Vier und Zwanzigstes Kapitel.

[293] Wie in der Quinta Gegenwart ein lustiger Ball in Turnier-Gestalt gegeben ward.


Nach Endigung der Abendmahlzeit ward in der Dame Gegenwart ein Ball gegeben in Turnier-Art, werth der Betrachtung nicht allein, sondern auch ewigen Angedenkens. Zu dessen Vorbereitung ward das Pflaster in dem Saal zuvörderst mit einem grossen sammtenen Teppich in Schachbret-Form bedeckt, das ist: in gelb und weisse Felder, jedes auf allen Seiten viereckt und drey Palmen breit, getheilt. Itzt traten zweyunddreyssig junge Leut in den Saal ein; deren sechzehn waren in Goldbrokat gekleidet, nämlich: acht junge Nymphen wie die Alten sie in Gesellschaft der Diana zu malen pflegten, ein König, eine Königinn, zween Rochen-Wächter, zween Ritter, und zween Bogenschützen. In gleicher Ordnung sechzehn Andre in Silberstoff gekleidet. Auf dem Teppich war ihr Stand wie folgt: Die Könige nahmen das vierte Feld der letzten Reih ein, dergestalt daß der güldene König im weissen, der silberne im gelben Feld zu stehen kam, die Königinnen ihren Königen zur Seiten, die güldn' im gelben, die silberne im weissen Feld; zween Bogenschützen auf jeder Seit dabei zur Huth ihrer König und Königinnen. Neben den Schützen zween Ritter, neben den Rittern zween Wächter. Im nächsten Glied vor ihnen stunden die acht Nymphen. Zwischen den beyden Nymphen-Heeren blieben vier Reihen Felder leer.[294]

Ein jedes Heer hätt seine Spielleut in gleiche Liverey, die Einen in orangengelben, die Andern in weissen Damast gekleidet, bey sich; und waren acht auf jeder Seit, mit ganz verschiedenen Instrumenten von lustiger Erfindung, wohl zusamen stimmend, wunderlieblich, nach jedem Tackt und Tempo wechselnd, wie der Verlauf des Balls erheischt': was mir erstaunenswürdig schien in Hinsicht der unzähligen Verschiedenheit der Schritt, Züg, Sprüng, Retraiten, Fluchten, Ueberschläg, Rückläuf, Anfäll und Hinterhalt. Mehr aber däucht' mich, überstieg noch alle menschliche Vorstellung die Schnelligkeit mit der die Tänzer jeden Ton der ihre Vorschritt oder Rückzüg angab, sogleich verstanden; daß ihn die Spielleut nicht sobald anstimmten, als sie sich auch schon auf den bestimmten Posten stellten, wie auch ihr Lauf verschieden war.

Denn: die Nymphen, die in der vordern Zeil gleichsam zum Angriff fertig stehen, ziehn auf den Feind grad aus von einem zum andern Felde, ausgenommen den ersten Schritt, mit welchem ihnen zween Felder zu passiren freysteht; und sie allein gehn nimmer rückwärts. Wenn sich begiebt daß ihrer Eine bis zu der Reih ihres feindlichen Königs vorruckt, wird sie zur Königin ihres Königs gekrönt, und hat fortan auf ihrem Zug dieselben Privilegien wie die Königinn. Sonst aber treffen sie die Feind nicht anders als in schräger Diagonal-Lini, und immer nur von vorn. Jedoch ist weder ihnen noch Andern jemals einen Feind zu schlagen erlaubt: wenn sie ihn schlügen, liessen sie ihre Königin blos und im Stich.

Die Könige ziehn und schlagen ihre Feind auf alle Arten im Geviert, und rücken blos vom weissen und nächstfolgenden, zum gelben Feld und umgekehrt; ohn daß sie bey dem ersten Schritt, wenn ihre Reih von allen andern Offiziers bis auf die Wächter entblöst wär, sie ihn an ihre Stellen setzen dürfen und ihm zur Seiten sich zurückziehn.

Die Königinnen ziehn und schlagen mit größrer Freiheit als alle Andern, nämlich nach allen Orten und Enden, in jeder Art, auf alle Weis, in grader Lini so weit sie wollen, nur daß keiner der Ihrigen drauf steh; und auch in schräger, wenn es nur die Farb ihres Lagers ist.

Die Schützen ziehn so vor als rückwärts, fern und nah:[295] zu merken: daß auch sie die Farb ihres ersten Feldes niemals ändern.

Die Ritter ziehn und schlagen strichweis, mit Ueberhupfung eines Feldes, es mag nun von den Ihrigen oder von den Feinden besetzt seyn; und stellen sich, rechts oder links, ins zweyte Feld von andrer Farb. Dieß ist dem Gegentheil ein höchst gefährlicher Sprung und kann man ihn nicht genug bewachen; denn sie schlagen niemals gradaus Stirn gegen Stirn.

Die Wächter ziehn und schlagen offen, Aug in Aug, so rechts als links, so rück- als vorwärts, wie die König', und können, was die Könige nicht dürfen, in leerer Reih so weit sie wollen ziehen.

Beyder Theile gemeinsames Gesetz und letzter Kriegszweck war, den feindlichen König dermaasen zu belägern und rings einzuschliessen, daß er ihnen nach keiner Seit entrinnen mocht. Und wenn er, so umzingelt, weder entfliehn noch von den Seinigen Beystand erhalten konnte, war das Treffen zu End, und der belägerte König verlor. Dieß Unglück nun von ihm zu wenden, ist in seinem Heer weder Mann noch Weib, das nicht sein eigen Leben wagt', und werden, nach dem Tackt der Musik, von allen Enden handgemein. Wenn Einer Einen vom Gegenteil gefangen nahm, klopft' er ihm sanft in die rechte Hand, indem er sich vor ihm verneigt', führt' ihn vom Platz und succedirt' in seine Stell. Wenn sich begab daß einer von den Königen in der Klemm stack, durft ihn der Feind darum nicht nehmen: vielmehr war dem der ihn entblöset, oder in der Klemm hielt, scharfer Befehl ertheilt sich tief vor ihm zu neigen, und ihn durch den Zuruf: Gott helf euch! zu verwarnen, daß ihn einer von seinen Offiziers deckt' oder rettet' oder er doch seinen Stand verändern möcht, wenn er durch Unstern ja nicht mehr zu retten wär. Ward aber gleichwohl niemals von einem Feind gefangen, sondern nur mittelst Kniebeugung des linken Fusses salutirt, wobey man zu ihm: Guten Tag! sprach und damit das Turnier beschloß.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 293-296.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gargantua und Pantagruel
Gargantua. Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, 2 Bände
Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, in 2 Bdn.
Gargantua und Pantagruel