Zweiter Auftritt.

[624] Theseus. Hippolyt.


THESEUS.

Da ist er! Götter! Dieser edle Anstand!

Welch Auge würde nicht davon getäuscht!

Darf auf der frechen Stirn des Ehebruchs

Die heilige Majestät der Tugend leuchten?

Wär es nicht billig, daß der Schalk im Herzen

Durch äußre Zeichen sich verkündete?

HIPPOLYT.

Herr, darf ich fragen, welche düstre Wolke

Dein königliches Angesicht umschattet!

Darfst du es deinem Sohne nicht vertraun?

THESEUS.

Darfst du, Verräter, mir vors Auge treten?

Ungeheuer, das der Blitz zu lang verschont!

Unreiner Überrest des Raubgezüchts,

Von dem mein tapfrer Arm die Welt befreite!

Nachdem sich deine frevelhafte Glut

Bis zu des Vaters Bette selbst verwogen,

Zeigst du mir frech noch dein verhaßtes Haupt?

Hier an dem Ort, der deine Schande sah,

Darfst du dich zeigen, und du wendest dich

Nicht fremden fernen Himmelsstrichen zu,

Wo meines Namens Schall nie hingedrungen?

Entflieh, Verräter, reize nicht den Grimm,

Den ich mit Müh bezwinge – Schwer genug

Büß ich dafür mit ewger Schmach, daß ich

So frevelhaftem Sohn das Leben gab,

Nicht auch dein Tod soll mein Gedächtnis schänden

Und schwärzen meiner Taten Glanz – Entflieh!

Und willst du nicht, daß eine schnelle Rache

Dich den Frevlern, die ich strafte, beigeselle,[624]

Gib acht, daß dich das himmlische Gestirn,

Das uns erleuchtet, den verwegnen Fuß

Nie mehr in diese Gegend setzen sehe!

Entfliehe, sag ich, ohne Wiederkehr,

Reiß dich von dannen, fort und reinige

Vom Greuel deines Anblicks meine Staaten.

– Und du, Neptun, wenn je mein Arm dein Ufer

Von Raubgesindel säuberte, gedenk,

Wie du mir einst zu meiner Taten Lohn

Gelobt, mein erstes Wünschen zu erhören!

Nicht in dem Drang der langen Kerkernot

Erfleht ich dein unsterbliches Vermögen,

Ich geizte mit dem Wort, das du mir gabst,

Der dringenderen Not spart ich dich auf.

Jetzt fleh ich dich, Erschütterer der Erde!

Räch einen Vater, der verraten ist:

Hin geb ich diesen Frevler deinem Zorn,

Erstick in seinem Blut sein frech Gelüsten,

An deinem Grimm laß deine Huld mich kennen!

HIPPOLYT.

Phädra verklagt mich einer strafbarn Liebe!

Dies Übermaß des Greuls schlägt mich zu Boden.

So viele Schläge, unvorgesehn, auf einmal,

Zerschmettern mich und rauben mir die Sprache!

THESEUS.

Verräter, dachtest du, es werde Phädra

In feiges Schweigen deine Schuld begraben,

So mußtest du beim Fliehen nicht das Schwert,

Das dich verdammt, in ihren Händen lassen.

Du mußtest, deinen Frevel ganz vollendend,

Mit einem Streich ihr Stimm und Leben rauben.

HIPPOLYT.

Mit Recht entrüstet von so schwarzer Lüge,

Sollt ich die Wahrheit hier vernehmen lassen,

Doch, Herr, ich unterdrücke ein Geheimnis,

Das dich betrifft, aus Ehrfurcht unterdrück ichs.

Du billige das Gefühl, das mir den Mund

Verschließt, und, statt dein Leiden selbst zu mehren,

Prüfe mein Leben, denke, wer ich bin.[625]

Vor großen Freveln gehen andre stets

Vorher; wer einmal aus den Schranken trat,

Der kann zuletzt das Heiligste verletzen.

Wie die Tugend hat das Laster seine Grade,

Nie sah man noch unschuldge Schüchternheit

Zu wilder Frechheit plötzlich übergehn.

