1.

Sinnesänderung

[127] Ich wollte dieses Leben

Durch ein unendlich Streben

Zur Ewigkeit erhöh'n.

Ich fragte nicht nach drüben,

Mein Hoffen und mein Lieben

War mir hienieden schön.


Was die Natur gewoben,

Was Menschen drauf erhoben,

Verband mir Poesie.

So wähnt' ich klar zu lösen

Das Gute sammt dem Bösen

Zu hoher Harmonie.
[127]

Was plötzlich abgebrochen,

War dennoch ausgesprochen

Dem ordnenden Gefühl:

Ein Lied war mir die Jugend,

Der Fall der Heldentugend

Ein göttlich Trauerspiel.


Doch bald ist mir zerronnen

Der Muth, so dieß begonnen,

Die Gnügsamkeit in Dunst.

Gefeßelt vom Verhängniß

Im irdischen Gefängniß:

Was hilft mir weise Kunst?


Die Rose kaum entfaltet,

Doch süßer mir gestaltet

Als aller Schmuck der Welt,

Die hat ein Wurm gestochen,

Die hat der Tod gebrochen,

Die hat der Sturm gefällt.


Nun schau' ich zu den Sternen,

Zu jenen ew'gen Fernen,

Wie tief aus öder Kluft;

Und, ihre blauen Augen

Dem Himmel zu entsaugen,

Küß' ich die leere Luft.


O, werde mein Orakel,

Du, die du ohne Makel

Der falschen Welt entflohst![128]

Sieh mich in meiner Demuth

Und hauch in meine Wehmuth

Der zarten Liebe Trost.


Wenn dort die Ros' erblühte,

So sei die heil'ge Güte

Endlos gebenedeit.

Zwar sehnlich werd' ich schmachten,

Doch nicht vermeßen trachten

Aus dieser Sterblichkeit.


Wo ich mich wiederfinde

Bei meinem süßen Kinde,

Muß Heil sein, Wonn' und Licht.

Sie wird, wenn meiner Zungen

Der Klage Laut verklungen,

Mein himmlisches Gedicht.


Den strahlenden Karfunkel

Nahm ich in grausem Dunkel

Der Schlange Tod vom Haupt.

Ich will ihn bei mir tragen,

In allen Lebenstagen

Wird er mir nie geraubt.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 127-129.
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