Eilfter Auftritt.

[213] Witte. Die Baronin.


WITTE. Die Frau Baronin werden verzeihen –

BARONIN. Was bringen Sie mir für Nachricht?

WITTE. Nachricht? Allerdings – gewissermaßen Nachricht.

BARONIN. Ich höre an Ihrem Tone, daß es keine erfreuliche ist.

WITTE. Ach gnädige Frau, wo sollte ein Stadt- und Polizeidirector etwas Erfreuliches hernehmen?

BARONIN. Zur Sache, wenn ich bitten darf.

WITTE. Aufzuwarten. Aus inniger Hochachtung für Sie, gnädige Frau, und Ihren höchst würdigen Herrn Onkel, habe ich in Betreff des bewußten Löwenklau Nachforschungen angestellt, und es hat sich wirklich ein solcher vorgefunden.

BARONIN. Daß ließ sich denken, und Sie sehen nun, daß er wirklich existirt.[214]

WITTE. Erlauben Sie, gnädige Frau, Sie scheinen geneigt, daraus zu schließen, ich hätte mich vorhin, als ich sein Dasein verneinte, unziemlicher Weise geirrt; das wäre aber ein gewaltiger Fehlschuß. Sein Dasein in der Welt überhaupt habe ich mit nichten geleugnet, sondern nur seine Existenz für unsere Stadt, und darin hatte ich Recht; denn für diese existirt er erst seit einer Stunde, wo er sie betreten hat.

BARONIN. Sehr wohl! sehr wohl! Haben Sie ihn gesprochen, zurecht gewiesen, verhaften lassen?

WITTE. Ich habe ihn allerdings vorladen lassen.

BARONIN. Nun? nun?

WITTE. Nun? Ja, gnädige Frau, Gott läßt seine Sonne scheinen über Gute und Böse, sonst hätte diesen Löwenklau wohl nie ein Sonnenstrahl getroffen.

BARONIN. O mein Gott!

WITTE. Ja, das sage ich auch: denn es ist ein wahrhaft gräßlicher Mensch, ein Mensch, der – der –[215] wie beschreibe ich ihn doch gleich? Ja – ich weiß nicht, ob die Frau Baronin jemals meinen einäugigen Polizeisoldaten Jobst gesehen haben, wenn er an einem Sonn- oder Festtage betrunken ist?

BARONIN. Niemals! Niemals!

WITTE. Recht. Wie sollten Sie auch? Nun ich kann Sie versichern, der Jobst ist in diesem Zustande der leibhaftige Satan; aber gegen den Löwenklau ist er rein nichts, eine stille Seele, ein wahres Schaaf.

BARONIN. Gerechter Himmel! Sie haben ihn doch festsetzen lassen?

WITTE. Erlauben Sie, gnädige Frau das geht so schnell nicht. Man kann ihm doch eigentlich kein Vergehen zur Last legen. Drohungen – unbestimmte Drohungen – die sind kein hinlänglicher Grund. Es blieb mir also nichts weiter übrig, als ihn mit einem Verweise zu entlassen.

BARONIN. Wie? mit einem Verweise? – –

WITTE. Ja, den hat er derb bekommen. Ich trat mit[216] der ganzen Würde meines Amtes vor ihn, und sagte: O Kannibal! Du scheußlich Ungeheuer!

BARONIN. Gut! gut! Aber was sind Sie nun entschlossen zu thun?

WITTE. Zu thun? Gar nichts, gnädige Frau. Es ist eine grundböse Geschichte. Diesen Abend kommt die ganze Bande reisender Studenten an, zu der Löwenklau und sein Begleiter gehören. Da nun diese beiden schon um Ihren Garten herumgeschlichen sind, so fürchte ich einen nächtlichen Angriff –

BARONIN. Ich beschwöre Sie, ergreifen Sie Maaßregeln.

WITTE. Ach, gnädigste Frau! – Ich habe alles in allem sieben Polizei-Soldaten, aber es ist keiner darunter, dem nicht irgend ein Glied, z.B. ein Fuß, ein Arm, ein Auge u.s.w. fehlte, so daß, wenn ich die noch vorhandenen Gliedmaaßen der sieben zusammen zähle, nicht mehr als drei vollständige Menschen heraus kommen. Was soll ich also für Maaßregeln ergreifen?

BARONIN. Die Bürgerschaft aufbieten.[217]

WITTE. Das dürfte ich nur im höchsten Nothfalle, und ehe die Bürger dann zusammen kämen, könnte schon alles erdenkliche Unglück geschehen sein.

BARONIN. Sie sehen, wie dringend die Gefahr ist, und wollen nichts thun?

WITTE. Die Gefahr ist dringend – höchst dringend, aber thun kann ich nichts, gnädige Frau, als Ihnen einen Rath geben. Ihr nächstes Gut liegt nur zwei Stunden von hier. Es ist ein so lieber freundlicher Herbstabend, und – ach –! was geht über den Genuß der schönen Natur! Wie wäre es, wenn Sie sich in den Wagen setzten, und durch den höchst angenehmen Kiefernwald hinausführen? So wären wir beide aller Sorge und Angst überhoben.

BARONIN. Und das ist alles, was – – –

WITTE. Weiß Gott, alles. Ich bitte Sie, gnädige Frau, ja ich flehe Sie an, um Ihres eigenen Heiles willen, meinem Rathe zu folgen.

BARONIN. Ich werde es überlegen.[218]

WITTE. Wollte Gott, ich hätte ein Gut! wie gern würde ich hinaus fahren Wenn Sie erlauben, gnädige Frau, so empfehle ich – – – –

BARONIN. Nach Belieben! nach Belieben, mein Herr. Leben Sie wohl!


Witte empfiehlt sich und geht ab.


Quelle:
Ernst Raupach: Dramatische Werke komischer Gattung. Hamburg 1829, S. 213-219.
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