Zwölfter Auftritt


[256] Verwandlung.

Das Innere des Apollotempels. Der geöffnete Hintergrund bietet die Aussicht auf das Meer. In der Mitte die Statue des Apoll, vor ihr ein Opferaltar, auf dem die Flamme lodert.

Im Vordergrunde ein Seitenthron, worauf Hermione sich befindet. Neben ihr Hofleute, ihr gegenüber die Schar der Dichter. Dem Thron gegenüber sitzt auf einem hervorragenden Postamente einer Säule Amphio in verzweifelnder Attitüde. Volk, Vipria, Arrogantia als Opferpriester verkleidet, Mehrere Priester des Apoll.


ALLE DICHTER.


Chor der eben endet.


Vergebens winkt des Preises Glück,

Die Phantasie kehrt nicht zurück,

Und beschämt gestehen wir

Unsre Geistesohnmacht hier.[256]


VIPRIA im Tone des Affriduro. Verhüll dein Antlitz, hohe Muse! Hermione, hör das Unerhörte an! Alle Dichter deines Landes erklären laut, daß sie nicht fähig waren, ein Gedicht zu deinem Lob zuschreiben, und selbst Apollos hehrer Anblick kann sie nicht dazu begeistern.

HERMIONE. Sind das die Weisen meines Landes, die gelehrten Männer?

EIN DICHTER. Verzeih, o Königin, Gelehrsamkeit allein verfasset kein Gedicht. Wissen ist ein goldener Schatz, der auf festem Grunde ruht, doch in das Reich der holden Lieder trägt uns nur der Phönix Phantasie.

HERMIONE sieht auf Amphio. So lebt auf Flora keiner mehr, der Hermionens Ehre retten kann?

AMPHIO. Hörst du es, Nemesis?

NARR. In einem Lobgedicht gewinn ich keinen Preis, ich bin zum Schimpfen auf die Welt gekommen.

HERMIONE steht auf. So hebt die Feier auf!

ARROGANTIA. Halt ein, noch tönt' die siebente Stunde nicht. Du kennest des Orakels Spruch, ein Fremdling wird es sein.

HERMIONE. Auch das Orakel ist bezaubert.

VIPRIA. Lästre nicht. Für sich. Wo bleibet der Verräter nur?

NACHTIGALL von innen. He, he, halt ein, ein Gedicht, ein Gedicht! Stürzt atemlos herein. Halt ein, ein Gedicht und auch ein Dichter, alle zwei sind da.

ALLE. Was ist das?

VIPRIA. Wie, du hast ein Gedicht?

NACHTIGALL. Ein schreckliches Gedicht.

NARR. Mich trifft der Nervenschlag.

ALLE. So lies es vor.

DISTICHON. Ja, lies.

NACHTIGALL. Das kann ich nicht, das hab ich nicht gelernt. Ich sings, weil ich ein Sänger bin aus Eng- und Schottenland. Mein ist der Preis. Merkt auf.

NARR. Das wird was Schönes werden.

NACHTIGALL stellt sich in die Mitte, spielt mit der Harfe und singt.

Liebe Leutchen, kommt zu mir,

Will euch etwas singen,[257]

Ich will Hermionen hier

Schnell ein Loblied bringen.

Jeder, der sie nur erblickt,

Liegt in Liebesbanden,

Selbst der Weise wird berückt,

Habt ihr mich verstanden?

CHOR.

Wie gemein, wie gemein,

Was sind das für Verse?

NACHTIGALL.

Zeigt sie sich im Blumenreich,

Atmet alles Wonne,

Alle Blümchen rufen gleich:

Servus, Hermione.

Wandelt s' auch in finstrer Nacht

Ganz ohne Laterne,

Ihre Äuglein voller Pracht

Leuchten wie zwei Sterne.

CHOR.

Hahaha! Hahaha!

Das ist nur zum Lachen.

NACHTIGALL.

Und der lieben Vöglein Zahl

Ist ihr recht gewogen,

Auch ein alte Nachtigall

Kommt herbeigeflogen.

Kurz, ihr holder Nam erschallt

Laut in jeder Zone,

Selbst die Bären in den Wald

Brummen Hermione.

CHOR.

Hört den Wicht, solch Gedicht

Wagt er hier zu singen.

NACHTIGALL.

Alle Tiere sind auf Ehr

Für sie eingenommen,[258]

Endlich komm auch ich daher

Voller Lieb geschwommen,

Führ sie schnell zum Brautaltar,

Sie glänzt wie die Sonne,

Und ich bin vor Freud ein Narr.

Vivat Hermione!

CHOR.

Ha, zu viel! Ha, zu viel!

Straft den frechen Buben.

HERMIONE. Bin ich zum Spotte dieses Narren hier geworden? Soll ein Gedicht das sein?

