Sechster Auftritt.

[612] Hippolyt. Theramen.


THERAMEN.

Flieht dort nicht Phädra oder wird vielmehr

Gewaltsam fortgezogen? – Herr, was setzt

Dich so in Wallung? – Ich seh dich ohne Schwert,

Bleich, voll Entsetzen –

HIPPOLYT.

Fliehn wir, Theramen!

Du siehst mich in dem äußersten Erstaunen.[612]

Ich kann mich selbst nicht ohne Grauen sehn.

Phädra – Doch große Götter! Nein!

Das Gräßliche bedeck ein ewig Schweigen!

THERAMEN.

Willst du von dannen, das Schiff ist segelfertig,

Doch Herr, Athen hat sich bereits erklärt.

Man hat das Volk nach Zünften stimmen lassen,

Dein Bruder hat die Stimmen, Phädra siegt!


Hippolyt macht eine Bewegung des Erstaunens.


Ein Herold kommt soeben von Athen,

Der ihr den Schluß des Volkes überbringt,

Ihr Sohn ist König.

HIPPOLYT.

Phädra! Große Götter!

Ihr kennt sie! Ists der Lohn für ihre Tugend?

THERAMEN.

Indes schleicht ein Gerücht umher, der König

Sei noch am Leben. Man will ihn in Epirus

Gesehen haben – Aber hab ich ihn nicht dort

Erfragt, und weiß ich nicht zu gut –

HIPPOLYT.

Tut nichts.

Man muß auf alles hören, nichts versäumen

Und forschen nach der Quelle des Gerüchts.

Verdient es nicht, daß wir die Fahrt einstellen,

So gehen wir, was es auch kosten mag,

Der Würdigsten das Szepter zuzuwenden!

Quelle:
Schiller, Friedrich: Phädra. Trauerspiel von Racine, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Dritter Band: Übersetzungen, München 1960, S. 587–645, S. 612-613.
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