Erste Szene

[53] Der Mann. Ein Junge aus der Menge. Eine Frau aus der Menge. Ein alter Mann. Ein Herr mit Zylinder. Volksmenge.


DER MANN an einer Ecke, schreit. Hier ist es. Hier! Alles findet ihr hier.


Menge sammelt sich.


EINE FRAU aus der Menge. Haben Sie hier Milch?

EIN ALTER MANN läuft atemlos herzu. Sie sagen drüben, hier gibt es Fleisch!

EIN HERR mit Zylinder auf dem Kopfe. Ist es wahr, daß man Kohlen kriegt?

DER MANN. Umsonst! Ganz umsonst! Alles wird verschenkt! Das Leben verschenkt!

MENGE. Wo?

DER MANN. Du kannst haben, soviel du willst. Jeder, der will, bekommt seinen Teil!

MENGE. Ich war zuerst da. Ich!

DER MANN. Niemand braucht länger zu warten. Aufgepaßt. Jeder bekommt gleich alles. Das Leben!

EIN JUNGE aus der Menge. Der redet so ausländisch. Das ist gewiß ein Spion.

EIN ALTER MANN. Wo ist die Polizei? Ich stehe schon eine ganze Nacht. Man weiß heute nicht, mit wem man zu tun hat.

DER MANN zum Jungen. Du kriegst Zigaretten. Zum alten Mann. Ihr kriegt alle Brot!

DIE FRAU AUS DER MENGE. Ich kann nicht länger. Ich falle um.

DER MANN. Ihr braucht nicht mehr zu leiden! Zu der Frau. Halten Sie noch einen Augenblick aus, es wird alles gut.[53]

DER ALTE MANN. Vor dem Sterben noch was essen!

DER MANN. Sie brauchen nicht zu sterben. Seht mich an, ich sterbe auch nicht. Niemand braucht zu sterben. Ihr könnt alles Leben haben, das ihr wollt! Ihr wollt, ihr wollt, ihr wollt!

MENGE. Ja!

DER MANN. Ihr wollt frei sein. Ihr werdet nicht sterben.

DER JUNGE. Die Polizei kommt!

AUS DER MENGE. Maschinengewehre. Militär! Die Truppen.

DER MANN. Die Soldaten sind eure Brüder, sie dürfen nicht schießen.

MENGE Tumult. Sie schießen!


Dunkel.


DER MANN schon aus dem Dunkel. Soldaten, Brüder! Ihr dürft nicht schießen!


Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Dichter greift in die Politik. Leipzig 1976, S. 53-54.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Gewaltlosen
Die Gewaltlosen; Drama in Vier Akten
Die Gewaltlosen: Drama in vier Akten