Ein und Funfzigstes Kapitel.

[168] Kurze Tischgesprächlein zum Lob der Decretalen.


Nun merkt, ihr Zecher, daß während Schlottigs trockner Meß drei Kirchendiener, jeder mit einem grossen Becken im Volk umgingen, und mit lauter Stimm ausriefen: Vergeßt auch nicht der Glücklichen die Ihn leibhaftig gesehen haben! – In der Thür des Tempels überbrachten sie Schlottigen ihre Becken gehauft voll Papimanen-Münz. Dieß, sagt' uns Schlottig, wär bestimmt zur Schnabelweid, und würd die Hälft von dieser Steuer und Collekt auf gut Getränk, die andre Hälft auf gutes Essen verwendet werden, nach einer wunderwürdigen Gloß, die sich in ein besondres Winklein ihrer hochheiligen Decretalen verkrochen hätt. Wie auch geschah, und zwar in einem schönen Krug, schier wie des Guillot[168] zu Amiens seiner. Glaubt nur! gehöfelt ward da stark, und getrunken derbe. Zwey Curiosa notirt' ich mir bei dem Gelag: Fürs Erst, daß keine Fleischspeiß kam, es mocht seyn was für Sort es wollt, Reh, Kapphähn, Schwein (und deren gibt es in Papimanien ein gut Theil), Kanikel, Tauben, Hasen, Truthähn und so weiter, die nicht bretsdick mit magistralischer Farß durchnudelt gewesen wär. Fürs Zweyt: daß alle Tisch und Nachtisch von den jungen mannbaren Töchtern des Landes aufgetragen wurden, lieben, holden, herzigen Hühnlein und Blondinlein, das schwör ich euch, im schönsten Flor: die, in lange, weisse, lose, zwiefach gegürtelte Alben gekleidet, mit blosem Haupt, das Haar mit kleinen violettnen Seiden-Schnüren und Bändlein durchflochten, Rosen, Nelken, Orangenblüth, Mayran, Anies, und viele andre würzige Blumen dazwischen gesprenkelt, bei jeder Cadenz uns mit gelehrten und artigen Verneigungen zum Trinken luden, zu unser Aller Augen-Lust. Bruder Jahn schielt' seitwärts nach ihnen, wie der Hund mit dem Flederwisch. Zum Dessert des ersten Ganges sangen sie ein melodisch Liedlein zum Lob der heiligsten Decretalen.

Als die zweyte Tracht gebracht ward, rief Schlottig, ganz munter und aufgeräumt einem der Kellermeister zu: He Clerice! ist leer allhie! Auf diese Wort reicht' ihm ein Mägdlein hurtig einen grossen Humpen Extravaganten-Weins. Er nahm ihn in die Hand, und sprach mit tiefem Seufzen zum Pantagruel: Gnädigster Herr, und lieben Freund, von Grund der Seelen trink ich hiemit auf euer aller Wohlergehn. Seid uns schönstens willkommen! – Als er getrunken und der schmucken Dirn den Humpen wieder zugestellt, thät er einen gewaltigen Ausruf und sprach: O göttliche Decretales! so gut däucht uns der gute Wein doch erst durch euch! – Ist immer auch kein Katzendreck, versetzt Panurg. – Noch besser, meint' Pantagruel, wärs aber wenn der schlechte Wein durch sie gut würde?[169]

O du Seraphischer Sexte! fuhr Schlottig fort, wie so höchstnöthig bist du zum Heil der armen Sterblichen! O ihr Cherubischen Clementinä! Ist nicht in euch ganz eigentlich des wahren Christen Himmelsweg allein enthalten und fürgezeichnet! O ihr englischen Extravagantes! wie würden ohn euch die armen Seelen hienieden in diesem Jammerthal, in ihrer Irr des Erden-Leibes verloren seyn! Ach! wann wird endlich einmal aus ganz besondrer Gnad dieß Heil den Menschen wiederfahren, daß sie all andres Studium und Arbeit hinwerfen um nur euch zu lesen, hören, lernen, brauchen, üben, in Saft und Blut euch zu verwandeln, sich einzuverleiben, und ihren heimlichsten Hirn-Ventrikuln, ihrem verborgensten Knochenmark, dem unauflöslichsten Labyrinth ihrer Adern zu incentriren? O dann erst, und nicht eh'r noch anders wird es einst wohl auf Erden stehn!

Bey diesen Worten stund Epistemon vom Tisch auf, und sprach leise zu Panurgen: Hie hats keinen Nachtstuhl; so muß ich 'naus: die Farß lupft mir den Hinter-Darm. Ich komm gleich wieder.

O dann, fuhr Schlottig fort, dann haben ein End Frost, Hagel, Windbruch, Reif! O dann wird alles Guten Füll auf Erden seyn! O dann im Weltall beharrlich unverbrüchlicher Frieden, kein Krieg, Plack, Plündrung, Weg-Raub mehr! Kein Meuchelmord, als wider die Ketzer und verfluchten Widersacher! O dann Lust, Labsal, Wonne, Trost, Entzücken, Freud und Fröhligkeit soweit nur Menschen wohnen! Aber, o auch der hohen Gebot und Lehren, der himmlisch unschätzbaren Wissenschaft, die in die göttlichen Kapitel dieser ewigen Decretalen verfugt sind! O, wie werdet ihr, wenn ihr auch nur einen halben Canon, ein einiges Notabile, ein kleines Paragräphlein dieser hochheiligen Decretalien leset, in euern Herzen den Feuerofen göttlicher Brunst entzündet fühlen; die Nächstenlieb (dafern der Nächst nur kein Ketzer ist!) die unerbittlichste Verachtung aller zufälligen Erdending; Verzückung, überschwengliche, eurer Sinnen bis hinan zum dritten Himmel; steten Frieden aller Affekten und wilden Trieb!

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 168-170.
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