Eilfter Auftritt


[517] Thekla. Neubrunn.


THEKLA fällt der Neubrunn um den Hals.

Jetzt, gute Neubrunn, zeige mir die Liebe,

Die du mir stets gelobt, beweise dich

Als meine treue Freundin und Gefährtin!

– Wir müssen fort, noch diese Nacht.[517]

NEUBRUNN.

Fort, und wohin?

THEKLA.

Wohin? Es ist nur ein Ort in der Welt!

Wo er bestattet liegt, zu seinem Sarge.

NEUBRUNN.

Was können Sie dort wollen, teures Fräulein?

THEKLA.

Was dort, Unglückliche! So würdest du

Nicht fragen, wenn du je geliebt. Dort, dort

Ist alles, was noch übrig ist von ihm,

Der einzge Fleck ist mir die ganze Erde.

– O halte mich nicht auf! Komm und mach Anstalt.

Laß uns auf Mittel denken, zu entfliehen.

NEUBRUNN.

Bedachten Sie auch Ihres Vaters Zorn?

THEKLA.

Ich fürchte keines Menschen Zürnen mehr.

NEUBRUNN.

Den Hohn der Welt! des Tadels arge Zunge!

THEKLA.

Ich suche einen auf, der nicht mehr ist,

Will ich denn in die Arme – o mein Gott!

Ich will ja in die Gruft nur des Geliebten.

NEUBRUNN.

Und wir allein, zwei hilflos schwache Weiber?

THEKLA.

Wir waffnen uns, mein Arm soll dich beschützen.

NEUBRUNN.

Bei dunkler Nachtzeit?

THEKLA.

Nacht wird uns verbergen.

NEUBRUNN.

In dieser rauhen Sturmnacht?

THEKLA.

Ward ihm sanft

Gebettet, unter den Hufen seiner Rosse?

NEUBRUNN.

O Gott! – und dann die vielen Feindesposten!

Man wird uns nicht durchlassen.

THEKLA.

Es sind Menschen,

Frei geht das Unglück durch die ganze Erde!

NEUBRUNN.

Die weite Reise –

THEKLA.

Zählt der Pilger Meilen,

Wenn er zum fernen Gnadenbilde wallt?

NEUBRUNN.

Die Möglichkeit aus dieser Stadt zu kommen?

THEKLA.

Gold öffnet uns die Tore. Geh nur, geh!

NEUBRUNN.

Wenn man uns kennt?

THEKLA.

In einer Flüchtigen,

Verzweifelnden sucht niemand Friedlands Tochter.

NEUBRUNN.

Wo finden wir die Pferde zu der Flucht?[518]

THEKLA.

Mein Kavalier verschafft sie. Geh und ruf ihn.

NEUBRUNN.

Wagt er das ohne Wissen seines Herrn?

THEKLA.

Er wird es tun. O geh nur! Zaudre nicht.

NEUBRUNN.

Ach! und was wird aus Ihrer Mutter werden,

Wenn Sie verschwunden sind?

THEKLA sich besinnend und schmerzvoll vor sich hinschauend.

O meine Mutter!

NEUBRUNN.

So viel schon leidet sie, die gute Mutter,

Soll sie auch dieser letzte Schlag noch treffen?

THEKLA.

Ich kanns ihr nicht ersparen! – Geh nur, geh.

NEUBRUNN.

Bedenken Sie doch ja wohl, was Sie tun.

THEKLA.

Bedacht ist schon, was zu bedenken ist.

NEUBRUNN.

Und sind wir dort, was soll mit Ihnen werden?

THEKLA.

Dort wirds ein Gott mir in die Seele geben.

NEUBRUNN.

Ihr Herz ist jetzt voll Unruh, teures Fräulein,

Das ist der Weg nicht, der zur Ruhe führt.

THEKLA.

Zur tiefen Ruh, wie er sie auch gefunden.

– O eile! geh! Mach keine Worte mehr!

Es zieht mich fort, ich weiß nicht, wie ichs nenne,

Unwiderstehlich fort zu seinem Grabe!

Dort wird mir leichter werden, augenblicklich!

Das herzerstickende Band des Schmerzens wird

Sich lösen – Meine Tränen werden fließen.

O geh, wir könnten längst schon auf dem Weg sein.

Nicht Ruhe find ich, bis ich diesen Mauren

Entrunnen bin – sie stürzen auf mich ein –

Fortstoßend treibt mich eine dunkle Macht

Von dannen – Was ist das für ein Gefühl!

Es füllen sich mir alle Räume dieses Hauses

Mit bleichen, hohlen Geisterbildern an –

Ich habe keinen Platz mehr – Immer neue!

Es drängt mich das entsetzliche Gewimmel

Aus diesen Wänden fort, die Lebende!

NEUBRUNN.

Sie setzen mich in Angst und Schrecken, Fräulein,

Daß ich nun selber nicht zu bleiben wage.

Ich geh und rufe gleich den Rosenberg.


Geht ab.[519]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 517-520.
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