Sechs und Dreyssigstes Kapitel.

[462] Des ephektischen Philosophen und Pyrrhonianers Stülphändsch fernere Antworten.


Ihr redet Perlen, sprach Panurg, aber mir ist als wenn ich unten in dem finstern Brunnen säß, darinn, wie Heraklitus spricht, die Wahrheit steckt. Ich seh keinen Stich, ich versteh nix, ich fühl mich in allen Sinnen wie zerschlagen und fürcht mich sehr, man hat mich behext. Will aber nun einen andern Ton probiren. Holla, lieber Getreuer! haltet Stich: verschluckt nichts. Andre Karten her! und laßt uns ohn Disjunctiva reden; diese übel verbundenen Glieder verdriessen euch nur, das merk ich wohl. Wohlan dann, in des Herren Namen! soll ich freyn?

Stülphändsch. Es hat den Anschein.

Panurg. Und wenn ich nicht frey?

Stülphändsch. Seh ich dawider kein Bedenken.

Panurg. Seht ihr keins?

Stülphändsch. Keins, oder mein Gesicht betrügt mich.

Panurg. Und ich seh ihrer mehr denn fünfhundert.

Stülphändsch. Zählt sie.

[462] Panurg. Ich red uneigentlich, setz das Gewisse fürs Ungewisse, benannte Zahl für unbenannte, will sagen viel.

Stülphändsch. Ich hör.

Panurg. Ich kann ohn Weib nicht seyn, bey allen Teufeln!

Stülphändsch. Laßt diese garstigen Bestien weg.

Panurg. Nu meinethalben dann, bey Gott! denn meine Salmigundier sagen: allein, ohn Weib schlafen, heiß wie das liebe Vieh gelebt; und so meints auch Dido in ihrem Klaglied.

Stülphändsch. Euch zu Befehl.

Panurg. Ey bhuetis Gott! oiz komm ich schön an. So soll ich freyn?

Stülphändsch. Vielleicht.

Panurg. Und wird mir auch wohl gerathen?

Stülphändsch. Nachdem es fällt.

Panurg. Und wenn mirs gut fällt, wie ich verhoff, werd ich dann glücklich sein?

Stülphändsch. Genugsam.

Panurg. Itzt anders 'rum: und wenn es schlimm fällt?

Stülphändsch. Kann ich nix zu.

Panurg. Allein, um Gott! gebt mir doch Rath. Was soll ich thun?

Stülphändsch. Was ihr wollt.

Panurg. Potz Donner und Wetter!

Stülphändsch. Ich bitt euch, ruft nichts an.

Panurg. In Gottes Namen. Nur gebt mir Rath. Was rathet ihr mir?

Stülphändsch. Nichts.

Panurg. Soll ich freyn?

Stülphändsch. Ich dacht' nicht dran.

Panurg. Ich werd also nicht freyn.

Stülphändsch. Ich kanns nicht hindern.

Panurg. Und frey ich nicht, kann ich kein Hahnrey werden?

Stülphändsch. Das erwog ich eben.

Panurg. Setzt den Fall, ich hätt gefreyt.

Stülphändsch. Wohin soll ich ihn setzen?

Panurg. Ich sag, nehmt an, ich hätt gefreyt.

[463] Stülphändsch. Hab mehr zu thun.

Panurg. Ey so scheiß mir doch auf die Nas! Hui, wer itzt nur ein kleineswenig unterm Käppel fluchen dürft! das sollt mich letzen. Nun, Geduld. – Und also, frey ich, so werd ich Hahnrey?

Stülphändsch. Man dächt es.

Panurg. Wenn mein Weib fromm und keusch ist, werd ich auch nimmer Hahnrey werden?

Stülphändsch. Mir scheint daß ihr ganz bündig sprecht.

Panurg. Hört an.

Stülphändsch. So lang ihr wollt.

Panurg. Wird sie auch fromm und keusch seyn? denn da sitzts.

Stülphändsch. Ich bezweifels.

Panurg. Ihr habt sie nie gesehen?

Stülphändsch. Das ich wüßt.

Panurg. Warum also bezweifelt ihr was ihr nicht kennt?

Stülphändsch. Aus Ursach.

Panurg. Und wenn ihr sie kenntet?

Stülphändsch. Noch mehr.

Panurg. He, Bub! mein Schatz, da nimm mein Mütz, ich gebs dir; nimm die Brill in Acht, spring in den Hof und fluch für mich ein halbes Stündel. Will auch für dich mal wieder fluchen soviel du wilt. – Wer aber wird mich zum Hahnrey machen?

Stülphändsch. Jemand.

Panurg. Nun, potz Schock Schurian! euch will ich fenstern, mein Herr Jemand.

Stülphändsch. Ihr sagts.

Panurg. Der Teufel und Der kein Weisses im Aug hat, hol mich mitsamen, wo ich nicht meinem Weib ein Bergamasker-Schloß fürleg so oft ich von meinem Taubenschlag geh.

Stülphändsch. Bessert eure Reden.

Panurg. Ey was! Ich scheiss aufs Reden, kommt zum Schluß.

Stülphändsch. Hab nix dagegen.

