, von etlichen Völkern in Scythien, die seiner Zeit zum Venus-Spiel untauglicher als die Verschnittenen waren, weil sie beständig zu Pferd und in Arbeit waren. Wie gegentheils, nach der Weisen Ausspruch, die Faulheit der Wollust Mutter ist. Als man Ovidium befrug, warum ward Aegisthus zum Ehebrecher? sprach er: aus keinem andern Grund, als weil er müssig ging. Und wenn man den Müssiggang von der Welt vertilgt', Cupido's Kunst hätt bald ein End: sein Bogen, Pfeil und Köcher wär ihm ein unnütze Last, er würd damit niemanden mehr ein Leids anthun, denn er ist nicht der Schütz darnach, daß er den Kranich in der Luft, den fliehenden Hirsch im Wald sollt treffen, wie wohl die Parther, das will sagen, die rührigen, emsigen Menschen, thäten. Er verlangt sein Wild in Ruh, stillsitzend, liegend, faul und müssig. Derhalb auch Theophrast einmal, als man von ihm zu wissen begehrt' für was für Dinger oder Thier er die Liebesgötter hielt, erwiedert': es wären Passionen müssiger Geister. Deßgleichen sprach Diogenes, Hurerey wär das Thun und Treiben solcher Leut die sonst nichts weiter zu treiben wüßten. Dieserhalb stellt' auch der Bildhauer Kanachus von Sicyon, als er lehren wollte, daß Trägheit, Faulenz und Müssigang[447] der Ueppigkeit Säugammen wären, das Bild der Venus nicht stehend für, wie Alle vor ihm, sondern sitzend.

Viertens, durch emsig eifrigs Studiren. Denn solches erschlappet die Geister unglaublich; also daß ihnen die Kraft entgeht, die generativische Feuchtigkeit an die bestimmten Oerter zu führen und den gehöhleten Nervus zu schwellen, deß Amt ist, sie zur Fortpflanzung der Menschen-Raß herfürzustossen. Und zum Beweis daß ihm so sey, habt einmal Acht auf einen Menschen der fleissig über ein Studium nachdenkt. Alle Adern des Hirns an ihm werd ihr gleich einer Armbrust-Sennen gespannet sehn, um ihm behend die nöthigen Geister zuzuführen zu Füllung der Kammern des Menschenverstandes, der Empfindung und Einbildung, der Schluß- und Urtheilskraft, Gedächtniß und Erinnerung sowohl, als zu geläufigem Uebergang vom einen zum andern durch die Weg am End des Wundernetzes, wo, wie aus der Anatomie ersichtlich, die Adern ihre Mündung finden, die in dem linken Herzventrikul entsprangen, und die Lebensgeister in langen Bogen und Windungen zu thierischen läuterten. Dergestalt daß ihr an einem so vertieften Menschen alle Natur-Functiones wie aufgehoben sehen werdet, all seine äussern Sinnen stocken, kurz ihn für leblos, für entzückt aus seinem Leib erachten werdet, un sagen daß Sokrates nicht unziemlich das Wort gebraucht hab als er sprach: Philosophi sey weiter nichts als Todesbetrachtung. Dieß war wohl auch der Grund warum sich Demokritus selbst blenden thät, denn minder wichtig bedünkt' ihm des Gesichtes Verlust als die Verminderung seiner Gedanken, die durch der Augen Zerstreuung ihm oft unterbrochen wurden. So heißt Pallas die Göttin der Weisheit, die Schützerin der Studirenden, Jungfrau. So sind die Musen Jungfraun, so beharren auch die Charitinnen in ewiger Keuschheit; und entsinn mich gelesen zu haben daß einst Cupido, den seine Mutter Venus frug, warum er nicht die Musen anfiel, zur Antwort gab, er fänd sie so schön, rein, ehrbar, sittsam und stets beschäftigt: die eine mit Betrachtung der Stern, die andre mit Berechnung der Zahlen, die dritte mit geometrischen Maasen, die vierte mit rednerischer Erfindung, die fünfte mit poetitischen Künsten, die sechste mit Musiksetzung etc., daß er, wenn er zu ihnen käm, seinen Bogen abspannt', den Köcher[448] zuschlöß, die Fackel verlöscht' aus Scham und Scheu ihnen weh zu thun. Drauf nähm er sich die Bind von den Augen, sie offnen Angesichts zu schauen, ihre artigen Lieder und Oden zu hören: dieß wär ihm die größte Lust der Welt, daß er sich öfters schier verzückt fühlt' in ihrer Anmut und Lieblichkeit, ja in der Harmonie entschlief, geschweige daß er sie überfallen oder von ihren Studien sollt abziehn.

Unter diesem Stück begreif ich auch mit was Hippokrates im ernannten Buch von den Scythen schreibt, was auch im Buch de Genitura: daß jeder Mensch untauglich zur Erzeugung sey, dem man einmal die parotischen Adern zerschnitten, die neben den Ohren belegen sind; aus dem zuvor gedachten Grund, wo ich von Schwächung der Geister sprach und des geistigen Blutes, dessen Behälter die Adern sind: wie er dann auch behauptet daß ein grosser Theil des Saamens im Hirn und Rückgrat entspring.

Fünftens: durch den venerischen Actum. – Da hab ich, fiel Panurg ihm ein, nur drauf gelauert, und nehms für mich. Hol sich das andere zu wer Lust hat. – Dieß ist, sprach Bruder Jahn, was Ehrn Scyllino Prior zu Sankt Victor bey Marseille, Ertödtung des Fleisches nennt. Und halt dafür (wie auch die Meinung des Klausner zu Sanct Radegunden über Chinon war): daß die Thebaischen Klausner nicht füglicher ihren Leib kasteyen, dieß Hurengelüst mortifizieren, den Aufruhr des Fleisches ersticken mögen, als wenn sie's des Tages fünfundzwanzig bis dreyssig Mal thun. – Ich seh Panurg ist, sprach Rundibilis, von guter Leibesproportion, wohl temperirter Säft; die Geister sind wohl complexionirt in ihm, sein Alter paßlich, die Zeit gelegen; er hat den redlichen Willen zu freyn: find er ein Weib von gleichem Schlag, werden sie Kinder mitsamen zeugen, transpontinischer Thronen werth. Er thu dazu je eher je lieber, wenn er die Kinder noch will versorgt sehn.

Ich werds auch, Meister, sprach Panurg, und nächster Tag; da zweifelt nicht. Während eures gelahrten Sermons hat mich mein Floh im Ohr hie mehr als je gezwickt. Ihr[449] seyd mein Gast: und hoch solls hergehn, aberhoch! verlaß euch drauf. Bringt euer Weib mit, wenns euch beliebt, auch ihre Basen und Nachbarinnen, das versteht sich. Alles mit Züchten.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 445-450.
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