Sechs und Zwanzigstes Kapitel.

[106] Wie der gute Makrobier Pantagruelen vom Aufenthalt und Hinschied der Heroen erzählt'.


Darauf antwort der gute Makrobier: Ihr Freund und Pilger, dieß ist eine von den Sporaden; nicht von euern Sporaden im Karpathischen Meer, sondern von den Sporaden im Ocean: und war vor Alters reich, voll Leben, Wohlstand, Handel, sehr bevölkert, und dem König von Bretanien unterthan; itzt aber ist sie im Lauf der Zeit, und da sichs mit der Welt zum End neigt, wie ihr seht, arm und einsam worden.[106]

Der dunkle Wald, den ihr hie sehet, über achtundsiebzigtausend Parasangen lang und breit, ist der Heroen und Dämonen Wohnung, die jetzo alt geworden. Und glauben wir, weil der Comet der uns drey ganze Tag zuvor schien, itzt nicht mehr leuchtet, daß von ihnen gestern Einer gestorben sey, bey dessen Hintritt der schreckliche Sturm den ihr erlitten, ausgebrochen. Denn bey ihrem Leben ist auf unserm Eiland und den andern Nachbar-Inseln an allem Guten Überfluß, schönes, stilles Wetter zur See, und immerwährende Heiterkeit. Wie aber von ihnen Einer hinfährt, hören wir jedesmal im Wald ein lautes erbärmlichs Wehgeheul und sehn am Land Pest, Windbrüch, schwere Plagen; in Lüften Finsterniß und Aufruhr, im Meer Orkan und Sturm.

Was ihr da sagt, antwortet' ihm Pantagruel, scheint mir sehr glaublich. Denn, wie die Fackel oder das Licht die ganze Zeit solang es lebt und brennen bleibt, den Leuten leuchtet, alles ringsumher erhellt, Jeden erfreut, mit seinem Schimmer Jedem dient, niemandem schadet noch lästig fällt; sobald es aber erlischt, durch seinen Dunst und Qualm die Luft verderbt, die Menschen kränkt, und einem Jeden misbehagt: also auch mit diesen edeln, erlauchten Seelen. Die ganze Zeit, die sie in ihren Leibern hausen, ist ihre Wohnung friedsam, still, gedeihlich, heimlich, segensreich, erquicklich, hehr: im Augenblick da sie verscheiden, bricht gemeinlich auf Inseln wie auf festem Land, in Lüften wilder Aufruhr aus, Verfinstrung, Donner, Hagel, Blitzt; im Erdball Dröhnen, Bidmen, Beben, im Meer Orkan und Ungewitter, nebst Wehgeheul der Völker, Wandel der Religionen, Umsetzung der Königreich und Ausrottung der freyen Staaten.

Davon, sprach Epistemon, haben wir erst noch kürzlich das Beyspiel gehabt beym Tod des tapfern gelahrten Ritters Wilhelm von Bellay, bey dessen Leben sich Frankreich solches Glücks erfreute, daß alle Welt drauf neidisch war, alle Welt mit ihm in Bund trat, alle Welt sich vor ihm furchte. Kaum war Er aber dahin, alsbald war es vor aller Welt verachtet auf lange Zeit.

So spielt' auch, sprach Pantagruel, der Sturm Aeneen erschrecklich mit, als Anchises auf Drepani in Sizilien gestorben[107] war. Dieß war auch wohl der Grund warum der grausame Juden-König und Bluthund Herodes, als er eines furchtbar und unnatürlich schauderhaften Todes zu sterben kam, (denn er starb an der Phthiriasis, von Würmern und Läusen aufgefressen, wie schon vor ihm der Syrier Pherecydes Pythagorä Lehrer, Alkman der griechische Poet, L. Sylla und andre mehr gestorben waren) und voraussah daß die Juden seinen Tod mit Freudenfeuern begehen würden, alle Edeln und Obrigkeiten aus allen Städten Flecken und Schlößern Judäa's in sein Serrail berief, unter dem trüglichen Schein und Fürwand als wenn er ihnen wichtige Regierungs- und Verwesungssachen für die Provinz eröffnen wollte. Als sie nun in Person erschienen und vor ihn kamen, ließ er sie in die Rennbahn des Serrails einsperren. Darauf sprach er zu seiner Schwester Salome und ihrem Mann Alexander: Ich weiß gewiß, die Juden werden frohlocken ob meines Todes: wenn ihr aber den letzten Rath den ich euch itzt noch geben will, befolgen und beherzigen wollt, wird mein Begängniß rühmlich seyn, und alles Volk wird Leid um mich tragen. Den Augenblick da ich verschieden, laßt die Trabanten meiner Leibwacht, denen ich dieserhalb bereits ausdrücklichen Bescheid ertheilt, alle diese hier versperrten Edeln und Obrigkeiten zusammenhauen. So ihr dieß thut, wird ganz Judäa, gern oder ungern heulen und weinen, und alle Fremden werden es auf meinen Tod ziehn, gleich als wenn ein heroischer Geist verschieden wär.

Hierauf zielt' auch ein andrer Wüthrig, als er in seiner Verzweiflung sprach: Bey meinem Tod mag sich die Erd mit dem Feuer mengen: ist zu sagen, die ganze Welt mag untergehen. Welches Wort der Schlaraff Nero umkehrt' und sprach: »Bey meinem Leben« wie Suetonius bezeugt. Dieß abscheuliche Wort, das auch Cicero im dritten Buch de finibus und Seneka im zweyten von der Gnad erwähnen, schreibt Dion Nicäus und Suidas dem Kaiser Tiberio zu.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 106-108.
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