Zweiter Auftritt


[207] Vorige. Distichon mit einer Menge Gedichte in Rollen.


ALLES ruft. Willkommen, Distichon.

DISTICHON feierlich. Verderben diesen Zaubernymphen! Die ganze Nacht hat meine Phantasie geraset und den geflügelten Gaul beinahe zuschanden geritten, bis Aurora vierzig Schmähgedichte beleuchtete, die mein schöpferischer Geist in dieser Nacht gebar.

MEHRERE. Hier sind noch mehr. Zeigen sie vor.

DISTICHON. Ich glaub es euch, an Dichtern fehlt's auf unserer Insel nicht. Flora heißet sie, weil sie die Göttin hat mit Blümlein aller Art bedeckt. Wir kennen keinen Schnee,[207] als wenn uns Zephir weiße Blüten streut, darum begeistert uns der ewige Blumenduft und weihet uns zu Priestern des Apoll. So daß der Schuster selbst mit einer Hand nur seinen Stiefel schafft, und in der andern hält er hoch die goldne Leier.


Sein kühner Geist ist mit Apoll verwandt,

Ist seine Lyra gleich mit Schustergarn bespannt.


AFFRIDURO. Doch hohe Zeit ists nun, die Leier zu vertauschen mit dem Mut. Die Zauberschwestern müssen fallen.

DISTICHON. Ich werfe sie mit Knittelreimen tot.

AFFRIDURO. Ein Jahr ists nun, daß diese beiden Zauberschwestern auf unsere Insel kamen in einem Wolkenwagen, den zwei weiße Löwen zogen. Wir glaubten schon, die Götter hätten sie gesendet, doch bald erfuhren wir, daß sie der Orkus ausgespien. Denn ihre Zaubermacht erbaute schnell ein Schloß, vor dem die beiden Löwen wachen und jeden töten, der sich naht. Sie zertreten unsere Fluren, und mit vergifteten Pfeilen schießen sie nach den Dienern des Tempels.

ALLE. Wehe, wehe über sie!


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 207-208.
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Die gefesselte Phantasie
Die gefesselte Phantasie. Original- Zauberspiel in zwei Aufzügen.
Raimundalmanach / Die gefesselte Phantasie