Panurg. Halt! weil ich auf dem Fleck kein Blut von[464] euch erzwack, will ich ein andre Ader probiren. Seyd ihr beweibt, oder seyd ihrs nicht?

Stülphändsch. Keins von beyden, und dennoch beydes.

Panurg. Gott steh uns bey! Zum Sackerdamm, ich schwitz vor Plag, und spür in mir die Verdauung stocken. All meine Phrenes, Metaphrenes und Diaphragmen strecken sich und spannen sich an, um eure Wort in mein Verstandesränzel zu beuteln.

Stülphändsch. Geht mich nix an.

Panurg. Marsch vorwärts, hussa! lieber Getreuer! seyd ihr beweibt?

Stülphändsch. Mich wills bedünken.

Panurg. War't ihrs schon vorhin einmal?

Stülphändsch. Wohl möglich.

Panurg. Bekams euch wohl, das erste Mal?

Stülphändsch. Ist nicht unmöglich.

Panurg. Und itzunder, wie bekommts euch zum andern Mal?

Stülphändsch. Wie mein beschieden Loos verhängt.

Panurg. Nicht doch! Im Ernst, bekommts euch wohl?

Stülphändsch. Es ist wahrscheinlich.

Panurg. Nun helf mir Gott und Sanct Christoffels heilige Bürd! so wollt ich doch eh einem todten Esel einen Furz entlocken, denn euch ein' Antwort. Jetzt aber fang ich euch dennoch. Lieber Getreuer, dem höllischen Feind zum Possen, bekennt die Wahrheit: war't ihr je Hahnrey? ich meint ihr hie, nicht ihr da drunten beym Ballenspiel.

Stülphändsch. Nicht, wenn es nicht prädestiniret war.

Panurg. Beym Fleisch, ich entsag; beym Blut, ich vernoig; bey des Herrn Leichnam, ich renunzir. Er geht mir durch.

Bey diesen Worten erhub sich Gargantua, und sprach: dem guten Gott sey Lob für alles. Die Welt ist, seh ich wohl, ein feines Bürschlein worden, seit ich sie jung gekannt hab. Sind wir so weit? Also gehn heutzutag die klügsten, gelahrtesten Philosophi ins Schulhaus und Phrontisterium[465] des Pyrrho, der Aporrhetiker, Ephektiker und Skeptiker! Lob sey dem guten Gott. Fürwahr, hinfort wird man den Leuen wohl bey der Mähn, das Roß beym Haar, den Stier beym Horn, den Büffel bey der Schnauz, den Wolf beym Schwanz, die Geiß beym Bart, den Vogel bey den Beinen greifen, doch nimmer solche Philosophos bey ihren Worten und Redensarten. Gott sey mit euch, ihr guten Freund. – Mit diesen Worten begab er sich aus der Gesellschaft weg. Es wollten Pantagruel und die Andern ihm folgen, aber er ließ es ihnen nicht zu.

Nachdem Gargantua aus dem Saal war, sprach Pantagruel zu den Gästen: Timäus im Plato zählt die Gäst zu Anfang des Gastmals: wir wollens umdrehn, und sie zum Schluß zählen. Eins, Zwey, Drey: wo ist der Viert? war es nicht Gänszaum unser Freund? – Darauf erwiedert' Epistemon, daß er ihn zu invitiren in sein Haus gegangen wär aber nicht gefunden hätt, weil ihn eben ein Gerichtsbot von dem Myrlings-Parlament zu Myrelinguen vorgeladen, daselbst persönlich zu erscheinen und vor den Rathsherrn Rechenschaft von einem Urthel abzulegen, so er gefällt hätt. Derhalb wär er Tages zuvor verreist, weil er auf den Termin hätt pünktlich dort seyn und nicht in Straf und Contumaz verfallen wollen. – Ich muß doch hören, sprach Pantagruel, was dieß ist. Seit länger denn vierzig Jahren ist er nun Richter in Fonsbeton. Die Zeit her hat er mehr denn viertausend Urthel diffinitivisch erlassen: zweytausend dreyhundertneun der von ihm gefällten Urthel sind von den condemnirten Parteyen bey dem Oberhofgericht des Myrelinguischen Parlamentes angefochten, aber all durch Spruch desselben ratifiziret, approbirt und bestätiget worden, die Appellationen umgestossen, für nichtig erklärt: daß man ihn itzt nun auf seine alten Tag persönlich vorlädt, ihn, der die ganze Zeit so heilig in seinem Beruf gelebt hat, kann nicht mit rechten Dingen zugehn. Ich will ihm aus aller meiner Macht nach Billigkeit beystehn: ich weiß wohl, die Bosheit[466] der Welt ist heutzutag so mächtig daß das beste Recht des Beystands braucht. Und will alsbald darzuthun, daß man uns nicht zuvorkomm. – Da ward die Tafel aufgehoben, Pantagruel verehrt' den Gästen viel kostbare Ehrengeschenk an Ringen, Juwelen, Tischgeschirr sowohl in Gold als Silber, und begab sich, nachdem er ihnen freundlich gedanket, in sein Gemach.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 462-467.
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