926. Die Nonnen auf Frauenchiemsee.

[456] Von LudwigAurbacher.


1.

Der Morgen vergüldet See und Land,

Es ruft das Glöcklein zur Hore:

Der Strahl fällt düster auf Kirchleins Wand,

Dumpf schallt der Gesang im Chore.

»Was frommet mir, ach das Morgenroth?

Hier ist nur Kerker, hier ist nur Tod!

O wär' ich doch nie geboren!«
[456]

Der Mittag ergießt sein belebendes Licht

Auf lustige Wellen und Auen;

Doch in der Zelle sich's schauerlich bricht,

Und brütet nur Angst und Grauen.

»Was frommt mir, ach! der Mittagsschein

Nur traurig fällt er durch's Gitter herein!

Für mich ist kein Lieben, kein Leben!«


Der Abend versendet den letzten Strahl;

Auf den Bergen die Gluthen verglimmen;

Schon dämmert es weithin im Wasserthal;

Zur Complet ertönen die Stimmen.

»Was frommet mir, ach! die Abendruh?

Mir schließt sich vor Gram kein Auge zu!

O wär' ich doch bald gestorben!«


Und als zur Mette das Glöcklein ruft,

Da verläßt sie die einsame Zelle;

Zum Ufer sie schleicht – wie zur Todtengruft, –

Wo sich bricht die schäumende Welle.

Und sie ruft mit halb zerrüttetem Sinn:

»Der Tod, der Tod nur ist mein Gewinn!«

Und stürzt sich hinein in die Wogen.


2.

Das Mägdlein steht an des Klosters Pforte,

Und sieht noch einmal zum Ufer hin;

Die schönen Gestalten umschweben den Sinn,

Doch voll Ergebung spricht sie die Worte:


»Lebt wohl ihr Berge! und ihr schönen Auen,

Die ihr im Frühlingsstrahle fröhlich blinkt;

Lebt wohl! ich werd' euch fürder nimmer schauen,

So freundlich hold ihr auch zurück mir winkt.

Ich bin gefaßt. Wovor soll mir denn grauen,

Wenn auch des freien Lebens Sonne sinkt?

Die Welt ist Täuschung nur; und ach! hienieden

Gibt Einsamkeit nur wahren Seelenfrieden.« –


Das Mägdlein kniet an des Altares Stufen,

Und blickt mit Andacht zum Kreuze hin;

Die heil'gen Gestalten bezaubern den Sinn;

Oft hört man sie freudig dankbar rufen:
[457]

»Seid mir gesegnet, wonnevolle Stunden,

Die ihr in diesen Mauern mich entzückt'!

Welch' stille Freuden hab' ich schon empfunden,

Seit ich dem eitlen Weltlärm bin entrückt!

Wie labt mich Kühlung stets in Jesu Wunden,

Wenn and're noch des Lebens Schwüle drückt!

O wahrlich, nur, wer Gott sich ganz ergeben,

Lebt hier schon eines Paradieses Leben!« –


Das Mägdlein lieget in Todes-Nöthen;

Es schaut voll Glauben nach Oben hin;

Die Himmelsgestalten entzücken den Sinn,

Und man hört sie in heil'ger Andacht beten:


»Ich bin der Welt schon längstens abgestorben,

Mit Freuden gab ich ihre Freuden hin;

Nie hat mich ihre schnöde Lust verdorben

Rein ist mein Herz, und erdenfrei mein Sinn;

Dank dir! bald ist die Krone mir erworben,

Die du versprachst der treuen Dienerin.

O komm', o Jesu! end' dies kurze Leiden

Und führ' mich ein in's Reich der ew'gen Freuden.«

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 456-458.
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