DISTICHON. Das heißt Apoll gelästert, schleppt zum Tempel ihn hinaus.

ALLE. Hinaus mit ihm!

VIPRIA. Halt ein. Erfüllen mußt du, Hermione, deinen Schwur. Er hat das beste dir gebracht, er werde dein Gemahl.

HERMIONE. Unmöglich, nein!

ALLE. Verräterei, zu schlecht ist sein Gedicht.

VIPRIA. Wer spricht ein besseres hier? Ich fordere nochmal auf.

AMPHIO leise. Wehe mir, ich vermag es nicht.


Allgemeines Schweigen.


VIPRIA. Dies Schweigen spricht dein Urteil aus. Arrogantia winkt, es donnert. Und Apoll bestätigt es.

NACHTIGALL. Jetzt donnerts gar wegen mir.

VIPRIA. Wagt ihrs zu widersprechen?

ALLE langsam. Nein, er werde ihr Gemahl.

AMPHIO. Entsetzliches Geschick!

NARR. Je dummer der Mensch, je größer sein Glück.

HERMIONE. So ist denn keine Rettung mehr?

NACHTIGALL trippelt kindisch. Ich werd König, ich werd König!


Die Phantasie tritt ein, im Mantel gehüllt, ergreifet Amphios Hand.


PHANTASIE leise ihm ins Ohr. Amphio, die Phantasie ist frei, nur dich begeistert sie.

AMPHIO springt auf, plötzlich inspiriert. Halt ein, ich rett des[259] Tempels Ehre hier, wage ein Gedicht. Zu kostbar ist der Preis, ich entreiß ihn dir.

ALLE. Apoll, wir preisen dich.

AMPHIO.

Die Nacht zieht fort ins ewig finstre Heimatsland,

Die Welt umkränzt ihr Haupt mit Phöbus' Strahlenband,

Und wie Auror die Erd in Purpur hüllt,

Entdeckt sie einen Jüngling gramerfüllt.

Ein Königssohn ists, der die Nacht durchweint

Und seines Auges Tau mit dem des Morgens eint.

Aurora grüßt ihn sanft und strahlt ihm Trost ins Herz,

Da fleht er zum Apoll, gibt Worte seinem Schmerz.


Im Wunderland, das meines Vaters Reich begrenzt,

Wo die Natur im tausendfarbgen Schmuck erglänzt,

Thront meiner heißen Liebe Königin.

Mit zartem Reiz vereint sie hohen Sinn,

Es haben sich die anmutsvollen Musen

Zum Sitz erkoren ihren holden Busen.

Und wie sich Daphne einst dem Dichtergott entwand

So reichet sie nur einem Dichter ihre Hand.


Darum, Apoll, magst du nur schnell die Muse senden,

Soll Amors bittre Qual nicht bald mein Leben enden.

So jammert er und fluchet seinem Leben,

Da faßt sein Herz ein namenloses Beben,

Mit seinem Schmerz fühlt er die Freude ringen,

In Wolken hört er Harmonien klingen,

Es schwebt die Phantasie auf Rosennebel nieder

Und schwingt im Morgenstrahl ihr glänzendes Gefieder.


Mich hat Apoll gesandt, ihn rühren deine Leiden,

Vertauschen wirst du sie mit Hymens Götterfreuden.

So spricht die Phantasie, ergreifet seine Hand

Und schwebt mit ihm nach Hermionens Land.

Zwei kühne Aar durchsteuern sie die Lüfte

Und rauschen nieder in dem Reich der Düfte.

Dort wandelt sich der Prinz zum stillen Hirten um

Und sucht durch Poesie zu gründen seinen Ruhm.[260]


Ihn sieht die Königin, er weiht ihr sein Gedicht.

Da faßt sie ein Gefühl, ihr Herz erklärt sichs nicht.

Doch Eros spricht: Du darfst ihn nimmer lassen.

Ein Preisgedicht läßt sie im Land verkünden,

Nur mit dem Sieger will sie sich verbinden.


So wie der Fels im Meer trotzt sturmbewegten Wellen,

Will des Geliebten Geist auf gleiche Prob sie stellen.

Schon harrt das Volk, da kommt der Hirt heran,

Trägt Wahrheit vor, nicht, was die Dichtung sann.

Dann tritt er auf und fordert seinen Lohn,

Die Hand der Königin und Florens Thron.

Wagt kühn den Kauf und schließt mit ihm den Herrscherbund,

Denn wißt, ich bin der Sohn des Königs von Athunt!


ALLE freudig. Heil dem Sohn des Königs von Athunt! Es lebe unser neuer Herrscher!

ZAUBERSCHWESTERN. Verdammt!

DISTICHON. Das Gedicht hat eine Menge Fehler.

HERMIONE in Amphios Arme stürzend. O Amphio – mein Prinz, oh, nehmt mein Herz, mein Reich und meinen ewgen Dank.

