Anderter auftritt

[110] Judas. Die Verzweiflung. Die Verzweiflung hört dem Judas zu doch ohne sein Vermerken.


JUDAS.

Es will doch gleichwohl etwas sagen,

Umb wenig geldt so villes wagen,

Das werkh ist gros, der lohn ist ring:

Ich hab halt 30 silberling.[110]

Hätt ich nur 60 keckh begehret,

Sie hätten mir den kauff bewehret.

Hier hat mein freind mich angesezt,

Der mir nur 30 eingeschwäzt.

Doch wan auch 60 wärn gefallen

Kunt mir wohl diser werth bezahlen,

Was ich (jezt denckh ich erst daran)

An meinen Meister hab gethan.

VERZWEIFLUNG.

Wie? freind! wan sich mein sinn nicht irrt,

So bist du etwas hier verwirrt.

Ist etwan was ich längst gedenkt,

Das dich nun mehr dein meister kränckt?

JUDAS.

Nicht allerdings: doch mus ich sagen,

Das ich kein zweifl hab getragen

Er wurde, weill sein macht so gros

Von disen kett, und banden los.

VERZWEIFLUNG.

Nein: dises ist nicht mehr zu hoffen,

Der Rhat hat einen kauff getroffen,

Den Christus nun auf deinen kus

Mit seinen leben zahlen mus.

JUDAS.

Ey! so weith wird es ja nicht kommen,

Ich hätte diß nicht unternommen.


Fahlt ihm in die red.


VERZWEIFLUNG.

Wan nemblich dich zu seinen endt

Nicht also hätt der geiz verblendt.

JUDAS.

Der geiz?

VERZWEIFLUNG.

Was willst hier umschweiff machen?

Bey jederman bekanten sachen?

Hättst du nicht nach dem geldt getracht,

Wär Christus noch nicht eingebracht.

Pfui! deinen meister so zu schaden?

Umb 30 silberling verrahten!

Man kauffte ja umb disen saz

Von keiner alten ihre kaz.[111]

JUDAS.

Ist wahr:

VERZWEIFLUNG.

Und eines menschen leben

Soll man ja zum verkauff nicht geben.

Wan man umb selbes alle stund

Die ganze weldt gewinnen kunt?

JUDAS.

Und was mir immer fahlet schwärer

Glaub ich er seye noch weith mehrer

Als nur ein mensch:

VERZWEIFLUNG.

So denckh darbey

Wie sehr dein thatt zu rächen sey.

JUDAS.

Er aber wird, und kann nicht sterben:

VERZWEIFLUNG.

Glaub nur, er wird und mus verderben.

JUDAS.

Das wär entsezlich, rechten los!

VERZWEIFLUNG.

Diß eben macht dein schuld so gros

Ins geldt, das einstens nicht wirst haben,

Hast dein gewissens Ruh vergraben.

Jezt sichst den glanz ein kleine Zeith:

Hernach nicht mehr in ewigkeit.

JUDAS.

Ich geh!

VERZWEIFLUNG.

Wohin?

JUDAS.

Zum Rath.

VERZWEIFLUNG.

Westwegen?

JUDAS.

Ihm dises bluth geldt hinzulegen.

VERZWEIFLUNG.

Sodan?

JUDAS.

Sodan hat er sein geldt

Und ich den meister freygestellt.[112]

VERZWEIFLUNG.

Das wohl:

JUDAS.

Was soll ich sonsten machen?

VERZWEIFLUNG.

Man wird dich sambt den geldt verlachen.

JUDAS.

Wird kein gerechtigkeit mehr sein?

VERZWEIFLUNG.

Du hasts verkaufft: ich sag dir nein.

JUDAS.

Das will ich sehen:


Gehet ab.


VERZWEIFLUNG.

Wirsts erfahren,

Ich aber werd ein müh ersparren,

Weill er durch disen spoth gerührt

Vill ehender verzweifflen wirdt.


Gehet ab.


Quelle:
Bitteres Leiden, Oberammergauer Passionspiel, Verfasst von Pater Ferdinand Rosner O.S.B., Leipzig 1934, S. 110-113.
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