Ein Tag macht keinen Mörder, keinen Schänder

Des Bluts aus einem tugendhaften Mann.

An einer Heldin keuscher Brust genährt,

Hab ich den reinen Ursprung nicht verleugnet;

Aus ihrem Arm hat Pittheus mich empfangen,

Der fromm vor allen Menschen ward geachtet;

Ich möchte mich nicht selbst zu rühmlich schildern,

Doch, ist mir einge Tugend zugefallen,

So denk ich, Herr, der Abscheu eben wars

Vor diesen Greueln, deren man mich zeiht,

Was ich von je am lautesten bekannt.

Den Ruf hat Hippolyt bei allen Griechen!

Selbst bis zur Roheit trieb ich diese Tugend,

Man kennt die Härte meines strengen Sinns;

Nicht reiner ist das Licht als meine Seele,

Und ein strafbares Feuer sollt ich nähren?

THESEUS.

Ja, eben dieser Stolz, o Schändlicher,

Spricht dir das Urteil. Deines Weiberhasses

Verhaßte Quelle liegt nunmehr am Tag.

Nur Phädra rührte dein verkehrtes Herz,

Und fühllos war es für erlaubte Liebe.

HIPPOLYT.

Nein, nein, mein Vater, dieses Herz – nicht länger

Verberg ich dirs – nicht fühllos war dies Herz

Für keusche Liebe! Hier zu deinen Füßen

Bekenn ich meine wahre Schuld – Ich liebe,

Mein Vater, liebe gegen dein Verbot!

Aricia hat meinen Schwur – sie ists,

Pallantes' Tochter, die mein Herz besiegte.

Sie bet ich an, nur sie, wie sehr ich auch,

Herr, dein Gebot verletze, kann ich lieben.[626]

THESEUS.

Du liebst sie! – Nein, der Kunstgriff täuscht mich nicht.

Du gibst dich strafbar, um dich reinzuwaschen.

HIPPOLYT.

Herr, seit sechs Monden meid ich – lieb ich sie!

Ich kam mit Zittern, dies Geständnis dir

Zu tun –


Da Theseus sich mit Unwillen abwendet.


Weh mir! Kann nichts dich überzeugen?

Durch welche gräßliche Beteurungen

Soll ich dein Herz beruhigen – So möge

Der Himmel mich, so mögen mich die Götter –

THESEUS.

Mit Meineid hilft sich jeder Bösewicht.

Hör auf, hör auf, mit eitelm Wortgepräng

Mir deine Heucheltugend vorzurühmen.

HIPPOLYT.

Erheuchelt scheint sie dir. Phädra erzeigt mir

In ihrem Herzen mehr Gerechtigkeit.

THESEUS.

Schamloser, deine Frechheit geht zu weit!

HIPPOLYT.

Wie lang soll ich verbannt sein und wohin?

THESEUS.

Und gingst du weiter als bis Herkuls Säulen,

Noch glaubt ich dem Verräter mich zu nah.

HIPPOLYT.

Beladen mit so gräßlichem Verdacht,

Wo find ich Freunde, die mir Mitleid schenken,

Wenn mich ein Vater von sich stößt?

THESEUS.

Geh hin!

Geh, suche dir Freunde, die den Ehbruch ehren,

Blutschande loben, schändliche, pflichtlose,

Verräter ohne Schamgefühl und Ehre,

Wert, einen Schändlichen, wie du, zu schützen!

HIPPOLYT.

Du sprichst mir immerfort von Ehebruch,

Von – doch ich schweige. Aber Phädra stammt

Von einer Mutter – Phädra ist erzeugt

Aus einem Blut, du weißt es, das vertrauter

Mit solchen Greueln ist als meines!

THESEUS.

Ha!

So weit darf deine Frechheit sich vergessen

Mir in das Angesicht? Zum letztenmal!

Aus meinen Augen! Geh hinaus, Verräter![627]

Erwarte nicht, daß ich in Zorneswut

Dich mit Gewalt von hinnen reißen lasse!


Hippolyt geht ab.


Quelle:
Schiller, Friedrich: Phädra. Trauerspiel von Racine, in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Dritter Band: Übersetzungen, München 1960, S. 587–645, S. 624-628.
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