NACHTIGALL. Jetzt steh ich frisch.

AMPHIO stürzt zu den Füßen der Phantasie. Nur ihr gebühret unser Dank.

ALLE. Wer ist das?

PHANTASIE wirft den Mantel ab. Ich bin die holde Phantasie, die euch nicht retten konnte, bis mich Jupiter befreit, weil ich gefangen in den Händen eurer Zauberschwestern war.


Vipria und Arrogantia verwandeln sich schnell in ihre wahren Gestalten.


ARROGANTIA. Ihr triumphiert zu früh.

VIPRIA. Noch atmet Vipria und ihre Zauberwut. Dem Tod send ich als Braut dich zu. So stürz denn dieser Tempel ein, und unter seinem Schutt begrab dich ewge Hochzeitnacht. Winkt mit dem Zauberstern.

ALLES. Weh uns!


[261] Es wird Nacht, zwischen dem Tempel und dem Meer sinken finstre Wolkenschleier ein, Donner und Blitz. Die Statue des Apoll samt dem Opferaltar versinkt.


VIPRIA. Warum trotzen diese Hallen, wer verhindert ihren Sturz?


Heftiger Donnerschlag. Die Bühne wird licht der Nebel verrinnt zu beiden Seiten, man hat die vorige Aussieht auf das Meer. Apoll mit den Sonnenrossen

will soeben in den Schoß der Thetis sinken. Der Sonnenwagen gleitet noch auf der Oberfläche des Meeres.


APOLLO. Wer wagt es, meinen Tempel zu zerstören?

ALLES. Apoll!

ZAUBERSCHWESTERN. Weh uns, er selbst.


Apoll steigt aus und tritt vor. Die Phantasie sinkt zu seinen Füßen.


PHANTASIE. Um Schutz fleht dich die Phantasie für deine Insel an, zwei Zauberinnen rasen hier, gefangen nahm man mich.

APOLL. Wer hats gewagt, die Phantasie zu fesseln?

PHANTASIE. Diese hier.

APOLL. Der Orkus strafe sie dafür.


Zauberschwestern versinken.


NARR. Jetzt haben sies überstanden.

APOLL zu Hermione. Ich war es selbst, der Amphio dir bestimmt. Das Orakel ist erfüllt, dein Land hat einen Herrscher aus dem Hause von Athunt. Von mir gesendet war die Phantasie.

ALLE. Heil Dir, Apoll!

APOLL. Mein Tempel ist entweiht, baut einen neuen auf und weihet ihn der Phantasie. Sie wird vereint mit mir in Zukunft eure Insel hier beschützen, die auch von heute an die Dichterinsel heißt.

NACHTIGALL. Den Namen kriegt s' nicht wegen mir.

NARR. Ich such mir jetzt ein Land, wo lauter Narren sind.

NACHTIGALL. Und ich schau, daß ich eine Nachtigalleninsel find.

APOLL. Wer ist der Fremdling hier?

NACHTIGALL. Jetzt kommt er über mich. Das wird a schöne Wäsch.[262]

DISTICHON. Aus England ein Minstrel.

NACHTIGALL kniet nieder. Und Harfenist aus Wien. Die Rabenschwestern haben mich entführt.

HERMIONE. Ich nehme dich zum zweiten Narren auf.

NACHTIGALL. Ich küß die Hand.

NARR. Den Kerl bring ich um.

NACHTIGALL. Ich bin der singende und das der redende, ich hoff, daß man mit beiden wird zufrieden sein.

APOLL zur Phantasie. Die bunten Flügel hat man dir geraubt, dich werden künftig goldne zieren. Zu Amphios Vater sei dein erster Flug, bericht des Sohnes Glück dem König von Athunt.

PHANTASIE tritt vor.

Ein Schlußwort spricht die Phantasie.

Oh, lohnt mit Nachsicht ihre Müh,

Wenn sie auch Kleines nur gebar,

So denkt, daß sie gefesselt war.

APOLL.

Die Götter wachen über euer Los,

Mir winkt die Nacht, ich sink in Thetis Schoß.


Er geht zurück, steigt in den Sonnenwagen, mit welchem er langsam untersinkt. Eine allgemeine Abendröte verbreitet sich über die ganze Bühne. Die Meereswellen erglänzen mit roter Folio, und der Chor dauert so lange, bis Phöbus ganz im Meere ist. Am Himmel glänzt der Abendstern.


CHOR.

Sink hinab, Du heißer Tag,

Und vergolde Dir Dein Grab.

Doch zum schönern Lebenslauf

Strahle morgen neu herauf.


Ende.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 256-263.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die gefesselte Phantasie
Die gefesselte Phantasie. Original- Zauberspiel in zwei Aufzügen.
Raimundalmanach / Die gefesselte Phantasie

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon