55.

[121] Wann still die Nacht auf dunkeln Pfaden schreitet,

Die unterm Mantel trägt die goldnen Sterne,

Und im Gewölk gleich heimlicher Laterne

Der Mond sein wachsend Silberlicht bereitet;


Denk' ich, und meines Auges Thräne gleitet,

Zurück in jener Nächte schöne Ferne,

Wo er mit seinem lieberglühten Kerne

Auf meinen Liebesgängen mich geleitet.


Wozu, o Mond, mit deinem Strahlenschimmer

Hat dich ein Gott in Lüften aufgehangen,

Als daß die Lieb' in deinem Licht soll wallen?


Die Liebe wallt in deinem Lichte nimmer,

Der Docht in deiner Lamp' ist ausgegangen,

Und deine Scherben laß vom Himmel fallen.


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 121.
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